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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 5
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Braun, Felix: Die Leibwache der Gräfin Jorinde
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0186

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ie Leibwache der Gräftn Iorinde.

Novelle von Fellr Braun.

Die schöne Gräfin Jorinde, Herrin auf Burg Tyrol
und weit über das ebene Land und die Berge alle, sah
vom Turmfenfter in die grüne Tiefc hinab. Sie lang-
weilte sich, nicht zu ertragen. Umsonft war sie die
düstere, muffig riechende Wendeltreppc hinaufgcstiegen, —
aber hätte sie noch einmal die öden hallenden Räume
hin und wieder schreiten sollen? Nun saß sie schon
die zweite Stunde an des TürmcrS Statt, der mit
ihrer Erlaubniö an der KirmcS im Dorfe teilnahm, und
sah dem klaren Sommertag bis auf den Grund und
ließ die Augen über alle Wolken hingehn und lachte
nicht übev die Menschen im Tal, die aus närrische Art
gleichsam ohne Ursache und Zweck durcheinander zu hasten
schienen. Mit ernstem, fast strengem Blick sah die Gräfin
Jorinde hinab, — ganz, alS ob ihr jemand heimlich zu-
sähe. Sie fühltc ihre langen Wimpern dann und wann
unter den Lidern an den Wangen und sie lobte sich im
stillen ob ihrer Versunkenheit in daS bewegte Bild
und sie wußte: wenn ich jetzt den Blick ein wenig
verschiebe, so sehe ich die beschneiten Berge und den
zitternd-blauen Himmel mit flockigen weißen Wolken;
aber sie sah nicht auf.

Jn ihrem Herzen aber sprach eine Stimme: „Jch
langweile mich. Wie öd ist das Schloß und wie habe
ich Furcht in den hohen Räumen! Seit der Graf fern
ist, mit reisigcm Volk im Krieg gegen die Franzosen liegt,
ist es so dumpf hier. Kein Bote kommt; niemand im
Schlosse sieht dem Grafen gleich. Es ist so unheimlich
ftill hier, der Lärm auö dem Tal kommt nicht herauf;
die grcisen Diener und die Frauen haben so leiscn Tritt.
Mir ist bang . . . ." „Mir ist bang . . . ." hallte eine
zweite Stimme. „Zch bin wic eine Gefangene; ist
nicmand, der mich schützt? Die Diener sind alt und der
Türmer und die bciden Wachen sind alt. Jch hättc
gern ein junges Gesicht um mich - wie oft soll ichö
noch klagen? Sollen die Nächte verloren sein, aber die
Tage! O Gott, wie gehen doch meine Tage hin!"
„Und ich fürchte mich so", sagte die erste Stimme,
„die Leute lieben mich nicht. Gegen Landeck zu haben
sie viele Burgen in Brand gesteckt." „Nein doch",
sagte die zweite Stimme, „du lügst. Die Leute sind
gut. Sieh, wie sie fröhlich sind und ihr leichtes Leben
haben!" Und die schöne Gräfin Jorinde preßte die
feine schmale Wange an das kühlglatte Glas und sah
wieder hinab auf den grünen Grund, wo sich die kleinen
Menschen bewegten. Jhre beiden Hände, die voller
Ringe waren und ganz schmal und so weiß, daß, wer
sie ansah, all sein Leid vergessen mußte, — wohl weil
ein stärkeres in ihn eindrang —, ihre beiden Hände
legte sie auf daö Herz, in dem die zwci Stimmen er-
schauerten und verstummten.

Und ein Gedanke schwebte aus ihr unsichtbar her-
vor. Tage und Nächte war er schlummernd in ihrem
Haupt gelegen und viele Gefühle hatten ihn mit ihren
leisen Flügeln gestreift, ohne ihn wecken zu können.
Aber er wuchs heimlich und ward langsam reif....
und als er nur noch ganz fer» am Schlaf hing, da

löste ihn dic langsame Zcit wie a»S Versehen los —
und nun war cr groß und crwacht-

Und als daö Blut im Herzen dcn Leuchtcnden
spiegclte, da jauchzten die beiden Stimmcn laut und
lang. „Hab ichs nicht immer gesagt?" rief die crstc.
„So muß es sein, Tag und Nacht, damit der Schlas
ruhig bleibt und keine Angst mchr inö Schloß kann!"
U»d die zweite, schalkhaft die Schwester übcrtönend:
„Und daß der Tag rasch hineilen kann in die Nacht
und die Stunden schneller werden." Und die beiden
Stiminen sangen.

Die Gräfin Jorinde aber trat vom Turmfenfter
fort, und mit vorsichtigen und zarte» Schritten stieg sie
die Treppe hinab, bis sie zu dem Schloßhof kam. Jhren
weißen Zelter bestieg sie, den ihr Gcmahl auS England
gebracht hatte, und über die Zugbrücke ritt sie, die
Straße hin, dem grünen Rasen vor dem Dorfe zu, auf
dem sich das Volk in bunten Gewändern tummelte.

Dcr Türmer war der erste, der ihrer ansichtig ward.
Er rief: „Heil unscrcr Gräfin Jorindc!" und Heilrufe
stürzten dem einen nach, daß die Luft erzitterte. Und
da die Paare gerade zum Tanz angetreten waren, so
entstand dem weißen Ielter und der Dame eine selt-
same Gassc, wie sie von cinander wichen: rechts stande»
die Mädchen, die Jünglinge links in langer gerader
Reihe, und an den hellen Gewändern freute sich die
Sonne mehr als a» Himmel und Laub und Gewäffer.

Da reckte sich die Gräfin im Sattel hoch auf und,
die Linke vorstreckend, sprach sie: „Liebe Leute, die Zeiten
sind verhängt. Der Krieg ist uns nah und die Burg
so gut wie schutzloS. Alle Reisigen sind mit dem Grafen
im Feld und meine Dicner sind alt —: seht den Türmer,
der unter euch ist, wie alt ist er doch! — Hört mich,
ihr Leute: Jch will eine Leibwache im Schloß haben,
die mich beschützt, damit ich nicht immer so viel ans
Sterben denkcn muß . . . ." und sie schwieg und
ließ ihre Stimme so rührcnd in die schöne Luft auö-
klingen, daß es Abend zu werden begann. Und da
sich eine große Traurigkeit mit ihm herabsenkte, — ist
es da noch ein Wunder zu nennen, daß die Mäd-
chen leise inS Weinen kamen und die Jünglinge, auf
seltsame Art ergriffen, die Blicke tiefer in den Rasen
senkten?

„Wohlan," sagte die Gräfin Zorinde, indem sie sich
nach linkö hin wandte, „die Kost im Schlosse ist gut
und reichlich, der Wein in den Kellern ist frei; und
wer Geldes bedarf, der soll es am Abend vor jedem
Sonntag erhalten. Waffen hängen genug in den
Kammern, die gchören dem, der sie trägt . . . ." und
nach einem Schweigen und einem langhinwandernden
Blick, der die Reihe umschloß, daß viele ein dunkles
Flüftern in ihrem Herzen vernahmen, fragte sie laut:
„Wer will?"

Aufrauschte die Antwort von vielen Lippen, als
käme sie von dencn, dic mönchischeö Wort hinreißt, das
Kreuz zu ergreifen. „Zch will! . . . ich! . . . ich! ich! ich!"
Wer vernahm mehr in dem verworrenen Getöse der
tiefen Stimmen, die sich umeinander schlangen wie zu
einem rauschenden Wald. Und die Reihe löste sich auf,
dergestalt, daß die Gräfin und der weiße Zelter auf
einmal inmitten einer farbigen Menge war, eng, gepreßt.
 
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