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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 6
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Schur, Ernst: Gedanken über Volkskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0227

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Gedanken über Volkskunst.

Volkskunst abftirbt, haben wir nicht mehr Recht, bie
höhere Kunst zu betrauern, von der schon so viel ge-
storben ist, wenn wir an starkc Zeitcn denken, und von
der so viel noch gar nicht zum Leben gekommen ist?

II.

Diese Kunst geht von der Sachlichkeit aus; das
Gebrauchsmäßige, die Notwcndigkeit prägt den Stil.
Man sieht daö an vielen Dingen, Gegenftänden aus
Holz und Metall etwa, wo daS Gebrauchsmäßige so
einfach gegeben ist, daß nichts Künstlerisches daran
reizt. DaS sind meist die notwendigen Dinge des täg-
lichen Lebenö, die der Landmann zur Ausübung seines
Berufs braucht. Manchmal regt sich dann schon ein
primitiver, grotesker Formtrieb, dem Kunstwillen der
Wilden vergleichbar, wie bei den Kleienkotzern des El-
saß, die dcm Absluß deS Mühlwaffers dienen, groteske
Gesichter, aus Holz dcrb geschnitzt, die an die Tanz-
maSken dcr Japaner crinncrn. Hier merkt man
deutlich ein ganz primitives Schaffen, eine urwüchsige
Phantasie.

Dem fteht auf der andercn Seite das Schmücken-
wollen gegenübcr; ein ost kindlicher, ja zuwcilen kin-
discher Hang, die Oberfläche eines Gegenstandeö in
allerlei Ornamcntik mit leuchtendsten Farben beinah
zu verdeckcn, so daß der eigentliche Zweck ganz igno-
ricrt wird. Das geht manchmal biö zu ganz wilden,
orgiastischen Übertreibungen; Anhäufungen, die uns ver-
letzen würden, lachten wir nicht darüber, kämen sie uns
nicht komisch vor. Aus diesem Wege kommt man dann
zum entgegengesetzten Extrem. Der Schmuck hindert
den Gebrauch- Es ist wie bei Kindern und Wilden. Auf
Sylt tragen die Fischer z. B. ein rotweißcs Kostüm, in
den Farben sehr hell und zur durchsichtigen Luft paffend,
aber mit einem Kopfputz, der cinem Jndianer Ehre
machen würde; in Mittenwald sicht man im Hochsommer
dic alten Leute mit hohen Pelzmützen einherziehen wie
cnglische Dragoner; man bekommt Kopfschmerzen, wcnn
man cs nur sieht. Dann gibt eö Brautkronen mit einem
wildcn Gcwirr von Glasperlen, die jeden Papua-Neger
zieren würden. Das Groteske gefällt uns; es kommt
ctwas Phantastisches darin zum Äusdruck. Nur spricht
unser geschulterer Sachgeschmack, unser Iweckempfinden
ein anderes Urtcil.

Zwcifcllos kommt hier ein Wille zum Grotesken
zum Ausdruck, dcr sich bci allen primitiven Völkern
findet; ei'» Hang zu verblüffen, zu crschrccken! Man
will Äufsehen erregen und gibt sich ein groteskes Aus-
sehen. Rest heidnischcr Sitten. So denkt man bei
manchen Trachten direkt an Kostüme von Wilden zu
Opfer- und Kricgertanzzwecken. Darum liegt dem Bauern-
volk der katholische Ritus und dieser ist wiederum be-
einflußt von „Volkskünst".

Dann will auch der Bewohner des Landes, wenn
er feierlich auftritt, an Festtagen dicse Feierlichkeit als
Bürde tragen. Das Jdeal, sachlich und zweckmäßig sich
zu tragcn, so daß dic Kleidung nicht hindcrt und leichte
Bewegung gestattet, was wir gerade mit Recht als Er-
rungenschaft der Kultur, als einen neuen, sachlich ge-
klärtcn Stil empfinden, liegt ihm garnicht. Er behängt
sich, er ftülpt sich unglaubliche Töpfe auf den Kopf,

sodaß schließlich so ein Mcnsch einherschwankt wie cin
Erntewagen. Äbcr das ist ihm handgreifliche Feierlich-
keit; die Feierlichkeit als Bürde. Unsere Mode zeigt
also in ihrer Vorliebe für groteöke Übertreibungen,
Farbenreichtum dcutlich ein Hinneigen zu den Tendenzcn
des Volkskünstlerischen. Dies Moment erklärt manche
„Unerklärlichkeiten". Auch die Verwertung der alt-
väterischen Notc stimmt damit überein.

Nur in seltenen Fällcn vercinigen sich diese Extreme -
Sachlichkeit und Schmuckbedürsnis — und dann er-
scheint jene reife, raffinierte Volkskunst, die mcist im
Orient zu Hause ist. Wo die Tradition lange allc
Formen durchsiebt. Wo sich ein Stil bildet. Wo das
Material in seiner Schönheit und eigenen Sprache ge-
prägt wird und der Schmuck ganz eingeht in das Ma-
terial, in ihm nur aufersteht und die Form so selbst-
verftändlich erscheint, daß kein Kulturwillc daran rüttelt.
Das sind dann Gegenftände, die einen Stil habcn, den
sonst nur die JntelÜgenz des Künstlers findct, der weiß,
daß jedes Material seinen eigenen Willen hat.

Nun tritt noch die Farbe hinzu. Sie spielt in der
Volkskunst eine entscheidende Rolle. Das kommt speziell
bei den Trachten zum Ausdruck. Wo das Wahllose,
Übcrladene sich klärt, kommt ein bewußter Wille zum
Ausdruck. Man könnte beinahe eine Skala solcher
Farbenharmonien, die uns fremd und schön anmuten,
zusammenstellen; es sind cntweder die hellen, grellen
Farbe noder die tieftonigen Nuanccn. Weiß, Rot, Hell-
grün. Oder Schwarz mit Violett und Dunkelgrün. Das
Einwirkcn der dunklcn und gleißcnden Pracht der Meß-
gewänder, wie sie der katholische Kultus, der aus deni
Orient stammt, brachte, ist hier schon zu beobachten.
Er weckte in den biedcrcn Landleuten den Wunsch, aucb
so bunt und prächtig einherzugehen, wie der Herr
Bischof oder der Meßner. Äuch hicrmit zeigt die Mode
eigentümliche Übereinstimmung. Das Eindringen der
Farbenskala der Volkskünst in die dekorative Kunft ist
ebenfalls auffällig bemerkbar.

Man wird den Einfluß des Klimas, der Luft bei
der Wahl der Farben feststellen können. Woher kommt
es, daß fast regelmäßig die gebrochenen Farben gemieden
werden? Einmal: das gibt zu wenig her; daö unge-
bildete Auge sucht das Derbe, Grelle; erft dem feineren
schmeicheln die Übergänge. Dann aber auch: die Natur
zeigt die Farben ebenso ungebrochen. Man sehe sich
die Hochgebirge, einc blühende Wicse an. Wie leuchtct
das alles! Rot, Gelb, Blau, Grün. Alles prangend
und klar. Ebenso an der See! Wie hell und rcin ist
die Luft und stellt alles >n schärfstcr Deutlichkeit hi».
Sich in dieser Natur zu halten mit der eigenen Er-
scheinung, dazu waren derbe Effekte nötig. Man wird
finden, daß in den Mittelgebirgen die Kontraste nicht
so auffallend sind.

Wie in der Form, so steht auch in der Farben-
gebung Sinnvolles neben dem Sinnlosen. Der Zweck-
widrigkeit, Verzerrung dort steht die Überladung, Ge-
schmacklosigkeit hier gegenüber. Nicht alles, waö grell
und ungeschickt aussieht, ift beste Volkskunst. ES läßt
sich auch hier eine Diziplin, eine Erziehung denken, die
in manchen Bezirken ftattfand, wo dann rcife Schöpfungen
herauskamen, in der Farbengebung so großzügig und

ro?
 
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