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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 9
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Schwerdtfeger, Robert: Kirmes
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Rüttenauer, Benno: Vom Münchner Glaspalast
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0114

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Kirmes.

wieder. Er kletterte hlnaus aus den Iweigen und
wieder hinaus in die Unendlichkeit. Er rief sich ein
kleineö Wölkchen und setzte sich hinein, daß eö ganz
dunkcl wurdc auf der Erde, ganz dunkel im Garten.

Durch eincn kleinen Spalt lugte er doch hinunter.
Aber er konnte nichts sehn.

Der Wind.

Leise slüfterte der Wind in den Baumkronen. Er
war den Tiefen der Nacht entstiegen, als dcr Mond
in die Wolke kletterte.

Leise flüsterte er.

„Jhr sollt Märchen hörcn, ihr innig Umschlungenen.
Seid ganz ftill und redet nicht. Eure Lippen haben
keine Zeit zu reden.

Die Märchen schlafen am Tag in dcn Kelchen der
Blumen. Ihr ncnnt daö Dust, ihr Menschen. Nachts
steigen sie aus ihren blühenden Betten und gleiten
träumerisch durch die Lust. Jch trage sie alle in meinen
allumsassendcn Armen. Meine Arme sind weich. Sie
umschlingen auch euch. Sie hebcn euch auf von der
Erde, tragen euch, in Duft gcbettet, von Märchen um-
gaukelt, über die Weiten.

Stille Teiche glänzen auf der Ebenc. — „Das sind
deine Augen, mein Mädchen." —

Mächtige Wälder schmicgen sich an die runden
Hügel. — „Daö ist deine starke Brust, mein Bursche." —

Jch trage euch über die Weiten. Euch beide sest
umschlungen trage ich mit meinen allumsassenden Arnien
über die Weite, in Dust gebettct, von Märchen um-
gaukelt. Unter uns glcitet die Welt dahin, immer
schneller, immer schneller. Sie rollt sich ab vor unö
und verschwindet hinter euch in nebliger Ferne, blau,
blau wie ein Meer von Saphiren.

Jmmer schneller, immer schneller. Rot lcuchtet es
vor euren Augen in dcr Ferne. Daö ist die Sonne.
Wir holen sie ein in rasendem Flug. Bald wird sie
vor uns aussteigen. Roter, immer roter wird der
Horizont, dcr unS in jeder Sekunde ein neuer ist. Der
ganze Himmel taucht unter in rot, rot, rot.

„Jch sürchte mich, eö geht so schnell." —

„Halt dich fest an mir, niein Mädchen." —

Ja, umschlingt euch, wie ich euch beide umschlinge.
Seht ihr — seht ihr? O, wie strahlend, o wic hell —
weiß wie die Stirn des Allwiffcnden; heiß wie das
Herz des Allgütigen; Leben erweckend wie die Hand
deö Allmächtigen.

Umschlingt euch. Gerade in die Sonne hinein fliegen
wir, mitten hinein in rasendem Flug!" —

So flüstert der Wind in den Baumkronen und
erzählt — Märchen.

Das Nachtwächterhorn.

Der Wind hat zu flüstcrn ausgehört. Er schweigt.
Alles rings schweigt mit ihm. Müde dehnt sich die
Nacht. Sie atmet. Langsam streicht ihr Atem über
die Erde. Er gleicht einem glückseligen Seuszen. Wenn
er durch die Büsche hinaufgestiegen ist durch daö Dunkcl,
wird er zu Blumendust. Wolken von Dust fteigen
auf über dem stillen Garten. Aus dem Tanzsaal ver-
irren sich einzelne Klänge in die Nacht. Wie bange

junge Vögel huschen sie durch das Dunkel und sallen
aus den tauigen Rasen.

Da bellt fern ein Hund. Über die Dorfftraße
kommcn tastende Schritte. Leise, leise. Langsam schlei-
chen die schlürfenden Sohlen deS Nachtwächters über
daö Pflaster.

Dann ist wieder kein Laut zu hören.

Plötzlich abcr tutet es laut durch die Nacht. Lang-
gezogen tutet es, ein Mal, zwei Male, drei Male. O
so laut, so hart tutet es. Die Nacht erschrickt. Jhr
Atem stockt. Dcr Dust flieht zurück in die Blüten.
Unwillig rauschen die Blätter der alten Kastanie.

Der Bursche und das Mädchen sahren jäh auf.
Wie hat das Nachtwächterhorn sie erschreckt! Das
Mädchen erhebt sich hastig und eilt fort. Langsam
folgt ihr der Bursche. Seine Augen glänzen.

Das Nachtwächterhorn aber rust wieder. Mahnend
ruft es; hämisch tönt sein Rus. Er ist, als mißgönne
es den Iungen den Tanz und die stillen Stunden im
Garten. Es rust:

„Drei schlug es. Drei schlug die Uhr vom Turm.

„Schlast ihr, Leute? Nein, ihr schlast nicht.

„Jhr tanzt, ihr Nachtschwärmer — tu —u —ut —
ihr tanzt.

„Jetzt aber geht schlafen, es ist drei vorbei.

„Ins Bett, ihr Lumpen, ins Bett."

„Tuut — tuut — tuut!"

om Münchner Glaspalast.

Was man auch alles gegen den großen inter-
nationalen Kunstmarkt, den München alle vier
Jahre in seinem Glaspalast abhält, sagen mag, ins-
besonderc vom nationalökonomischen Standpunkt auö,
so läßt sich doch auch zu seinen Gunsten manches an-
bringen. Iwar glaube ich nicht an das Argument, das
man gern als obcrsteö anführt: alS ob die deutsche
Kunst davon eine große Förderung zu ersahren, als ob
die deutschen Künstler dabei viel zu lernen hätten. Es
mochte wohl eine Zeit geben, wo das zutras; heute
sicher nicht mehr. Man müßte denn dem Argument
cinen Sinn bcilegcn, den es von sich auS nicht habcn
will. Nämlich den: daß solche Ausstellungen der
deutschen Kunst die bcfte Gelegenheit bieten, zur Selbst-
besinnung zu kommen, ernste Einkehr bei sich selber zu
halten; womit zuletzt nur die sehr allgcmeine Wahrheit
ausgesprochen ist, daß man nur an den andern und
durch die andern sich selber kennen lernt — in seinen
Stärken, wie in seinen Schwächen. Das Jntereffanteste
an solchen Vorsührungen aber: der seit einiger Zeit be-
sonderö inbrünstig verteidigte und inbrünstig geglaubte
Aberglauben vom unnationalen oder national-gleich-
gültigen Wesen und Charakter der Kunst wird durch
sie gründlich aä adsuräaill gesührt. Zwar nicht so stark
wie seit langem durch die Kunstgeschichte selber („sie
haben Moses und die Propheten und glauben ihnen
nicht.") aber doch deutlich genug. Und in diesem Sinn
vor allem hat das Wort vom „Lernen" seine Richtigkeit.
Zu lernen ist nicht, wie mans machen soll, weil es
andere so machen, sondern: daß nur das gut wird.
 
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