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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 9
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Rüttenauer, Benno: Vom Münchner Glaspalast
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0116

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Dom Münchner Glaspalast.

sich selber viel bedeute. Die Medaille hat also eine
starke Kehrseite.

Aber er ist schon ganz entzückend, dieser große
Saal der Sezession in seinem vornehmen Grau, darin
die dünngesäten Bilder mehr zu hängen scheinen, um
dcn Raum zur Gcltung zu bringen als sich selber. Es
hängt hier auch nur gute „Malerei", das muß man
ohne weitereö zugeben, ebenso wie in den vier andern
sezessionistischen Räumen. Auch das sorciert Aufsallcnde -
in Gegenstand und Machc — tritt gegen früher sehr
zurück. DaS ist eine wohltuende Beglciterscheinung, die
daS Streben nach Gesamtharmonie mit sich bringt.
Nur zwei Berlincr Mitgliedcr machen eine AuSnahme.
SlevogtS „Kleopatra" steht mit der schwerfällig vor-
dringlichen Behandlung dcr verschiedenen Stoffe der
alten Pilotyschule näher als der Autor ahnen mag und
die „Gefangencn" von Louis Corinth lasscn einen fast
ganz gleichgültig. Wozu diese Ketten? Das sind zwei
tüchtige, schr tüchtige Akte, die man als solche meinet-
wcgen sogar bewundern kann; abcr sonst vermag das
Bild in der Seele nichtö auszulösen, waö zu der Titel-
gebung den geringstcn Bezug hat. Aber auch kaum
eine rein sinnliche Wirkung gcht z. B. von diesem
grandios modellierten Weiberkorper aus. Man sragt
sich unwillkürlich, warum dicseö strotzende Fleisch so
kalt läßt. Wäre es etwa das „Akademische" daran?

Und warum wirkt bei einem Habermann, nicht weit
davon, trotz der wenig reizvollen Modelle, das Fleisch so
„packend", so „sinnlich", so von Leben durchzittert, so
von sprühenden Nerven durchzuckt. Ia, warum?
Dieser Maler scheint eben doch waö er schafft ganz
anders im innern Herzen zu spüren, und wir sagen
das ist „gesühlt", künstlerisch gesühlt natürlich. Oder
ist daö nur laienhaftes Gerede, und liegt das ganze
Geheimnis seiner Wirkung nur darin, daß er eben über
sprechendere treffendere, in höhcrem Grad lebendig
machende AuSdrucksmittel verfügt, die in der Uber-
setzung daö Leben nicht vermindcrn und verarmen,
sondcrn erhöhen in seiner Wirkung auf uns? Ob man
cs so oder so sage. Das einzige was wir vermögen,
ift allein: Das Resultat zu spüren und zu konstatieren.
Dieser altfränkische Freiherr von Habermann hat nicht
seinen Beruf, aber, man möchte sagen, sein Vaterland
verfehlt si er ist, nicht nachahmerisch aber atavistisch, mehr
Franzose als Deutschcr und wäre sicher, wenn er in Paris
malte, heute cine der größten curopäischen Berühmt-
heiten in der Kunst. Denn in diesem Sinn (auch die
Litcratur mit einbegriffen) ift Deutschland noch sehr
,„ftinterwinkel". Jn seinen Mitteln scheint sich Haber-
mann weniger als irgend einer um die modernen
Franzosen gekümmert zu haben, wcnigftens ist in seiner
Malerei nicht eine Spur davon zu entdecken. Was
seine Kunft nach der handwerklichen Seite charakterisiert,
ist ein starkeö Gesühl für Tradition (alte malerische
Kultur) in Verbindung mit einer sehr eigenwilligen und
im Temperament starken Pcrsönlichkeit. Er hat daö
Blut der Alten im Leibe und ist doch ein ganz Moderner.
Wie stark die Tradition in ihm ist, übermächtig wird
sie nie, die moderne Persönlichkeit behält immer das
letzte Wort. Wir haben hier in München berühnm:
Tausendkünstlcr, die alles mögliche malen können und
dafür bewundert werden; Habermann könnte sich auf

den Kops ftellen, er würde immer nur einen „Haber-
mann" malen. Weil eben bei ihm hinter dem Hand-
werk eine schars umrissene geistige Physiognomie hervor-
schaut. Eö ist die Physiognomie altgroßstädtischer Kultur,
in der neben tausend anderen Zngredienzen das Gegen-
teil von Spießbürgerlich-Moralischem ftark hervorspricht,
soweit eben solche Dinge auch in der reinen Kunst
als Lebensgefühl zum Ausdruck kommen. DaS ist das
Atavistlsch-Aranzösische in ihm. Das recht eigentlich
Unmünchnerische. Und natürlich wäre es in Paris
etwas andercö geworden. Daß wir es gelegentlich als
besremdlich und schrullenhaft empfinden — ohne die
starke Basis von Meisterschaft zu verkennen — hat viel-
leicht seine Ursache darin, daß im ganzen eben die richtige
Atmosphäre gefehlt hat.

Habermann seiert diesen Monat seinen sechzigste»
GeburtStag, und dieser Umstand wäre ein guter Grund
gewesen zu einer Kollektivausstellung, wozu aber Jahr für
Jahr nur sür Fritz von Kaulbach — auch natürlich aus
guten Gründcn — Raum ist im Glaöpalast. Den Raum
sür eine Habermann-Ausstellung hat ftatt dessen die
„Modcrne Kunsthandlung" aufgebracht (Goethestr. <54).
Wcr mit künstlerischcm Jnteresse nach München kommt,
wird sich ohnedies dort umsehen.

Zu Habermanns etwas unausgeglichen und fast
beunruhigend wirkendem, aber entschieden genialischem
Wesen bildet Graf Kalkreuth den intereffanteften Gegen-
satz. Still, solid, vornehm sind die Prädikate, die einem
hier auf die Lippen kommen. Dieser deutsche Graf
war lange von dem sranzösischen Bauern Millet fasziniert,
dessen feierliche Gefte hatte es ihm angetan. Auch noch
andere Einflüsse von jenseits der Vogesen hatte er zu
überwinden. Jn seinen diesjährigen Landschaften und
noch mehr in einem Damenbildnis, das zu den besten
der ganzen Ausstellung gehört, klingt keine fremde Note
mehr hervor, sie weisen auf vollendete Selbftändigkeit.
Dieses Porträt ist eine so glückliche Synthese von geifti-
ger Durchdringung und koloristischcm Oberflächcnreiz und
hält in so delikater Weise die Mitte ein zwischen Bild-
flächigkeit und räumlicher Verticfung, daß eine Wirkung
von ihm ausgeht wie von einem klassischen Werk.
Sambergerö Bildnisse wirken daneben, bei aller Geistig-
keit und Lebendigkeit, verblasen, wie flüchtige Moment-
bilder, wie halbe Karikaturen, im Kolorit unpersönlich;
und eine junge Dame von Karl Haider redet in zu
altertümlicher Sprache, die uns daö frische, blühende,
gegenwärtige Leben wie in einer Art Erftarrung zeigt.
Dieses sonst so meisterliche, nur allzu alt-meisterliche
Bild läßt uns recht deutlich fühlen, welche belebende
Kraft, so physiologisch wie künstlerisch, vom Lichte auö-
zugehen vermag, auf das wir darum mit Recht in
unserer modernen Malerei nicht ohne Not verzichten
mögen, auch wenn wir einer gewissen übertriebenen
Sonnenfleckenfexerei keineswegs das Wort reden.

An lichtcr Farbenherrlichkeit das Höchste erreicht Fritz
Erler in seincn Bildnissen, die in der gewollten Verzicht-
lcistung auf den Raum biö zum Außersten gehen (bis
zur Anstößigkeit wird mancher sagen und von Plakaten
reden), die aber durch das, was da ift und gewollt ist,
durch eine geradezu wollüstig wirkende Farbenkraft, in
Verbindung mit zartester Harmonie, reichlich für das
entschädigen, was nicht da ist und wonach man nicht
 
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