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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 11
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Schäfer, Wilhelm: Was machen wir mit unserer Altstadt?
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0182

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Was machen wir mit nnserer Altstadt?

Da helfen alle Versicherungen nichts, solange nicht tat-
sächliche Beispiele vorgezeigt werden können.

Die neugebaute Altstadt in Stuttgart war eins, heute
geben wir ein anderes aus Koblenz, daS zwar erst Projekt
ist, aber zur Ausführung gesichert scheint. Es ist von
anderer Art, durch die grundsätzliche Veränderung der
praktischen Verhältnisie. Während in Stuttgart der trau-
liche Charakter eines vom Verkehr abgeschiedenen Klein-
bürgerviertels beibehalten wurde, will daö Koblenzer Pro-
jekt auö einem demolierten Stadtteil ein belebteö Geschäfts-
viertel machen. Koblcnz ist ursprünglich, wie man weiß,
keine Rheinstadt, sondern lag mit seinem alten Stadtteil
an der alten Moselbrücke, da wo der Verkehr von der
Kölner Landstraße herüberkommt. Dieser Verkehr ist auch
noch heute ein ungewöhnlicher, der sich durch dcn „Alten
Graben" eng in die Stadt eindrängt. Das Projekt will
ihn durch gute Geschäftöhäuser ausfangen und mit einem
neuen Straßenzug direkt in die Stadt leiten.

Was an den beiden Ansichten (Abb. I u. Z) auf-
fällt, ift die Laubenbildung, und hierüber muß wohl
ein grundsätzliches Wort gesagt werden. Keiner wird
sich dem Reiz dicser gedeckten Gänge verschließen; nur
erhebt sich die praktische Frage: woher bekommen die
Ladenräume ihr Tageslicht? Wer an die tiefen Dachs-
höhlen denkt, wie sie z. B. in Bern bestehen, wo am
hellen Tag die Lampen brennen, wird leicht nur eine
altmodische Spielerei darin sehen, obwohl es sür den
Großstädter in unserm Klüna ein wesentlicher Vorteil
ist, auch bei Regenwetter in der Stadt spazieren zu
können. Da aber das Schaufenster heutzutage unent-
behrlich ist und dadurch eine andere Lichtquelle, als die
von der Straße her, sür größere Geschäftsräume nötig
ist, wird es sowieso für den Architekten die dringendste

Aufgabe sein, für andere Lichtzufuhr zu sorgen. Gut
angelegte Läden pflegen deöhalb ihr Licht von den Hösen
her zu erhalten, die meift breitere Lichtschächte alö die
engen Straßen sind — wenn sie nicht wie die großen
Warenhäuser und Banken bci großer Tiefe ihre Hellig-
keit durch Oberlicht erhalten. Ein mit Bedacht gebautes
Geschäftshaus kann also unbcschadet diese Laubengänge
sühren, die einer breiten Faffade ein schöneres Schau-
bild geben als die Eisenschwellcn der modcrnen Läden.

Was an der Architektur altmodisch wirkt, ist das
hohe Barockdach. Es hat praktijch den Vorteil, ein
Stockwerk mehr zu liefern, und ist unserm Klima jeden-
sallö gemäßer alö die Renaissance-Faffade. Es war
wohl überhaupt nicht richtig, nachdem sich der nordische
Bau zu dieser schönen Dachsorm entwickelt hatte, davon
einer historischen Spielerei zuliebe wieder abzugehen.
Wir sollten heute in einer gegenteiligen Neigung nicht
zu ängstlich sein. Jm übrigen hat dcr Baumeiftcr,
Conrad Reich heißt er, in seinem Gebäude sür die
„Mittelrheinische Bank" in Koblenz den Beweis er-
bracht, daß seine sertige Architektur nachher lebendig
und modern genug aussieht. Gerade dieseö Bankgebäude,
das in Koblenz der Fefthalle gegenüber seine schlichten
Formen zeigt, muß jedem feinsühligen Auge eine freu-
dige Genugtuung sein, daß wir nun endlich wieder den
Alten gleich ein Bauwerk als einen kubischen OrganiS-
mus und nicht mehr als Faffadenschale empfinden. Es
ist von den modernen Gebäuden in Koblenz das reifste
Stück, ebenso einfach wie edel in seinem rcichen grauen
Tuffftein. Wenn dem Künstler — waö nicht bezweifelt
zu werden braucht — sein „Neubau der Altstadt" ebenso
gerät, wird Koblenz den andern Rheinstädten um eine
moderne Sehenswürdigkeit voraus sein. D.

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