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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 11
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Bacmeister, Ernst: In Konkurrenz mit dem Kunstwerk
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Carolus: Nebel am Rhein
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0188

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Jn Konkurrenz mit dem Kunstwerk.

Gedanke seine Linie nur durch das Gehirn zieht und
Blut und Nerven nicht unmittelbar unter sich zwingt,
auch immer in Gesahr ist, in These und Antithese
dialektisch auseinanderzutreten und dadurch in der Seele,
die er zusammenschließen wollte, ftets von neuem
krankhaste Risse zu erzeugen.

Allerdingö in Einem ist die Vereinheitlichung der
Seele durch daö lebendige Kunstwerk der Annullierung
durch den toten Punkt auch noch wieder verwandt:
nämlich dadurch, daß sie nicht ohne eine gewiste Askese
gewonnen wird. Auch daö Kunstwerk verlangt, daß
man der Welt um seinetwillen absterbe. Dazu lädt eö
nun zwar genugsam durch seine sinnlichen Reize ein;
aber da sein eigentlicheS Leben erst unstchtbar unter
der reizvollen Oberfläche liegt, so ist doch ein gewiffeö
Standhalten, über den schnell erlahmenden bloßen
Sinnenreiz hinaus, innerhalb seines Rahmens nötig,
um in seine Tiefe magisch hinuntergezogen und dadurch
in es selbst und in seine wahre seelische Einheit ver-
wandelt zu werden.

Darum mag die Konzentration auf den toten Punkt,
diese blödeste aller Askesen, dennoch als Willensgymnaftik
auch dem künstlerischen Erleben zugute kommen und in
der Erleichterung desselben ihre Belohnung finden. Jm
übrigen aber erscheint sie als eine mephistophelische
Karikatur des im Gegensatz dazu gleichsam von Gott
verordneten Heilmittels für alle Ierrissenheit der mensch-
lichen Seele, nämlich der Versenkung in das lebendig-
einheitliche Kunstwerk.

Nun könnte es aber vorkommen, daß Gott und
Mephistopheleö sich zu einer Wirkung zusammenfänden
und der Mensch vor diesem problematischen Bündnis
verwirrt ftände und nicht wüßte, wem er sich heilsuchend
ergeben soll. Diese Fiktion würde ein Kunstwerk ver-
wirklichen, bei welchem die innere, unmaterielle Einheit
eine solche Einheit im äußeren materialen Ausdruck
nach sich gezogen hat, daß der Mensch, welcher sich
diesem Kunstwerk hingibt, in ein unbesiegliches Schwanken
geriete und immer wieder an der Einsühlung in den
bei aller Einheitlichkeit doch breit schwebenden Gesühls-
gehalt verhindert würde durch die Medusenaugen-Gewalt
deö toten technischen Mittelpunktes. Eine solche mephisto-
phelisch-göttliche Doppelwirkung üben annähernd manche
Bilder von Rembrandt auS, die in Versuchung sühren,
sich an einem zentralen Lichtpunkt totzustarren, während
sie zugleich die reichfte Belohnung für die Versenkung
in ihr glühend-lebendiges Jnnere ahnen lassen. Er ift
darin — vielleicht glücklicherweise — einzig. Jm all-
gemeinen bewahreu uns die Künstler — um es typisch
zu sagen — durch den Nebenreiz einer schönen Hand
davor, daß wir uns am Auge der Madonna festsaugen
und an ihm ins Starren kommen, bis uns die Pupille
darin plötzlich zum toten Punkt wird. Wo Gott uns
helsen sollte, würde sich sonst gar zu oft der Teufel
vordrängen, und ftatt ein heilig - unterbewußtes, welt-
und selbstvergessendes, völliges und doch heilsam-ein-
heitliches Wallen und Weben der Seele vom Kunst-
werk zu empsangen, würde nur gerade unser Bewußt-
sein einen kahlen, gewiß auch von Unrast und Überlast
vorübergehend erlösenden, aber unser Menschtum auf
das Niveau des blöden Steines herabdrückenden Tod

fterben. Wir würden nur negiert, statt neu geschaffen
und frisch konstituiert werden. — —

Diese seltsame Erörterung verdient einen seltsamen
Schluß. Ein Gedankenspänchen ist uns unter den
Tisch gesallen, das wir gerade noch aufheben und an-
fügen wotlen.

Das tortlum oomxaratioms von Punkt und Kunst-
werk in unserer Betrachtung, nämlich ihre hygienische
Wirkung durch Iusammenschluß der zerrissenen Seele,
sührte bei der Charakterisierung des Punkteö zu dcr
Bemerküng, daß derselbe keine Semmelkrume sein,
mindestens uicht alö solche betrachtet werden dürfte,
weil sie sonst die Seele auf dem Wege der Assoziation
sogleich durch sich selbst wieder in die Welt und in
unsere vielfältigen Beziehungen zu ihr zurücklciten würde.
Aus demselben Grunde darf daö Kunftwerk nicht in
irgendeinem Sinne aktuell sein oder so genommen
werden. Alle anekdotische, historische und naturalistische
Kunst, alle Programm - Musik, alle Tendenz- und
didaktische Dichtung — kurz alles, was nicht im eigenen
Rahmen, zum reinen Kreiölauf von Gefühl und Aus-
druck verewigt, sich mit sich selbst erledigt, ist für die
Seele — Semmelkrume: etwaö, um sich damit zu
sättigen, aber nicht um daran selig zu werden.

Ernst Bacmeister.

Von Carolus.

Wache ich jetzt morgenö auf, sind die leinenen
Bettlaken beunruhigend feucht. Daö ist kein
unheimlicher Frühlingsschweiß; daö ist richtige Herbst-
näffe. Liege ich morgens müde blinzelnd im Bett, die
letzte Minute der Aufstehenszeit faul abwartend, quillt
rechts und links des Fenstervorhangs, oben durch die
Ringe und durch die leise wehenden Falten des Saums
dichter Nebel ins Schlafzimmer, sodaß der Waschtisch
weit entrückt scheint. Will ich mich ankleiden, muß
ich vom Spiegel den feuchten Dust wegwischen, der
über dem Glas liegt wie der matte Fruchtstaub über
unberührten Herbstpflaumen.

Käthe, die sich abends die Stirnlöckchen dreht und
immer mit frischgewelltem Haar am Kaffeetisch erscheint,
hat seit einigen Tagen die Fenfter geschloffen, weil jede
Abendtoilette umsonst war. Morgens klebten ihr die
hübschen braunen Haare an der Stirn, als hätte sie
sich mit Wasser frisiert. Als ich heute ftüh durch die
Ulmenallee ging, war es ein richtigcs Tauwetter.
Tripp-trupp, trupp-tripp fiel es von Blatt auf Blatt und
vom untersten herab auf den Weg, als regne es im
Schneckentempo. Tripp-trupp, trupp-tripp. Millionen
Spinnengeweben hatte der Nebel ihr geheimnisvolles
Dasein enthüllt- Alle diese heimtückischen Fallen der
Spulenbäuche waren wunderfein beperlt. Die schönen
senkrecht ausgespannten Netze der Kreuzspinne, die wage-
rechten, leinendicht gewebten Meisterwerke der Weg-
spinnen, die wie Treppenstufen die Böschungen und
Büsche hinausführen, und die fliegenden Fäden jeneö
kleinen schlauen Aviatikers, der den Altweibersommer
macht, alle schimmerten wie silbernes Engelshaar am
kunstvoll aufgeputzten Weihnachtöbaum und tripp-trupp.

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