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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 1
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Trog, Hans: Josef Victor Widmann
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Rüttenauer, Benno: Wilhelm Jensen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0040

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Iosef Victor Widmann.

Leben, Natur, Kunst sich ihni darbot. Die Reisebücher,
die daraus geworden sind, bilden den lichten Abglanz
dieser Reiselust. Er ging nicht auf die Wanderschaft in
die Berge, an die Seen, in den heißgelieblen Süden,
um nachher darüber zu schreiben, sondern er schrieb
darüber, weil er das Bedürfnis empfand, die Andern
an seinen Wonnen, Entzückungen und — gelegentlich
auch — Entrüstungen teilnehmen zu lassen. Er kostete
ein zweites Mal gleichsam sein reiches Erleben. Und
wenn die Muse bei ihm zu Besuch war, widmete er
sich ihr ganz, wie ein freier Mann, und den Kritiker mit
der Danaiden-Arbeit, das nie abflutende Büchermeer
auszuschöpfen, ließ er hübsch draußen warten. Eine
fabelhafte Okonomie seiner Kräfte war Widmann eigen.
Sie ist das Geheimnis dieser seltenen Vereinigung von
Kritiker und Dichter.

Die Sonne hat er einmal schalkhaft sein Liebchen
genannt. Sonne war in ihm, in seinem Wesen, in seinem
Schaffen. „Du schöne Welt, hab Dank, hab Dank!" —
nicht nur seine Blaudrossel singt so beim Abschied aus
dem Dasein; das war auch das tiefste Gefühl Josef
Victor Widmanns, des Osterreichers, der einer der besten
Schweizer geworden ist. H. Trog.

ilhelm Jensen (f 24. Nov.).

Er hat schon gekrankelt, als er im ver-
flossenen März bei der Münchner Raabe-
Feier dem hingegangenen Freund die poetische Grab-
rede sprach, dem er nun rasch nachgefolgt ist. Auf Frauen-
chiemsee im Schatten der alten romanischen Kloster-
kirche haben sie ihn, den norddeutsch-protestantischen Ant-
agonisten, zur Ruhe gebettet. Das könnte ein Wider-
spruch sein, aber er ist dennoch begraben, wie er gelebt
hat: als Romantiker.

Denn das vor allem war Wilhelm Jensen. Sogar die
mittelalterlich-katholischen Velleitäten der andern fehlten
nicht, er hatte das unüberwindliche Bedürfnis, sich sein
Leben lang in bitterem Kampf mit ihnen herum-
zuschlagen. Er konnte sie keinen Augenblick beiseite
lassen. Sein Atheismus, worauf er sich so viel zugute
tat und womit er sich naiv auf dem Boden der Wissen-
schaft glaubte, war für ihn nur die unabwendbare
Nötigung zu einer ewigen Auseinandersetzung mit dem
Gottglauben, den er erblich im Blute trug. Er war
als Kämpfer ein wenig jener edle romantische Ritter
von der Mancha.

Auch sein Poetentum — er hatte mehr davon, als
die meisten seines Gewerbes — war romantisch bestimmt
und begrenzt. Das „Poetische" außerhalb des Realen
oder über dem Realen hinaus zu suchen, dieser schlimmste
Jrrtum gewisser romantischer Theorien, war auch der
seinige. Er war ein Geringschätzer der Wirklichkeit. Das
rächte sich bitter. Verachten mag der aristokratische „Geist".
Aber die helle Freude und Lust an jedem Menschen-
getier, das eben macht den Künstler, will sagen, den
Poeten. Was man geringschätzt, wie sollte man das
mit Liebe anschauen, oder gar mit Liebe darstellen. Ein
so gearteter Geist wird ein Fremdling im Land der Wirk-
lichkeit, und zwar um so mehr, je mehr er Träumer ist:
ein böses Verhängnis für einen Dichter und gar für

einen, der Romane schreibt. Er vor allem braucht das
volle Menschenleben. Und indem er davon Gebrauch
macht ohne Liebe, die nichts anders bedeutet als ge-
sunden Wirklichkeitssinn, kann er es nur karikieren.

Jmmer mehr wurden Jensens Romane geistreiche
Karikaturen — geistreiche, ja, aber, was schlimm ist:
ungewollte! Sie sagen uns von der Welt so viel wie
nichts und auch von ihrem Autor immer weniger. Denn
nichts gibt sich rascher aus als das Subjektive. Wo das
bei Jensen noch nicht der Fall war und der Schmetter-
ling der Seele noch unversehrt war in dem ihm eigen-
tümlichen tiefen Schmelz der Farben, wie in seinen
frühesten Büchern, wurden diese gerade von intelligen-
teren Menschen mit gutem Grund als poetische Offen-
barungen empfunden, und Jensen verdiente es mit
diesen Werken, den Besten jener Zeit, wovon er die
meisten durch Kraft der Sprache und Eigenart über-
traf, zugezählt zu werden. Und vollends, ich will nicht
sagen, ganz Meisterliches, das Wort könnte mißverstanden
werden, aber ganz Hervorragendes und in gewissem
Sinn Außerordentliches schuf Jensen einigemal bei
Behandlung von Stoffen, die derart sind, daß sie auch
entrückt aus der Wirklichkeit bestehen können, weil ihnen
eine andere Wirklichkeit, die der des Traumes verwandt
ist, eignet, und wo das Gedicht sich webt rein aus inneren
Gesichten der Phantasie und eben jenen Farben der
Seele, wovon die Rede war: weshalb denn einige dieser
Erzählungen, wie der grausig schöne „Eddystone", un-
endlich farbiger in der Erinnerung haften als etwa irgend
eine Novelle von Paul Heyse.

Am ungestraftesten aber mag den Wirklichkeitssinn
entbehren: der Lyriker. Auf dem Gebiet der Lyrik hat
Jensen sein Talent reiner als sonst entfaltet. Seltsamer-
weise aber ist sein lyrisches Werk fast ganz in der Dunkel-
heit geblieben. Hatte das auch innere Gründe? Oder
nur äußere und zufällige? Das habe ich mich oft gefragt.
Die Antwort darauf zu geben, wage ich auch heute nicht.
Es ist möglich, daß ich Jensens Gedichten zu nahe und
nicht unbefangen genug gegenüber stehe. Aber wünschen
möchte ich und möchte es hier anregen, daß ein be-
rufener jüngerer Kritiker die Frage aufgriffe, einer,
den die Liebe nicht blind und die Fernheit einer Sache
nicht ärgerlich macht über die eigene Kurzsichtigkeit.
Auf einen Urteilspruch vor der richtigen Jnstanz, wie
der Spruch auch falle, darauf wenigstens hat Wilhelm
Jensen Anfpruch, der seine ganz eigene persönliche Poesie
mit ihrem Einschlag von Natur-Pantheismus sehr gut
in diesen Aeilen charakterisiert hat:

Der größte Dichter ist das Kind allein....

Was in geheimnisvollen Ahnungsstunden
aus Wolkenzug und Wind, aus Duft und Klang
ihm schön und schaurig in die Seele drang
als Heimat, eine unbekannte Welt,
im eignen Jnnern wunderbar erhellt,
draus höchstes Glück das Herz ihm überschwoll,
daraus ihm Trost für jedes Leid entquoll:
das ists allein, was aus der Tiefe dringt,
darin der Dichtung Zauberquell entspringt.

Man könnte sagen, daß solche Verse (wie auch Jensens
so peinlich sorgfältige aber barocke Prosa) letzten Endes
den strengen Künstler vermissen lassen; aber wäre das
eine Erklärung für Nichterfolg bei Deutschen?

Benno Rüttenauer.

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