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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 1
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[Besprechungen und Notizen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0046

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(^^ie internationale Kunftausftellung in Rom.

An sich scheint nichts plausibler, als in einem IubiläumS:
jahr eine internationale Kunstschau in der Stadt abzuhalten, zu
der alle Wege der Kunst einmal geführt haben. Aber es war doch
ein ganz anderes Bild, das Rom und eine römische Kunstausstellung
vor 100 Iahren gegen das heutige Rom boten. Damals als die
Carstens, Koch, Reinhardt, Cornelius und Genossen sich in Rom
trafen, war Rom wirklich ein Zentrum der Kunst, die Luft gesättigt
von Künstlerlaune und festlicher Stimmung, die Stadt erfüllt von
malerischen Schönheiten der im mittelalterlichen Schutt stecken
gebliebenen Antike, der monumentalen Pläße barocker Herkunft
nnd der schmuhigen, vcrkommenen Gassen der Gegenwart. In
diesem Rom wollten sich die Künstler begeistern. Hier wollten
sis lernen und schaffen, und hierher kamen die Kunstfreunde, im
Verkehr mit den Künstlern zu schwärmen und Kunst zu sammeln.
Danials war Rom ein internationaler Sanmielpunkt für Kunst
überhaupt, Anreger und Vermittler zugleich. Wie amüsant charak-
terisiert es die Situation, wenn der Maler Koch erzählt, daß die
Bereitschaft eines reichen spleenigen Lords, Bilder zu kaufen, nur
mit stundenlangem Anhören maßgeblicher Ansichten über Kunst
erworben wurde, wovon sich Koch einmal nur durch zweistündiges
Ausharren an einem kleinen finsteren Örtchen seines Hauses retten
konnte.

Seitdem ist Rom Welt- und Hauptstadt des modernen, in-
dustrialisierten Italiens geworden. Seine Kunstschähe sind kata-
logisiert und museal geordnet, das Forum ist eine nüchterne Lektion
der Archäologie geworden. Die kunstfördernde und kunstprodu-
zierende Atmosphäre ist ganz gewichen. Geblieben ist nur die
Fremdenstadt, in der sich das zureisende Dolk mit moderner Ge-
schäftigkeit auf die aufgestapelten Kunstschähe stürzt, um sie in
möglichst kurzer Zeit zu verschlingen und zu verdauen. Wo heute
Kunst geschaffen wird, geschieht es ohne Rom, wenn nicht im Gegen-
sah zu Rom. Rom selber ist wie eine ungeheure Ausstellung ge-
worden, in der Kunstwerke von höchster, weltgeschichtlicher Be-
deutung des Besuchers warten.

War es da überhaupt ein glüMcher Gedanke, das Iubeljahr
mit einer Weltkunstschau zu feiern? Auf wessen Interesse rechnete
man dabei, das der Italiener, die aus der Provinz nach Rom
kommen und an der großen Stadt genug zu sehen hatten, oder
auf die Fremden, für die die Ausstellungen nur die günstige
Gelegenheit boten, auf billige Weise nach Rom zu kommen. Iedcn-
falls, wenn eine solche Ausstellung neben Rom, der Stadt, neben
Peterskirche, Sixtina, Farnesina, Forum und Via Appia eine
Anziehungskraft ausüben sollte, dann müßte mit gewaltigen, ja
gewaltsamsn Mitteln gewirkt werden. In diesem Nebeneinander-
stellen der Nationen war zu berücksichtigen, daß der Besucher Roms
für die Ausstellung die geringste Zcit übrig hatte. Was die einzelnen
Nationen von sich zu sagen hatten, mußte deshalb brutal unter-
strichen werden. Im Grunde ist das ja immer auch das Wesen
römischer Kunst gewesen, von dcn alten bis zu den neuestenRömern,
etwas äußerliche Pose, viel Fanfare und die größte Rücksichtslosig-
keit in der Bewältigung von Massen. Als sich das Genie Michel-
angelos dieser Kunst bemächtigte, wuchs sie ins Gigantische in Form
und Inhalt. Damit ist nicht gesagt, daß nun eine Kunstausstellung,
die neben dem monumentalen Rom noch zur Geltung kommen
wollte, Werke hätte vorführen müssen, die an Jnhalt und Form
mit dem italienischen Barock gewetteifert hätten. Melmehr liegt
ja darin die ganze Bedeutungslosigkeit der modernen italienischen
Kunst, der Plastik noch mehr wie der Malerei, daß sie sich von
dem Theatralisch-Bühnenmäßigen riesiger Figurenbilder niemals
hat losmachen können, und der italienische Teil der Ausstellung
bewies das von neuem. Dielmehr mußte in der modernen Kunst
wie bei jeder Nationalität dasBesondsre, das Fremde und Heimische
betvnt und mit einer geradezu frahenhaften Physiognomien-
deutlichkeit herausgeholt werden wie in Karikaturen Daumiers.
Einige Nationen haben das begriffen. Sie schickten nicht einzelne
Bilder auf die Ausstellung, sondern Dertreter, die ihr Wesen
im Guten wie Schlimmen brutal zur Schau stellten und zwar in
Kollektivausstellungen, da erst ein ganzes Oeuvre die Einseitigkeit
eines Künstlers und die Eigenart eines Volkes offenbarte. Auf
die Kollektion Zuloagas, der die Spanier repräsentierte, ist in allen
Rezensionen geschimpft, die Mache gerügt worden. Aber der Saal
prägte sich ein mit seinem echt spanischen Gemisch von Grausamkeit,
Wollust und Schmiß. Die Schweizer warteten mit ihren eigen-
artigsten Künstlern auf, Hodler, Amiet, Buri; die Schweden
behaupten mit Kollektivausstellungen von Zorn und Larsson, daß
sie sie selbst sein wollten mit diesem modernisierten Lichtkultus,

dem nordischen Sigensinn und Familien- und Landbetrieb und einem
eckigen Parisertum. Wieder mochte man über einzelne Werke im
Guten wie Schlimmen denken, wie man wollte, man war orientiert.
Bei den Wienern mochte die stilisierte und geklügelte Perversität
Klimts Kopfschütteln erregen, aber man hatte mit einem Schlage
das ganze moderne wienerische Asthetentum. Und dagegen die
Deutschen? Von den Franzosen, die mit offiziellster Kunst den
Tiefstand der Ausstellung notierten, und den Engländern, die sicki
mit den großen Engländern des 18. Iahrhunderts herausrissen,
braucht hier nicht geredet zu werden. Es ist allgemein anerkannt,
daß die deutsche Ausstellung gut war, sehr geschmackvoll und durch-
weg mit Werken von Qualität erfüllt, wenn auch von einem gewissen
mittleren Niveau. Und doch war sie m. E. die verfehlteste der Aus-
stellungen, so physiognomielos, so wenig zusammengefaßt, so müh-
sam zu besichtigen. Auch die deutsche Ausstellung hatte einen retro-
spektiven Teil, der aber immerhin noch mvderne deutsche Kunst
zu nennen war, da er nicht über die Mitte des vorigen Iahrhunderts
hinausreichte. Auch hier waren lauter gute Bilder ausgestellt, aber
schon im Format zu klein, zu familiär. Und dann, ein bißchen Feuer-
bach, ein bißchen Leibl, ein bißchen Menzel, d. h. eins, zwei
Bilder, und gar kein Böcklin, wo sollte da ein schlagender Eindruck
deutscher Kunst herauskommen. Und nun erst die Säle der noch
lebenden Künstler. Aus einem halben Hundert deutscher Städte
hatte man Künstler und Werke gesammelt. Mit einem Gerechtig-
keitsgefühl, das einer besseren Sache würdig gewesen wäre, war
alles von Talenten berücksichtigt, was in deutschen Landen lebte.
Daß das allgemeine Niveau in Deutschland heute ein tüchtiges
sei, hätte man konstatieren können, aber es fehlte jede repräsentative
Note, jede Monumentalität in der Sammlung der Kräfte. Wie hätte
das gewirkt, wenn man einen Saal Thoma neben einem Saal
Liebermann ausgestellt hätte, von Corinth die kräftigsten Sachen
in einem Saal vereinigt hätte, überhaupt lieber geschmacklose, aber
starke Sachen vorgeführt HLtte. Nichts beweist besser, wie parti-
kularistisch ausgleichend und bureaukratisch man vorging, als daß
Künstler, die heute zufällig in derselben Stadt zusammen malen,
in denselben Saal zusammengehängt wurden, nicht aber die in
gleichem Sinne gemalten Bilder, das Münchnerische zum Münch-
nerischen, das Berlinische zum Berlinischen. So fiel der Cindruck
der Scholle z. B. ganz unter den Tisch. Die ganze Ausstellung
deutscher Kunst wirkte wie eine gute Jahresausstellung oder, wie
ein Provinzmuseum von hohem Niveau. Seltsam genug, daß ein
so monarchisch regiertes Land am demokratischsten in seiner Bilder-
auswahl verfahren war. Das Gebäude der deutschen Ausstellung
entsprach dem Inhalt. Es war unter den übrigen meist ganz kon-
ventionellen Theaterfassaden — nur das Wiener Gebäude hatte
eine ganz persönliche Note in seiner raffinierten Modernität — das
stillste, sehr geschmackvoll mit seinen ruhigen, geschlossenen Flächen,
aber auch farblos, ein der Zweckbestimmung vornehm angepaßter
säulenloser antiker Tempelbau. Aber es würde so wenig wie bei
den Bildern einen Sinn haben, hier ins einzelne zu gehen. Man
reist nicht nach Rom, um über Künstler eine Note abzugeben,
für die man sich nur zu Hause interessiert, wenn es sich um die
interne Kunstproduktion und Kunstkonsumtion handelt. Man
könnte höchstens nach Gründen fragen, warum die deutsckie Aus-
stellung so vorsichtig, so unanstößig und so wenig weltgeschichtlich
ausfallen mußte. Es gibt schon einige Entschuldigungen: daß man
bei dem Leichtsinn der Italiener in verwaltungstechnischen Dingen
sich nicht leicht zu großen Wagnissen versteigen wird und Kostbar-
keiten an einem feuergefährlichen Ort zusammenhäuft; daß aber
auch die repräsentative Handhabung in der Dertretung der deutschen
Kunst bisher einen noch schrecklicheren Begriff von deutscher Kunst
zu geben pflegte, so daß eine gleichmäßige Berücksichtigung der
wirklich ehrlichen und zeitgemäßen Leistungen der neuen deutschen
Kunst schon ein'Fortschritt zu nennen war. Aber darüber kommt
man nicht hinweg: In diesem Falle fehlte dem Ausland gegenüber
die brutale Geste. Richard Hamann.

alenber und Iahrbücher 1912.

Was ein Kalender ist oder wenigstens bis vor dreißig Iahren
war, darüber hat Thoma neulich im Äorwort zu seinem Immer-
währenden Kalender sehr hübsch geplaudert: „In dem einsamen
Bauerntal war der alljährlich wiederkehrende Kalender fast das
einzige Bilderbuch, welches in die Häuser kam" .— „Ich hörte von
all den Geheimnissen, die der Kalender barg, daß er dem, der lesen
konnte, soviel Kommendes voraus sagen konnte, den lieben Früh-
ling und all die schönen Feste. Auch die Regenten, die den Charakter
des Iahres bestimmten, wußte er" — „Wenn'dann das Büblein
 
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