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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 4
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Schmidkunz, Hans: Straßennamen
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Bender, Ewald: Gundolfs Shakespeare
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0155

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hat man das aiilcrikanische, anch in Augsburg und in
Mannheim benntzte Systcm der bloßen Numerierung
der Straßen empfohlen, etwa so, daß auch noch Buch-
staben für die Hauptlinien als Grundtrager der Nunnnern
für die Seitenlinien dazukommen (L4 u. dgl.). Das
System sieht schlimmer aus, als es ist. Wohl nur seine
„Gemütlosigkeit" verdächtigt es. Aber auch in die Num-
mern von gleichnamigcn Fürsten, von Regimentern und
von Trambahnen haben wir uns hineingelebt, vielleicht
nicht ohne Gemütswarme.

Will man jedoch wirklich „seelische Werte" retten.
dann nehme man eine Nomenklatur, die bereits auf
einer vorhandenen Nomenklatur ruht und dadurch eine
feste Basis bietet: die Welt der naturgeschichtlichen
Namen. Vögel, Blunien und Steine bieten einen
kaum erschöpflichen Vorrat für eine künftige Pfaustraße
und Asternstraße und Opalstraße u. dgl. m. Die Au-
sammenfassung der Namen in homogenen Stadtvierteln
ist dann durch die naturgeschichtliche Klassifikation in
Ordnungen oder in Familien oder sonstwie ebenfalls
unschwer zu erreichen. Auch die zweckmäßige Ab-
stufung in Avenue, Allee, Straße, Gasse, vielleicht
selbst Gäßchen, Steig, Stieg und Steg fügt sich leicht
ein. Und die Ausdehnung der Städte ins Freie hinaus
legt die Namen von Naturprodukten erst recht nahe
und versetzt die auf die Dauer doch wieder unvermeid-
liche Künstlichkeit unserer Benennungen der Verkehrs-
flächen wenigstens mit einer kleinen Nuance von
Natürlichkeit. Straßentafeln endlich mit Abbildungen
des Pfaues, der Aster, des Opales usw., bei minder
Bekanntem mit einem netten Kommentarchen, mögen
das Hineinleben in diese gut einheitlich zusammen-
schließbare Nanienswelt erleichtern und vermögen noch
obendrein der schauderhaftcn Natur-Unkenntnis der
Stadtmcnschen ein wenig abzuhelfen. Ganz neu ist
auch das nicht: schon manchmal illustrierte das Bild
einer Blume die nach ihr benannte Gasse. —

Schreiber dieses darf wohl mit dem Wunsche schließen,
daß künftig keiner von seinen Briefschreibern mehr sich
nach Berlin Halensee mit der von ihm mitbewohnten
Joachim hm Friedrich hm Straße quälen müsse,
und wünscht als Ancrkennung seines Jnteresses für
städtische Verkehrs-Raison nur das Eine, daß niemals
jemand in die Versuchung gerate, irgend eine Straße
in eine, sei es nun eine Dr.-Hans-Schmidkunz-
oder sei es sonst eine derartige Straße umzutaufen.

Hans Schmidkunz.

undolfs Shakespeare.

Ein umfängliches Werk von 360 Seiten, soeben
erschienen im Verlag von Georg Bondi in
Berlin, trägt den Titel: „Shakespeare und der deutsche
Geist". Ertrakt sehr vertiefter und weitgreifender For-
schungen über Shakespeare und seine Wirkung auf
das deutsche Geistesleben, bedeutet das Buch zunächst
eine Rechtfertigung und Erklärung für des Verfassers
Friedrich Gundolfs monumentale Shakespeare-Aus-
gabe, von der weiter untcn zu sprechen sein wird.
Darüber hinaus erscheint das bedeutsame Werk als

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Gundolfs Shnkespeare.

Versuch in einer neuen Art, Literaturgeschichte zu
schreiben.

Dcnn indem Friedrich Gundölf sich bcmüht, ein
Stück Kulturgeschichte des deutschen Geistes darzustellen,
soweit durch Shakespeares Eindringen und dichterische Ge-
stalt im deutschen Schrifttum bis zur Romantik Kräfte ge-
wcckt und befruchtet worden sind, ja indem er die Kräfte
selbst, die Shakespeares Wirkung auf das deutsche Geistes-
leben erst bedingt haben, aus dem Kompler der totalen
Lebenserscheinungen der Aeit zu sondern, sie zu isolieren
und begrifflich zu sassen versucht, — entfernt er sich
bewußt von jener Form der „Chronik literarischer
Fakten", als die wir die Produktion unserer Literar-
historiker mit wenigen Ausnahmen kennen. Ahnlich wie
Wölfflin in seinen kunstgeschichtlichen Werken eine
Formengeschichte erstrebt, steckt sich der jüngere Schrift-
steller Gundolf das ferne Iiel einer „Kräftegeschichte",
einer Geschichte „lebendiger Wirkungen und Gegen-
wirkungen". Shakespeare erscheint ihm als „das mensch-
gewordene Schöpfertum des Lebens selbst". Jn seiner
Gestalt, „jenen Vorgang, durch welchen die schöpferische
Wirklichkeit dem Rationalismus erst ausgeliefert, dann
abgerungen und der deutschen Dichtung wieder fruchtbar
gemacht worden, und zwar jenen Vorgang als cin ein-
heitliches Werden" darzustellen, reizt ihn zu seincr Auf-
gabe, die wir mit dem Verfasser „nach Absicht und
Methode" eine neue nennen dürfen.

So ziehen in den drei Büchern: „Shakespeare als
Stoff, als Form, als Gehalt" mehr als zwei Jahrhunderte
deutscher Geistesgeschichte, gesehen aus dem Blickpunkt
Shakespeare, an dem Leser vorüber. Es wird der Zustand
der deutschen Literatur um die Wende des 16. und
17. Jahrhunderts, zur Aeit, als die Stücke Shakespeares
von englischen Komödianten auf den Kontinent ge-
bracht wurden, drastisch geschildert. Gundolf weist nach,
warum damals Shakespeare nur durch seine Dramcn-
stoffe wirksam sein konnte, wie dann der Rationalismus
des 17. und 18. Jahrhunderts die Deutschen auf den
„Dichter" Shakespeare vorbereiten mußte; und endlich
wird ihnen der schöpferische Genius in seiner Totalität
zum Schicksal. Die an Shakespeare entzündeten Geister,
Lessing, Wieland, Herder, Goethe, Schiller, die Stürmer
und Dränger und die Romantiker, sie ringen mit dem
Koloß, bis daß er sie segnet und deutsch wird in Schlegels
Übersetzung.

Die Absicht Gundolfs habe ich anzudeuten, seine
Methode, nach der er das ungeheure Material der Ge-
schichte verarbeitet hat, zu skizzieren versucht. Jede
tiefere Untersuchung müßte wissenschaftliche Erörte-
rung werden, und die ist in diesen Blättern schlecht
am Platze. Es mag genügen, den kultivierten Leser
über den Gehalt, und den formal Jnteressierten über
daS Schriftstellerisch - Handwerkliche dieses Buches zu
orientieren.

Awar den überreichen Gedankeninhalt des Werkes
auch nur in den Grundzügen zu reproduzieren, stellt sich
als eine sehr schwere, ja unmögliche Aufgabe dar, um so
mehr als die bedeutsamsten Bemerkungen oft in
Klammern und nebenhin, oder in allgemein philo-
sophischen, ästhetischen, literargeschichtlichen Erkursen sich
weit zerstreut finden. Dieses Buch will durchaus gelesen.

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