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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 4
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Braun, Felix: Deutsche Lyrik in Österreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0160

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<!^eutsche Lyrik in Osterrcich.

Einer der besten unter den neueren österreichischen Lyrikern,
Cainill Hoffmann, hat — durch außerordentliche Begabung
an lesender Einfühlung und kritischem »rteil hiezu vor allen
berufen — eine Änthologie dcutscher Lyrik aus Ostcrreich von
Grillparzer bis auf die jüngste Gegenwart zusammengestellt und es
ist ein schöner und reicher Band geworden, für den auch dem Ver-
lage — Meyer 8: Jessenin Berlin — ein Anteil Dank und
Ehre gebührt. Jn der knappen, doch völlig instruktiven Einleitung
wurde versucht, das Wesentliche des deutsch-österreichischen Tempe-
raments, sofern cs eine dichtcrische Erscheinung bedingen kann, zu
charakterisieren, wobei die Hauptakzente auf die landschaftliche und
eigcntümliche nationale Gestaltung des Reiches, auf völkische,
politische, auch gesellschaftliche Konstellationen gelegt wurden.
Jm Verfolg der Entwicklungslinie wurde eine gewisse Konstanz
festgestellt und in der „formalen Rcife" erkannt, die schon den alten
Dichtern gegcben war und die jn für die modcrnen Repräsentanten
österreichischer Lyrik — also Hofmannsthal, Rilke — wenigstens
von außen her als das keunzeichnendste Moment Geltung besitzt.
Der „Glanz eines vornehmen Eklektizismus" ist seither nicht ver-
blichen; was von Lenau gesagt wirdi die „wählerische Kunst des
Wortes", die leicht huschenden Töne und Zwischentöne, Beseelung
der Landschaft, „neue Musik aus alten Silben", all das trifft für
Hofmannsthal — freilich in überhöhten Maßen — zu. „Die
Raffinements der Sprache verloren sich nicht mehr, steigerten sich
noch, vervielfältigten sich, sublimierten sich." So ergibt sich eine
reine Lösung des historischen Problems, und auch die des psycho-
logisch-menschlichen, indem in allen hervorragendcn Erscheinungen
der gesamten, ins Auge gefaßten Zeit, also etwa eines Iahrhunderts,
eine deutlich ausgeprägte individualistische Auffassung der Wclt
und Gegenüberstellung des Ichs zutage tritt. Immer anders
gclegt, schließt doch die Kette; und da — wie in der Vorrede erklärt
wird — der vornehmste Zweck des Buches war, „auf die neue
Blüte österreichischer Lyrik hinzuweisen", so muß die hier befolgte
Methode geschichtlicher Ableitung und Abschätzung der Höhen-
linien eines besonderen Lobes teilhaftig werden. Die Wahl des
Beginns mit Grillparzer ist außerordentlich glücklich gewesen,
eine frühere §eit, also etwa die des Klopstocknachahmers Denis,
käme absolut nicht mehr in Betracht, mit dieser abcr verbinden uns
noch die gleichen Kreise großen Gefühls, ja die Lyrik Grillparzers
in ihrer ausschließlichen Subjektivität ist uns Heutigen nah und
vcrwandt wie keiner andern Generation.

Es möge jedoch noch einmal zu der frühercn Betrachtung
zurückgekehrt werden, um eine andcre, vom Herausgebcr gleichfalls
angcdeutete Linie nachzuzeichnen, die, wic uns scheint, bis auf
wenige Ausnahmen, sämtliche Dichter verbindeti die der Melan-
cholie. Cine trübere und ängstlichere Anschauung der Welt, eine
leisere und leidenschaftslosere Art der Hingabe, eine geringere Kraft
des Ertragens der Erde und der Dinge scheint den Menschen dicses
Himmelsstrichs — oder nur den höchstkultivierten, sensitivsten, wie
cs die Dichter sind? — eigen zu sein. Man möge die Spielarten des
resignierenden Temperaments im Buche selbst verfolgen; es wird
gewiß bei der inneren Nachformung der einzelnen Gestalten das
zentralste Moment bedeuten. Die edle Bildung der Verse, ihr
streng abgemessener Rhythmus wird zwar jeden Dichter in eine
Distanz fortrücken, daß sein Gefühl da und dort an Ilnmittelbarkeit
einbüßen mag und gedämpfter erklingt. Wieder ergibt sich der
Beginn mit Grillparzer als Exempel; sein „Incubus" könnte dem
ganzen Buche als Motto voranstehen. Zum Schmerz selbst kam
cr nicht, sein mehr cholerisches Temperament beließ ihn im Groll,
in Ilnmut, nahm seinem Zorn Größe und Kraft. Raimund schließt
hier an; Ferdinand Sauter — den seine Zeit verkannt hat und der
noch immer nicht zu seiner ganzen Ehre gekommen ist — schlug
von hier mitunter in narrenhaft-wehleidige Art und den Galgen-
humor des Bohemiens über. Erst Lenau schuf Schmerz in Kunst
um und nichts als Schmerz; an Dunkelheit erreichte ihn von den
Späteren nur I.I. David; an lyrischcr Tiefe und Eindringlichkeit
Ferdinand von Saar, der ihm auch in der engen Umniauerung des
Ichs, an Musik, an adelig strophischem Gleichmaß nahe kam. Was
dazwischen liegt, hält, wenngleich geringere, so doch achtenswerte
HLHe ein: vor allen Hermann von Gilm, den einige zu Dolks-
liedern gewordene Gedichte wie „Allerseelen" vor der Vergessen-
heit gerettet haben und der sich nun als bedeutender Dichtcr zeigt;
Ernst von Feuchtersleben, mit ähnlichem Schicksal, von einer
dunklen stoischen Selbstbescheidung; Adalbert Stifter, voll tiefen
Natur- und Licbesgefühls wie in seinen Erzählungen; von den

Geistesströmungen des jungen Deutschland und einer starken
philosophischen Anlage bestimmt ist Hieronymus Lorm, eine in
manchem an antike Vorbilder mahnende Gestalt; ihn überragen
dichterisch seine Freunde Moritz Hartmann und Alfred Meißner,
an deren Clegik ein Schatten des europäischen Weltschmerzes und
die Gegenwehr gegen das vormärzliche Österreich mitgebildet
haben. Auch Peter Rosegger ist nicht frci von dunklerer Welt-
hetrachtung, mag in ihm Lebensgefühl und Lebensglaube nvch so
sehr üherwiegen; sein Gedicht „Ewiges Leben" ist eines der schönsten
des ganzen Buches. Ein viel zu wenig Beachteter ist Franz Herold,
gleichfalls heimisch auf der dunklen Seite des Lebens. Friedrich
Ädler, der Dichter der hebbelisch schönen „Dämmerstunde", cine
träumerische, doch gern in helleren Lichtern auffunkelnde Er-
scheinung. Die Sonette der Rosa Mayreder erinnern — und dies
sei als Bewunderung gesagt — an Clisabeth Barrett-Browning.
Mit Peter Altenberg setzt die neueste Zeit ein: die spielerische
Melancholie seiner Prosaverse ist beim ersten Lesen von ergreifen-
dem Reiz. Arthur Schnitzler steht ihm hier nahe, nur daß seine
anatolhaften Gedichte von strengerem, musikalischem Formwillen
gebildet sind. Raoul Auernheimer, sonst als Lyriker unbekannt,
überrascht mit einem reizcnden Gedicht: „Der Tee". Richard
Beer-Hofmanns „Schlaflied für Mirjam" und „Altern" — wohl
seine gesamte Lyrik — weichen von der hier gezeichneten Linie
tiefer und inniger Resignation nicht ab. Hugo Salus, zärtlicher
und weicher Art, erscheint hier dank einer vortrefflichen Auswahl
in günstigstem Licht; Felix Dörmann, mit morbider Grazie, Re-
präsentant cines schnell vcralteten und gesunkenen Geschmacks.
Ihm gegenüber hebt sich der kraftvolle und herbe Tirolcr Arthur
von Wallpach am wirkungsvollsten ab; ritterlich, hoch und hart,
tritt er wie geharnischt vor. Mit einem leise didaktischen Einschlag,
in wehmütigen, abendsonnenhaften Liedern, ergeht sich die freund-
liche Kunst Franz Karl Ginzkeys; ein wenig sentimental, aber
ungemein wohltönend entzückt Rudolf Hans Bartsch, dessen gesamtc
Romane diese süßen südsteirischen Melodien nicht aufwiegen.

Jn Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke kul-
miniert die neue Generation: jener das Ich in großen Weltgefühlen
auflösend und so einer neuen, nie erhörten Art fürstlicher und
magischer Entsagung Raum gebend; dieser von persönlicher Melodik
zu vbjektivem Gebild und grandiosen Visionen, Nachschaffung der
Welt, der Zeiten und der Dinge, in feierlich ausklingenden, meer-
haft errauschenden, rhetorischen und orchestralen Rhythmen hinauf-
gestiegen. Richard Schaukal, ein wenig geziert und romanisierend,
fand zu einfachem, deutschem Lied glücklich heim. Auch Leo Greiner
trägt wenig österreichische Züge, seine Melancholie ist die dcr Nacht,
der tiefsten Finsternis, des Raumes, der Aeit, des Waldes, alles
Erbrausens und Rauschens. Gegen ihn hebt sich das malerisck-
farbenliebende Talent Hedda Sauers scharf ab; mit zwei schö-
nen Proben bietet sich die Lyrik des viel zu wenig geschätzten
Iosef Adolf Bondy dar. An Cmil Luckas „Trilogie" kann man den
immcr Höchstem zugekehrten Geist dieses edlen und lanteren Dich-
ters erkennen. Iu den Sangbarsten, Liedhaftesten gehört Camill
Hoffmann, dessen Wcg dcm Rilkes parallel läuft: auch er kam von
Musik zu Bild; die Knabentrauer seines ersten Buches ist einer
reifen Annahme der Welt gewichen. Persönliches mit allgemeinem
Leid verband die früh verstorbene Jlka Marie Unger zu ergreifender
Gestaltung; ihr verwandt, männlich-kraftvoll, tiefsten Mitgefühls
mächtig, ist Anton Wildgans, eine Dichtergestalt vom Schlage
Gerhart Hauptmanns. Zu den kräftigeren Naturen zählt auch
Max Fleischer, ein inbrünstig Hingegebener, in dem es wie eine
mystische Flamme zu brennen scheint; Hans Adler, scharf, sarkastisch,
eine moderne Nacherscheinung Sauters, nur von größerer Gewandt-
heit und weiterem Gesichtskreis. Von Stefan Iweig sind noch die
Gedichte seiner Jünglingszeit aufgenommen wordcn, deren leise
im Grundlosen schwebende Traurigkeit im Zauber schöner Verse
leicht gefangcn nimmt. Auch Benno Geiger ist trotz seiner „lieb:
losen Gesänge" ein ins Dunkle und Träumerische Geneigter ge-
blieben. Der bcdeutendste unter den Iüngsten, Max Mell, gleich-
falls von tiefen Gefühlen dem Schmerz zu bcwegt, voll Musik,
aber mit größter Sachlichkeit und Treue bildend, scheint die
Synthese älterer und neuer österreichischer Lyrik in der seinen zu
vollziehen. Herbstlich mutet auch Kurt Frieberger an in den
schönen Sieveringer Sonettcn. Don Alfred Grünewald, einem
der Eigenartigsten, ist eine seltsame Ballade da; auch dieser Dichter
hätte sich mit lyrischen Gedichten in das allgemeine Bild ein-
gefügt. In Max Brods Liedern ist der traurige Ausklang slawi-
scher Weisen; trotz aller feuriger Lebensbegeisterung und Er-
grcifung der Ieit neigt auch er dem Verlorenen und Schwermut-

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