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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 7
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Ammann, R.: Farbige Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0255

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Farbige Plastik

er die Forderung polychromer Plastik ver-
ficht, findet seltsamerweise deren schärfste
Widersacher oder doch ihre lauesten Änwälte
gerade unter den Bildhauern. Jndes muß man doch
zugestehen, daß der Widerstand dagegen nimmer so groß
und so unerbittlich ist, wie vor etwa zwei Jahrzehnten,
als Or. Georg Treu, der jetzige Direktor der Dresdener
Skulpturensammlung, in seiner Schrift: Sollenwir
unsere Statuen bemalen? diese Forderung
verfocht. Hier soll indes nicht nochmals der Beweis
geführt werden, daß im Altertum Farblosigkeit oder
Farbigkeit überhaupt nie Gegenstand einer Kontroverse
waren. Wir sind heute über die Technik der antiken
plastischen Polychromie ziemlich gut, über die Farben-
skala derselben vollständig unter-
richtet. Gewöhnt aber, das kalte
Weiß des Marmors als erstes und
heiligstes Postulat plastischer Kunst
zu betrachten, würden wir uns wohl
auf die Augen geschlagen fühlen,
wenn wir die grelle farbige Be-
handlung antiker Skulpturen, un-
beeinträchtigt von Alter und Ver-
witterung, einmal betrachten könn-
ten. Einen guten Begriff davon
gibt uns noch der sogenannte
Älerander-Sarkophag der Nekropole
Sidon, der im Museum in Konstan-
tinopel untergebracht ist und in dem
Buch: Drie wecropols s. Lickon
(psr 8s.rrieci^ Lszr ct Rcing.cki)
ausführlicher beschrieben ist. Bei
dem gegenwärtig herrschenden Ge-
schmack möchten die Griechen uns
eher als Farbenbarbaren, denn als
die Träger feinster Geschmackskultur
crscheinen, als die sie uns Gym-
nasien und Akademien unter dem
mächtigen Einfluß Winckelmanns
hinzustellen pflegen. Aber es han-
delt sich hier nicht darum, ob wir
die Farbenzusammenstellung und
-stimmung der Griechen goutieren
oder nicht; die Frage bleibt, ob
unsere Bildhauer, während sie die
Plastik der Antike nach der Seite
der Formbehandlung für ideal und
unerreichbar erklären, auf ein so un-
gewöhnlich wertvolles Wirkungs-
mittel wie die Farbe verzichten
wollen mit der Annahme, ein so
„naives" Künstlervolk, wie die Grie-
chen, habe sich unterstanden, Form
und Farbe auseinanderzureißen, als
feindliche Dinge gleichsam, die sich
nicht miteinander vertrügen. Denn
was wir heute an polychromer

Plastik in Deutschland zu sehen bekonnnen, ist doch
noch ein verschwindender Bruchteil der gesamten bild-
hauerischen Produktion. Die Bildhauer selber, wenn
man bei ihnen wegen dieser Sache anpocht, geben aus-
weichende Antworten; die Frage sei noch nicht spruch-
reif, sagen die einen; andere sprechen von der „reinen
Form" als dem einzigen Ausdrucks- und Wirkungs-
mittel der Plastik; die Lauen endlich sind für die ein-
heitliche Tönung des „unangenehm weißen" Gipses
oder Marmors; Reden und Meinungen, die zu nichts
vcrpflichten.

Betrachtet man die Fortschritte, die in den letzten
zwanzig Jahren das Farbenempfinden in der Malerei
gemacht hat, so ist es begreiflich, daß davon auch die
Bildhauer nicht ganz unbeeinflußt
geblieben sind. Doch war die Äuße-
rung dieser Fortschritte im Farben-
empfinden der Bildhauer seltsam
genug. Wo man erwartete, sie zur
Polychromie schreiten zu sehn, ge-
rieten sie auf einen Umweg und
verfielen auf die sogenannte male-
r i s ch e P l a st i k, d. i. eine breitere
und weichere Behandlung der skulp-
turalen Forni, die gleichsam eincm
lockeren Farbenauftrag entsprechen
sollte, und auf eine Vernachlässi-
gung des Details sowie der her-
kömmlichen akademische:: „schönen
Statik". Das Stoffgebiet wurde
dabei, wie auch in der Malerei,
ganz erheblich erweitert, das rein
Gegenständliche gegenüber dem frü-
her bevorzugten Literarischen her-
vorgehoben, die Monumentalität
gefordert und im besonderen der
Wert der bedeutcnden Silhouette
betont. Es ist klar, daß damit die
Plastik durchaus im Kielwasser dcr
impressionistischen Malerei segelte;
aber der Akademismus war immer-
hin geschlagen, wennschon nur in
Hinsicht auf Sujet und Auffassung;
denn sein beschränktestes Postulat,
die Farblosigkeit (richtiger: Ein-
farbigkeit) der Plastik, war nur leise
und auch nur mittelbar erschüttert.

Wie sich aber ihrerseits die
Maler allmählich wieder auf das
Ieichnerische besinnen, das wir an
der Natur immerhin auch be-
obachten, so finden sich auch die
Bildhauer wieder zum spezifisch
Plastischen zurück: zur nötigen, ge-
rechten Betonung der Form. Sie
gelangten zur tieferen Erkenntnis
ihres Wesens und zu ihrer vollen
 
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