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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 8
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Hesse, Hermann: Rückreise aus Indien
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Mahlberg, Paul: Zwei Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0309

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Rückreise aus Jndien,

wendet er den Kopf, einen Augenblick zittern feine
Lider, dann blickt er mit den klugen, geduldigen braunen
Augen auf und erhebt sich, wach und resigniert, mit dem
ergebenen leisen Ruf: „Tuan!"

Oder der malaiische Anführer der Waldarbeiter am
Batang Hari, ein Verwandter der früheren Rajahs,
aus adliger Familie, mager, mit einem schönen traurigen
Gesicht. Jch sah ihn eines Abends lautlos unsre Veranda
betreten, seine Laterne löschen und sich beim Haus-
herrn melden, mit einem Anstand und Adel der Ge-
bärde, wie wir es kaum bei einem feinen adligen Offizier
daheim sehen können.

Dann die schwärzlichen Kinderscharen der Urwald-
dörfer, die der Änkunft unseres Bootes mit starrender
Neugierde und Spannung zusahen und beim ersten
Schritt, den wir an Land taten, entsetzt und lautlos
von dannen flohen und wie Tierchen im Wald ver-
schwanden.

Und wie schön war es, in Chinesenstädten am Abend
junge Freundespaare spazieren gehen zu sehen. Feine
schlanke Jünglinge mit schönen braunen Äugen und
lichten, heiteren, geistigen Gesichtern, ganz weiß oder
ganz schwarz gekleidet, mit unendlich nobeln, schmalen,
vergeistigten Händen. Zart und fröhlich ging einer mit
dem andern, seine linke Hand lose in die rechte Hand
des Freundes oder den Arm auf dessen Schulter gelegt.

Und überall im Archipel die gutmütigen, hübschen
Malaien, von den Holländern streng gehalten, höflich
und ergeben, und auf Ceylon die sanften zarten Singha-
lesen. Man schilt sie und sie machen betrübte Kinder-
gesichter, man befiehlt ihnen und sie beginnen die Arbeit
mit geheucheltem heftigem Eifer, man wirft ihnen ein
Scherzwort zu und sie lachen breit und selig übers ganze
Gesicht. Sie haben alle dieselben schönen, flehenden
Augen, und sie haben alle einen Rest von wilder Un-
schuld und Rechcnschaftslosigkeit ini leicht bewegten Ge-
müt. Sie vergessen wichtige Dinge über einer Mahl-
zeit, und sie verlieren sich im Spiel so maßlos, daß sie
manchmal Ernst daraus machen und einander totschlagen,
wozu sie im wirklichen Ernst und um wichtige Dinge
viel zu feige sind. Jn Nurelia sah ich einen Arbeiter,
der vom Bauplatz weggejagt und vom Aufseher ver-
trieben und immer wieder geschlagen wurde. Er hatte
irgend eine Gaunerei begangen, und er war bereit
eine Strafe zu tragen, aber er wollte durchaus nicht
fortgehen, er wollte dableiben, nur dableiben, bei seincr
Arbeit und bei seinem Brot, bei seiner Ehre und bei
der Gemeinschaft mit den andern. Der junge, kräftige
Mann ließ sich ohne Widerstand stoßen und mit einem
Strickende hauen, langsam wich er der Gewalt, er heulte
dazu laut und unbeherrscht wie ein verwundetes Tier,
und über sein dunkles Gesicht liefen dicke Tränen.

Schön und nachdenklich war es auch, alle diese
Menschen bei ihren rcligiösen Übungen zu sehen, Hindu,
Mohammedaner und Buddhisten. Sie haben alle,
vom reichen städtischen Häuserbesitzer bis zuni geringsten
Kuli und Paria herab, Religion. Jhre Religion ist
niinderwertig, verdorben, veräußerlicht, verroht, aber
sie ist mächtig und allgegenwärtig wie Sonne und Luft,
sie ist Lebensstrom und magische Atmosphäre und sie
ist das Einzige, um was wir diese armen und unter-
worfenen Völker ernstlich beneiden dürfen. Was wir

Nordeuropäer in unserer intellektualistischen und indi-
vidualistischen Kultur nur selten, etwa beim Anhören
einer Bachmusik,, enipfinden dürfen, das selbstver-
gessene Gefühl der Iugehörigkeit zu einer ideellen Ge-
meinschaft und des Kräfteschöpfens aus unversieglich
magischer Quelle, das hat der Mohammedaner, der
am fernsten Winkel der Welt abends seine Verbcugungen
und Gebete vecrichtet, und hat der Buddhist in der
kühlen Vorhalle seines Tenipels jeden Tag. Und wenn
wir das, in einer höheren Form, nicht wieder gewinnen,
dann werden wir Europäer bald kein Recht auf den
Osten mehr haben. Die Engländer, die in ihrem Natio-
nalitätsgefühl und in ihrer strengen Pflege der eigenen
Rasse eine Art von Ersatzreligion besitzen, sind denn
auch die einzigen Westländer, die es da draußen zu einer
wirklichen Macht und Kulturbedeutung gebracht haben.

Mein Schiff fährt und fährt. Vorgestern brannte
noch die unbändige Sonne Asiens auf unser Deck, wir
saßen luftig in weißen dünnen Kleidern und tranken
eisgekühlte Sachen; jeßt sind wir schon nahe am euro-
päischen Winter, der uns mit Kühle und Regenschauern
schon bald nach Port Said empfing. Dann werden
die heißen Küsten der östlichen Jnseln und die glühenden
Mittage von Singapore in der Erinnerung noch an
Glanz gewinnen; aber dies alles wird mir nie so lieb
und wertvoll werden wie das starke Gefühl von der
Einheit und nahen Verwandtschaft alles Menschen-
wesens, das ich unter Jndiern, Malaien, Chinesen
und Japanern gewonnen habe.

Zwei Gedichte von Paul Mahlberg.

Die Schwalbcn.

Jch bin sicher,

abends fallen die Schwalben hinauf ins Blau,
denn plötzlich sind sie uns entfallen.

Nun helfen sie,

die Sonne im Großen und Kleinen Wagen
übers Nachtgebirg zu tragen.

Der Mond gibt acht,
sagt, wo sie sich zu verweilen
und wann sie sich zu beeilen.

Und wenn auf dem Mitternachtsgrat
die Sonne im Mondhof hält,
hebcn sich und reichen zu ihr in den Himmel alle
Wege der Welt.

Auf graden Wegen

geht nun die Erde der Sonne entgegen.

Die Schwalben schießen hinunter vorauf,

schreiendcr Jubel läutet in ihrem Lauf,

und auf ihren Flügeln liegt Sonne, die sie getragen.

Gcliebte im Haus.

Gegen der Geliebten Gaug
hebt sich die Diele mit Gesang.

Die Tapetenblumen der Wände
legen sich schmeichelnd in ihre Hände.

Die Türe läßt von allen Geschäften
und will sich an der Geliebten Füße heften.

Die Treppe springt ihr jauchzend nach

und vor der Geliebten neigt sich das steile Dach.
 
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