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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 9
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Schäfer, Wilhelm: Die junge und die jüngste Malerei, 2: (Glossen zur Sonderbundausstellung in Köln); Cézanne
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0345

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ie junge und die jüngste Malerei.

(Glossen zur Sonderbundausstcllung in Köln.)

n. Cezanne.

Wer in den holländischen Sammlungen nach Bildern
van Goghs sucht, wird enttäuscht erkennen, wie wenig
ihn seine Heimat zu schätzen scheint; von den Vrüdern
Maris, Jsraels und Mauve (seinem Onkel) führt aller-
dings kein Weg zu van Gogh, und da der Geschmack
diescr Meister der herrschcnde ist, bleibt seine Gültigkeit
beschränkt. Ahnlich steht es mit ihm in Frankreich, wo
er, der Niederdeutsche, noch dazu ein Volkssremder
bleibt. Wie man zu seiner ungebrochenen Farbigkeit
allein bei den Primitiven Ebenbilder findet, wie ihm
die altcn deutschen Meister verwandter sind, alS irgend-
wer: so hat sein Vorbild rein farbiger Komposition
eine strcnge Anwendung nur bei einem gernianischen
Volksstamni, den Schweizern gefunden. Keiner steht
ihm in der Farbe näher als Ferdinand Hodler, der
Meister monumentaler Kunst, der die Anregung des
Holländers schon selbständig verarbeitct hatte, als die
europäische Maljugend noch nicht an dergleichen dachte.
Durch seinen Einfluß sind dann die Schweizer die ersten
gewesen, die als Schule dem Vorbild van Goghs folgtcn.
Daß sic dabei auch die lineare Größe Hodlerscher Wand-
bilder allzu eifrig in ihre Tafelbilder zu einer vielfach
unpassenden Verwendung brachten (weshalb Amiet,
der sich frei davon hielt und das Vorbild van Goghs
direkt verwertete, sein Antipode wurde), vermag ihnen
nicht zuviel an dem Ruhm zu schmälern, schon zuzeiten
in den neucn Bahnen tatig gewesen zu sein, als die euro-
päische Malcrei sonst noch im Aeichcn des Jmpressionis-
mus stand.

Sie haben dafür lange den Spott ihrer malenden
Genossen geerntct, und wie noch auf der Düsseldorfer
Ausstellung von 1904 der Schweizer Saal das Lach-
kabinett der Ausstellung war, ist auch sonst ihre „Roheit"
so lange anstößig geblicben, bis das Genie Hodlers
sich die Anerkennung erzwang, die dann den andern
mit zugute kam und der schweizerischen Kunst zu einem
Sieg verhalf, sowcit — und das ist der intercssanteste
Umstand daran — germanisches Kunst- und Formgefühl
herrschend ist. Jn Frankreich wird sie, Hodler ein-
geschlossen, bis heute verlacht; die malcrische Kultur
der Franzosen enipfindet ihre Art als barbarisch und eine
Art Gegenstück zum deutschen Kunstgewerbe, das gleich-
falls keinen grimmigeren Feind hat als den französischen
Geschmack.

Wirklicher Geschmack, d. h. ein solcher, der auf der
Überlieferung beruht und also Träger einer Kultur ist,
wird zwar immer Hüter dieser Kultur aber darum auch
der zaheste Gegner jeder Entwicklung sein, die eine
grundsätzliche Erneuerung anstrebt. Wie die Franzoscn
krampfhaft an ihren historischen Bau- und Möbelstilen
festhalten, können sie auch den entschlossenen Schritt, der
zur Anerkennung und Nachfolge van Goghs gehört, nicht
mitmachen. Statt seiner ist Cszanne der Abgott der
Jungpariser geworden, weil er ihnen als Träger der male-
rischen Kultur scheint, die sie durch das Genie van Goghs
gefährdet sehen. Auch Cszanne ging, wie van Gogh,

durch die Schule des Jmpressionisten; er galt eine Aeit-
lang als der Repolutionar unter ihnen, bis er aus seiner
provcncalischen Heimat verscholl und erst nach seinem
Tod mit der geheimnisvollen Schönheit seines Werkes
zur Geltung kam. Während man von van Gogh sagen
kann, daß er aus einer Übersteigerung seiner Natur-
anschauung zu einer Kunst kam, die dieser Anschauung
stärker und unmittelbarer Ausdruck geben konnte als
die analytische Methode der Jmpressionisten, daß er
also als ein genialer Naturalist anzusprechen sei: ging
Cszanne mehr von dcm Kunstwerk aus; seine Leidcnschaft
entzündete sich weniger an der Natur als an der Lein-
wand; er malte nicht um der Jnbrunst sondern um der
Kunst willen. Auf ihn paßt vollkommen das Schlagwort,
das sich die jüngstc Malerei im Gegensatz zum Jmpressio-
nismus zugelegt hat: er war vollkommen ein Erpressionist,
einer, dcr Orgelklänge in seine Palette zwingen wollte
und nilt der Naturanschauung wie mit einem knetbaren
Material schaltete. Je tiefer er aber in die Geheimnisse
des farbigcn Kontrapunktes kam, um so gleichgültiger
wurde ihm das, was den Genossen in Paris das Evan-
gelium des Jmpressionismus blieb; ihn interessierte
der Wechsel der Beleuchtungen von 9 Uhr dreißig Minuten
bis 10 Uhr zwanzig im Einzelnen garnicht, wohl aber
das ganze Geheininis zwischen Tag und Dunkel; und
während jene sich um das Licht in ihren Bildern mühten
und ihm zuliebe jede farbige Nuance zerfaserten, sah
er im Licht den wundervollen Farbcntcppich über den
Dingcn ausgebreitet, den er auf seine Leinwand bringen
wollte. So stand er gegen van Gogh auf dem anderen
Ende der Schaukel, er war soviel Verächter der Natur
wie jener ihr inbrünstiger Jüngcr war.

Gerade das aber niachte ihn geeignet zum Vorbild
der Jugend, die sich durch van Gogh aus der Lage des
Jmprcssionismus erlöst sah, ohne ihm in die Weite
seiner Anschauung folgen zu können. Denn um zu malen
wie van Gogh, niuß man die Jnbrunst seines Tempera-
meiitcs haben, die nun einmal das Vorrecht des Genies
ist; während das 1'art piour I'urt-Prinzip Cszannes sich
vortrefflich zur Entfaltung all des künstlerischen Hoch-
muts der Jugend eignet, die ihre Bilder allein aus der
Seele holen möchte, um frei von der hemmenden Wirk-
lichkeit zu sein. Außerdem verlangte er, dessen sammetne
Tieftonigkeiten ihn dem Meister des Helldunkels zu-
gesellten, nicht den rücksichtslosen Bruch mit der male-
rischen Kultur wie van Gogh, mit dem wieder einmal
ein neues Studiengebiet der Malerei begann, hingegen
bei Cezanne den Überdrüssigen an der strengen Schule
des Jmpressionismus die Freiheit der Kunst winkte,
mit Linien, Flachen und Farben im alten Sinn der
Kunst und ihrer fouveränen Meister Musik zu machen.
Er war, drastisch gesagt, das bequemere Vorbild, bei
dem der künstlerische Hochmut nicht auf den handwerk-
lichen Boden zurück mußte, den der Bahnbrecher van Gogh
von jedcm verlangte, der nicht seines TeniperamenteS
war und doch mit seinen Mitteln, dem farbigen Aufbau,
arbeiten wollte.

So ist Cszanne der malenden Jugend zum Ver-
hängnis geworden, eine Stütze, mehr oder weniger
in den alten Mitteln zu verharren, im gesicherten Unikreis
der malerischen Kultur zu bleiben und doch das Kühne

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