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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Ernst, Paul: Eine Liebe in Rom
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Dünnwaldt, Willy: Gottfried Keller
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0038

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Eine Liebe in Rom.

den Streifen hingegangen und hatten ihn vertreten.
Und weshalb sollte er sich fürchten? Er konnte durch die
Straße gehen und mit den Augen auf dem Boden
suchen. Er mußte ja nicht stehen bleiben, er konnte
langsam weiter gehen.
Er ging durch die Straße, und ging vorbei an der
Stelle, und der Streifen war verschwunden. Er ging
weiter, unter den: Balkon vorbei, dann einige Schritte
weiter an dem Tor der Vigna vorbei. Er ließ den er-
hobenen Fuß sinken, kehrte um zu dem Tor; das Tor
war nur angelehnt. Er öffnete es zaudernd ein wenig
und trat ein; und wie er befangen da stand, wie träumend,
und den Torflügel hinter sich in der Hand hielt, da sah
er in langem schwarzem Gewände die Frau auf den
kleinen Palazzo zuschreiten und den Fuß heben und in
die Halle treten und die dunkle Treppe im Hintergründe
hinaufsteigen.
Und wie er oben bei ihr war in dem bekannten
Raume, da fragte sie und hatte ihre Arme um seinen
Hals geschlungen: „Weshalb habe ich so lange harren
müssen? Am Tage habe ich ausgeschaut von meinem
eisernen Balkon aus, und des Nachts habe ich die bren-
nende Lampe in das Fenster gesetzt, und habe meinen
Stuhl in die Fensterhöhlung gesetzt."
Er erwiderte: „Weißt du nicht, daß ich gemordet
habe?" Sie nickte still mit dem Kopf. Da faßte ihn ein
wildes Entsetzen, und er riß sich los, eilte die Treppe
hinab, lief durch den Garten und stürzte die Straße
weiter; weithin führte die Straße zwischen den Mauern,
und einmal standen zwei Pinien am Eingänge einer
Vigna. Er aber fühlte nun, daß er ein Mörder war,
und daß es ihn jagte — jagte — wohin — wohin.
ottfried Keller.
Jenen, die so auserwählt sind, daß sie eigent-
lich nebeneinander und miteinander leben
müßten, als herrliche Vorbilder menschlicher Zwei-
samkeit, ist die Macht und die Fähigkeit der Fernver-
ständigung verliehen, so ein windiges Alltagsschicksal
ihnen die Möglichkeit, Leib neben Leib gehen zu lassen,
nahm. „Du", geht der Anruf aus sehnendem Herzen,
unbehindert von Welten und Meeren, und „du", jubelt
im selben Augenblick das erwartende andere Herz.
„Du", sprach in einer Dezembernacht des Jahres 1849
Johanna Kapp; „du", sprach sie, obgleich sie durchaus
nicht auf so vertraulicher Anrede mit dem Seelen-
freunde stand; „du", sprach sie, „nun muß ich von dir
gehen und mir ist traurig darum; muß dich allein
lassen, nachdem ich, ohne zu wollen, Unheil angerichtet
habe in dir. Und weiß nicht, wie ich dich versöhnen
soll, obgleich du mir nicht grollst, weil ich für deine
Liebe, die du mir angetragen, nur danken, nichts als
danken kann."
Und noch ehe sie sich, uni sich anzukleiden und die
letzten Reisevorbereitungen zu treffen, vom Fenster
abwandte, erwachte jenseits des Neckarufers der schier
30 Jahre alte grüne Heinrich aus einem liefen Schlafe
und ward sich sofort der Bedeutsamkeit dieses zu er-
lebenden Tages bewußt. Nun war er derjenige, der
ans Fenster trat, mit seinen Augen den Neckar über-

flog, um drüben im Zimmer der Geliebten Licht zu
finden. Doch weil er nicht ahnte, was ihn aus kummer-
tiefem Schlafe erweckt, hätte er nicht für alles Gold
der Welt ein Licht gezündet, besorgt, wie er später an
sie schrieb, sie möge es bemerken; denn nicht aufdrängen
und unnütz lebendig machen wollte er sein Bild im
Herzen jener, die ihm über alles ging.
So stand er versunken in ein Leid, wie es ihm tiefer
noch nie widerfahren und auch, wie er nun schon wußte,
nicht mehr widerfahren konnte. Er hatte diese und jene
geliebt, aber ihn verstehend, vollklingende Resonanz
seiner Innerlichkeit war keine gewesen als diese, die nun
fchied, von der er geschieden, ehe er sie gefunden. Was
waren ihm zu dieser Stunde die Münchener Hunger-
jahre, dargebracht einer Kunst, die nicht seiner Mutter
war, und die ihn doch nicht anders heimzuschicken ver-
mocht hatte als durch die tiefe Demütigung, längs
Fahnenstangen blaue Spiralen zu ziehen. Was waren
ihm zu dieser Stunde die widerwärtigen Jahre nach
München unseligen Angedenkens erfolglos bepinselter
Leinewand, da er als erwachsener Mensch noch immer
die Füße unter Mutters kargen Tisch setzte und noch
immer nicht wußte, wozu in aller Welt er überhaupt
in der Welt sei. Was war ihm das alles. Er lebte und
litt nun in Heidelberg, dahin er gekommen, um deutschen
Geist zu erfahren, nachdem die Regierung, als sein Name
durch den Erfolg etlicher Gedichte als vielversprechend
genannt wurde, ihm 800 Franks Reisestipendien aus-
gehändigt. Und hier nun hatte sich das Schicksal auf
Umwegen an ihn herangeschlichen. Durch Ludwig
Feuerbach, der ihn um den Rest seiner Christgläubigkeit
gebracht, war er drüben in der Besitzung „Waldhorn"
Hofrat Kapps häufiger Gast geworden. Scheinbar
gleicher politischer und philosophischer Ansicht willen;
bis er, allerdings zur Umkehr zu spät, den ihn be-
stimmenden Zustand erkannte: daß er mit Leib und
Seele in Liebe verraten und verkauft sei an Johanna,
die hochbegabte und edle Tochter des heißen Schelling-
gegners. Und war doch einen Sommer lang und einen
Herbst hindurch mit ihr am Philosophenwege gelust-
wandelt, nicht an Liebesempfindungen denkend, weil
man von Kunst und immerdar von Kunst sprach. Und
bis dahin gab ihm das Leben die Erfahrung nicht, daß
Kunst noch immer die schlimmste Kupplerin gewesen
ist. Dann, an seinem Prinzip festhaltend, Liebe nur
brieflich zu erklären, hatte er ihr gestanden, wie es um
ihn bestellt wäre seit einiger Zeit. Und sie war ebenso
verwundert wie er; hatte seine Neigung wohl empfunden,
doch über sich ergehen lassen, wie ein wohltuendes
kameradschaftliches Gefühl. Dies schrieb sie ihm mit
Trauer im Herzen; denn sie konnte seine Liebe, „die
höchste Gabe, die der Mann einem Weibe bieten kann",
nicht annehmen, weil sie schon liebte und geliebt wurde
und als leidenschaftliche Tochter eines leidenschaftlichen
Vaters nicht gewillt war, das Eheglück einer anderen
Frau zu zerbrechen, um sich mit dem geliebten Manne
vereinigen zu können. Nichts mehr als danken konnte
sie für sein schönes Gefühl und ihm dieses gestehen:
„Ich hab Sie wirklich lieb und glaube Sie zu verstehen
in der liefen Innigkeit Ihres Wesens . . . Ich weiß,
was Sie sind, und darum brauchen Sie mir nicht erst
zu geloben, etwas Rechtes zu werden." Und um dieses


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