DOI Artikel:
Widmer, Karl: Neu-Rokoko
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0065
Abb. 1. Schlafzimmer.
Ausführung: Bereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk," A. - G. in Köln.
war von Anfang an zu er-
R warten, daß sich die moderne
Kunst bei der Entwicklung des
reinen Konstruktiv-Stils nicht allzu-
lange aufbalten werde. Die Schmuck-
losigkeit als Grundsatz, das war doch
ein zu einseitiges Ergebnis, um als
absolute Lösung des modernen Stil-
problems befriedigen zu können. Die
Freude an Schmuck und Farbe hat
sich bald wieder ibr Recht verschafft.
Heute sind wir schon in einer starken
Reaktion gegen den künstlerischen Pu-
ritanismus begriffen. Natürlicher-
weise bat diese Reaktion die beweg-
licheren Elemente der Raumkunst zu-
erst erfaßt. Sie hat sich vor allem in
der inneren Einrichtung der Wohn-
häuser durchgesetzt. Die Baukunst
selbst bewegt sich einstweilen noch
strenger auf der konstruktiven Linie
der Formenentwicklung.
Freilich sind wir noch weit davon
entfernt, uns für die dekorativen Be-
dürfnisse des Raumschmucks eine neue
Formensprache selbst zu schaffen. Der
Mißerfolg des Jugendstils hat vor
derartigen Erperimenten bis auf wei-
teres abgeschreckt. Man geht lieber
Abb. 2. Detail aus
einem Herrenzimmer (Tisch und Spiegel).
Neu-Rokoko.
den sicheren Weg, den die erprobte
Erfahrung der alteren Stile weist.
Vom Biedermeier geht man weiter
zurück in die Vergangenheit. Nament-
lich das Rokoko beginnt neuerdings
wieder einen stärkeren Einfluß zu
gewinnen. Man kann in diesem Sinne
gegenwärtig von einem Neu-Rokoko
sprechen, in den: sich unmittelbare
Berührungen mit der Raumkunst
des achtzehnten Jahrhunderts geltend
machen.
Indessen ist nicht zu befürchten,
daß der historische Rokokostil eine
Wiederauferstehung erleben werde, wie
einst die deutsche Renaissance zur
Feit des „Altdeutschen Stils". Die
vergoldeten Tische und Stühle, der
verschnörkelte Kurvenstil des Louis
O.uinze sind in unsern modernen Wohn-
räumen so unmöglich geworden wie
der Reifrock und die Staatsperücke.
Dazu hat die Kunst doch eine zu
gründliche Schule des modernen Den-
kens durchgemacht. Es sind Wand-
lungen des dekorativen Geschmacks,
allerhand Einzelheiten, in denen das
Rokoko auf die moderne Raumkunst
abfärbt und von dellen die Grund-
Ansführnng: Bereinigte Werkstätten
für Kunst im Handwerk, A. - G. in Köln.
//
5t
Z
Ausführung: Bereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk," A. - G. in Köln.
war von Anfang an zu er-
R warten, daß sich die moderne
Kunst bei der Entwicklung des
reinen Konstruktiv-Stils nicht allzu-
lange aufbalten werde. Die Schmuck-
losigkeit als Grundsatz, das war doch
ein zu einseitiges Ergebnis, um als
absolute Lösung des modernen Stil-
problems befriedigen zu können. Die
Freude an Schmuck und Farbe hat
sich bald wieder ibr Recht verschafft.
Heute sind wir schon in einer starken
Reaktion gegen den künstlerischen Pu-
ritanismus begriffen. Natürlicher-
weise bat diese Reaktion die beweg-
licheren Elemente der Raumkunst zu-
erst erfaßt. Sie hat sich vor allem in
der inneren Einrichtung der Wohn-
häuser durchgesetzt. Die Baukunst
selbst bewegt sich einstweilen noch
strenger auf der konstruktiven Linie
der Formenentwicklung.
Freilich sind wir noch weit davon
entfernt, uns für die dekorativen Be-
dürfnisse des Raumschmucks eine neue
Formensprache selbst zu schaffen. Der
Mißerfolg des Jugendstils hat vor
derartigen Erperimenten bis auf wei-
teres abgeschreckt. Man geht lieber
Abb. 2. Detail aus
einem Herrenzimmer (Tisch und Spiegel).
Neu-Rokoko.
den sicheren Weg, den die erprobte
Erfahrung der alteren Stile weist.
Vom Biedermeier geht man weiter
zurück in die Vergangenheit. Nament-
lich das Rokoko beginnt neuerdings
wieder einen stärkeren Einfluß zu
gewinnen. Man kann in diesem Sinne
gegenwärtig von einem Neu-Rokoko
sprechen, in den: sich unmittelbare
Berührungen mit der Raumkunst
des achtzehnten Jahrhunderts geltend
machen.
Indessen ist nicht zu befürchten,
daß der historische Rokokostil eine
Wiederauferstehung erleben werde, wie
einst die deutsche Renaissance zur
Feit des „Altdeutschen Stils". Die
vergoldeten Tische und Stühle, der
verschnörkelte Kurvenstil des Louis
O.uinze sind in unsern modernen Wohn-
räumen so unmöglich geworden wie
der Reifrock und die Staatsperücke.
Dazu hat die Kunst doch eine zu
gründliche Schule des modernen Den-
kens durchgemacht. Es sind Wand-
lungen des dekorativen Geschmacks,
allerhand Einzelheiten, in denen das
Rokoko auf die moderne Raumkunst
abfärbt und von dellen die Grund-
Ansführnng: Bereinigte Werkstätten
für Kunst im Handwerk, A. - G. in Köln.
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