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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Zoff, Otto: Das Porträt der Gräfin Anna, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0113

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as Porträt der Gräfin Anna.
Novelle von Otto Ao ff. (Schluß.)
Sobald er draußen war, verlangsamte sich sein
Schritt. Er strich wie ein Schlafwandelnder die Häuser
entlang. Er schwenkte ein wenig den Hut in der rechten
Hand und hatte den Kopf zur Seite geneigt und hielt
alle paar Schritte still. Der Mittag stand mit goldenen
Augen über dem Dorfe, die Bäume an der Straße, von
verstreutem Grün nur schüchtern bedeckt, glänzten mit
goldener Rinde. Die Leute blieben stehn und grüßten
den Grafen demütig. Aber er sah sie nicht oder er nickte
nur ganz mechanisch, ohne den Blick zu erheben. Als
er aber einmal wie aus Zufall aufschaute, lehnten zwei
Weiber in einem Torbogen, die ihm mit jenem gewissen
Ausdruck neugierigen Mitleides entgegenblickten, den
er immer wie eine körperliche Züchtigung empfand. Da
schritt er schneller aus, guckte wie ein Fremder umher,
setzte den Hut auf und schnitt eine zufriedene Grimasse.
Er hob das Haupt und betrachtete im Vorbeigehn die
Äste, die Dächer, lächelte den Kindern zu, die auf der
Straße spielten. Als aber die Landstraße die Häuser
verlassen hatte und nur mehr Acker sich bis zum Rinn-
graben vordrängten, ließ er sich wieder ohne Widerstand
in seinen Schmerz fallen. „Sie hat ihr Selbst weg-
gegeben, nur um mir ganz zuliebe zu sein," murmelte
er und blieb stehn. Er nickte. Er schob mit dem Fuße
wie im Spiele den Straßenschotter bei Seite und dachte:
„Nun erinnere ich mich, welche sonnige Heiterkeit über
ihrem Gesichte lag, als ich ihr das erste Mal begegnete.
Wie sie vor das Tor trat und nach dem Wetter aussah.
Dann aber", und er deckte schmerzlich die Augen mit
der Hand, „hat sie mir zuliebe ihr Selbst verlassen ..."
So stand er lange und es war ihm, als ob er sacht in
einen süßen, wohligen Schlaf gleite. Sehnsucht nach
einem Sichniederlegen und Einschlafen überkam ihn
immer stärker, Müdigkeit schien von seinem Haupt an
den Körper hinabzufließen. Er fühlte, wie die Sonne
sich breit auf seinen Rücken legte und wie der Duft der
Äcker durch seine Poren drang und das Blut träge
machte. Und endlich fühlte er in diesem Vorfrühling alle
Glieder gleichsam sich auflösen, fühlte sich einer Weite
hingegeben, als verströme und verblute sein Leib.
Er schleppte sich zu einem Meilenstein und ruhte
auf diesem aus. Er schaute mit großen Augen umher,
schaute die braunen Schollen in gleichmäßigen Streifen
bis zum Waldsaum ganz in der Ferne laufen und schaute
dort den Märzwald, der wie junges Gefieder im Mittag
flimmerte. Dort stand ein Haus mit rotem Dach, es hatte
die Fenster weit ausgemacht und schien ganz leer zu
sein. Dort wieder pflügte einer; er schaute das Bewegen
der Pferde und den weißen Hemdfleck des Bauern.
Nun trat aus dem Hause ein Weib, die einen Korb vor
sich hin trug, wobei sie Mühe hatte, seine Last gegen
ihren Leib mit den schreitenden Beinen vorwärts zu
stoßen. Der Graf sah sie dann hinter dem Hause ver-
schwinden. Er wandle sich auf die andere Seite. Hier
lag der dunkle Park, und das dunkle Dach seines Hauses
war auf die noch schütteren Wipfel der Bäume gleichsam
aufgesetzt, während die Mauern durch die Zweige und

Stämme grau hindurchblickten. Da geschah es zum ersten
Male, daß das Herz des Grafen von dem ganzen Besitze
wie von etwas sehr Verhaßtem zurückwich, und daß er
ein starkes Grausen, gemischt beinahe mit einer dumpfen
Angst, bei dem Gedanken empfand, dorthin zurück-
zukehren. Er lachte bitter in sich hinein. Dann aber,
indem er über sich selbst wie über ein eigensinniges Kind
den Kopf schüttelte, machte er sich wieder auf den Weg
und geradeswegs, aus Trotz, dem Hause zu. Wie er nun
auf einem Feldweg schnell hinschritt, ließ er die Blicke
unverwandt über Haus und Park gleiten, einmal über
dies, dann über jenes, als hätte er es zum letzten Male
vor vielen, vielen Tagen gesehen und müßte sich es wieder
in allen Einzelheiten zurückrufen. Und während ein
wehmütiges Lächeln sein Gesicht bannte, dachte er:
„Hier mußtest du also dein junges Leben vertrauern,
du Gute! Bist du vielleicht daran hingesiecht? Erstickte
dich dies vielleicht? Ein Vogel, den man in den Käfig
sperrt und in ein dunkles Zimmer hängt, klagt auf und
zittert mit den Flügeln ... Du aber warst duldsam
und machtest es den Blumen gleich, die ohne Sonne
einfach hinsterben ... Wir Toren aber wußten es nicht!
Ja, wir liebten dich nur dann, wenn du uns gleich warst:
traurig, schwer und schweigend ..."
Das Weh verzerrte sein Gesicht, als wollte es in
wilden Tränen ausbrechen. Aber er faßte sich plötzlich
und grub seine Zähne in die Lippen und schluckte alles
Weh in sich hinab. Dann beugte er sich im Wandern
so zurück, daß die Sonne wie eine schmeichelnde, süße
Tröstung über sein Antlitz hinfloß. Und sein Schmerz
wurde ruhig und dämpfte sich in seiner Seele zu einer
weilen, strömenden Traurigkeit.
Als er in das Speisezimmer trat, saß sein Vater
schon bei Tisch, klein und geduckt in dem hochlehnigen
Polsterstuhl und löffelte behutsam die Suppe. Sie
grüßten einander schweigend; sie saßen dann still und
speisten mechanisch, jeder in Gedanken verloren. Sie
hörten nichts als das kurze Klirren der Eßgeräte und den
Schritt der alten Marie, die trippelnd aus und ein eilte.
Als sie wieder einmal zum Tisch trat und als sie der
Graf verstohlen anblickte, begann abermals das Mit-
leid mit ihr heftig und schmerzhaft durch sein Blut zu
brennen. Warum habe ichs niemals früher bemerkt,
wie grau sie wird? dachte er. Wie sie zusammenge-
schrumpft ist! Wie gebückt sie schon einhergehl! Wie alt
ist sie denn? Kaum fünfzig, wie ich weiß ... Wenn ich
so nachdenke: Vor ein paar Jahren war sie noch eine
ganz andere, man würde sie nicht mehr erkennen ...
Er versuchte, seine Gedanken von ihr fort zu leiten.
Denn er schämte sich, er schämte sich, ohne dafür einen
Grund eingestehen zu wollen. Wie jetzt alles auf mich ein-
stürzt, dachte er, indem er sich mutlos zurückwarf und starr
das Tischtuch betrachtete. Alles stürzt jetzt auf mich ein.
Ärgerlich schob er den Sessel von sich und trat zum
Fenster. Er beugte sich hinaus und sagte sich: Jetzt
wird es ja endlich grün. Da ... der Kastanienbaum ...
über Nacht hat sich der besonnen ... das ist wirklich eine
Freude...
Da sagte plötzlich der alte Graf, der noch immer im
Lehnstuhl vor sich hinstierte, laut: „Ich hab heute lange
Zeit mit der Marie gesprochen ..."


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