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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 23.1913

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Gosebruch, Ernst: Wohnkultur in Essen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26493#0237

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Wohnkultur in Essen.

ir Essener sind ans nnser frisch aufblühendes
Gerneinwesen nicht wenig stolz, finden, wenn
wir aus anderen Städten heimkehren, immer
wieder, daß es bei uns — gewiß nicht fertiger, wohl
aber verheißender aussieht. Da tut es unserm hohen
Selbstgefühl vielleicht doch gut, daß Fremde, die zu
uns kommen, unser Entzücken zunächst ganz und gar
nicht teilen. Schon vom Coupö aus haben sie das
Aufgewühlte, Unharmonische, Amerikanische, das den
bastig aufgeschossenen Industriestädten anhaftet, pein-
lich empfunden, und nun erwartet sie am Bahnhof
eine Engigkeit der Straßen, Holperigkeit des Pflasters,
Bescheidenheit der Bauten, die zum Begriff der mo-
dernen Großstadt recht kläglich stimmt. Wer bei uns
lebt, weiß freilich, daß jenes Amerikanische, das unauf-
hörlich umstürzt und aufbaut, unserer Phantasie täglich
neue Nahrung gebend, von starkem, erfrischendem
Reize ist, und was die aus früheren, kleinen Aeiten
stammende, den: Bahnhof vorgelagerte Altstadt angeht, so
ist auch ihr Fall nicht mehr tragisch, da hier unsere Ver-
waltung in klarer Erkenntnis ihrer Pflichten ein rigoroses
Werk der Umwälzung und Verjüngung angefangen hat.
Nachdem in: letzten Jahre schon der Handelshof, die
Schöpfung des Kölner Architekten Moritz, dem Bahnhof
gegenüber seine imposante Masse aufgetürmt hat, ist
es keine Frage, daß in kurzer Aeit seine ganze Umgebung
ein neues, großstädtisches Gesicht erhalten wird.
Während für die Scharen unferer Arbeiter im Norden,
Osten, Westen der Stadt von den siebziger Jahren an
neue, große Bezirke sich bildeten, haben sich die Woh-
nungen der Bürger bis in unsere Tage hinein in der
winkeligen Altstadt befunden, ein Anstand, den man
heute, wo vor unseren Toren ganz junge, aber schon
ausgedehnte und dichtbesiedelte Wohnviertel liegen,
kaum mehr begreift. Nun muß man sich freilich vor
Augen halten, daß die Verhältnisse, Maßstäbe, etwa der
benachbarten Städte
des Wuppertals mit
ihrem breiten, begü-
terten Fabrikanten-
stande, für uns nicht
geltend sind. Eine
Stadt, in der vierzig-
tausend Arbeiter für
einen einzigen Indu-
striellen tätig sind,
muß in besonderem
Sinne als Arbeiter-
stadt angesprochen
werden. Immerhin
gibt es neben dem ge-
waltigen Kruppschen
Werke die blühende
Kohlenindustrie mit
ihrem Stab von Ge-
werken und Beam-
ten, gibt es ein paar-
kleinere Fabriken, die
gleichwohl Weltruf

genießen, gibt es den Awischcnhandel mit seinen vielen,
gutverdienenden Kaufleuten, kurzum, man muß schon
die Einfachheit, Bescheidenheit unseres angestammten
Westfalentums kennen, um zu verstehen, daß alle diese
wohlsituierten Elemente in der Dumpfheit, Winkligkeit
des alten Essens ihr Behagen fanden. Wozu dann aller-
dings noch kommt, daß es sich in den meisten Fällen
um „neue Leute" handelt, deren Ansprüche mit dem
steigenden Wohlstand erst wachsen mußten.
Die führenden Familien Krupp, Funke, Waldt-
hausen haben sich in den siebziger Jabren prachtvolle
Paläste ganz großen Stils geschaffen, neben denen auch
die Häuser Grillo und Niemann zu nennen wären.
Aus den achtziger und neunziger Jahren stammen die
ganz wenigen Bauten, die von den vortrefflichen Archi-
tekten Flügge, Nordmann, Aindel entworfen worden
sind, Bauten von großer Gediegenheit, die gleichwohl
auf jenen überkommenen Ton der Einfachheit gestimmt
bleiben. Es sind das auch immer nur Einzelfälle, alles
in allein läßt sich verfolgen, daß sich die reichen Essener-
bis in die neueste Aeit hinein in ihren alten, unschein-
baren und unbequemen Häusern wohlgefühlt haben.
Nun, wer an die böse Musterkarte der Protzenbauten
denkt, welche die entartete Architektur der neunziger
Jahre etwa über die Kölner Ringstraße ausgeworfen
hat, der wird einer Genügsamkeit, die unsere Stadt vor
solchem Graus bewahrt hat, gewiß nicht gram sein.
Eine weitschauende Bodenpolitik, die unter dem ver-
storbenen Oberbürgermeister Aweigert schon begonnen,
von seinen: Nachfolger, dem Oberbürgernreister Holle,
nut großem und kühnen: Auge weitergeführt wird, hat
in den letzten zehn Jahren für das Wohnwesen Essens
ganz neue Verhältnisse geschaffen. Die riesigen Bauern-
höfe der Bannmeile sind nach und nach fast sämtlich
in den Besitz der Stadt gelangt, die aus ihnen Bauland
macht, das sie zu mäßigen Preisen, aber unter bestimm-
ten, auch das ästhe-
tische Moment be-
achtenden Bedingun-
gen feilhält. Neben
dem schon erwähnten
Oberbürgermeister
Holle sind hier dieBei-
geordneten Brandt u.
Dr.-Jng. Schmidt zu
nennen, der erstere
als tatkräftiger Meh-
rer des städtischen
Grundbesitzes, der
letztere als begabter
und unermüdlicher
Schöpfer unserer
neuen, auf künst-
lerischer Grundlage
aufgebauten Viertel.
Man muß sich unter
diesen, die in: Süden
und Osten liegen,
nicht etwa reine Vil-



Abb. 1.

Architekt Oskar Kunhenn: Haus Radermacher, Maxstraße.


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