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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 1
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Halm, August Otto: Richard Wagners Tristan (II.)
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Hasenclever, Walter: Die Heimkehr
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0047

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Richard WagnerS Trijian (II).

abgefallen, die der Welt Ruhm und Ehre verwalten.
Die Rufe der Mannschaft jagen ihn dahin, wo sie ihn
will; das „Anker los"! wird ihm zum Symbol, dem sein
Schrei antwortet: „Los den Anker! Das Steuer dem
Strom! Den Winden Segel und Mast!"

Letzte Stufe: „Tristan und Jsolde bleiben, in ihren
gegenseitigen Anblick verloren, ohne Wahrnehmung des
um sie Vorgehenden". Hiermit geht das aküve, ursäch-
liche Drama zu Ende. Was noch solgt, ist eben Folge.
Gilt es da auch, ein noch höheres Niveau zu erreichen,
so geschah doch jetzt schon der letzt entscheidende Anstieg,
der aus dem Bereich der Störungen hinausführte.
Fortan kann daS Schicksal durch das Geschick nicht mehr
verhindert noch auch getrübt werden, und das fühlen
wir, wenn, nachdem der Liebestrank genommen ward,
ganze Ausammenhänge des Vorspiels sich wiederholen,
des Vorspiels, das als das Programm des Schicksals
erscheint und gemeint ist.

Womit wir uns ja endlich auch des Musikalischen
wieder erinnern.

3.

So geht es also an, von diesem Musikdrama viel,
und Wichtiges, zu sagen, ohne der Musik zu erwähnen?
Nun freilich, offenbar kann man das. Aber wäre es
kein Musikdrama, so gäbe es doch gerade von diesem
Wesentlichen nichts zu sagen, und wahrscheinlich gäbe
es dann ein wirkliches Drama „Tristan und Jsolde"
sogar überhaupt nicht. Mindestens dars ernstlich be-
zweifelt werden, daß mythischer Charakter ohne Musik
entstände, und gewiß ist, daß die hauptsächlichen dra-
matischen Faktoren des Lebens entbehrten. Nicht nur
daß die Linie des Psychologischen kleiner, die Kurve
der Leidenschaft matter ausfiele, daß die Maße ängst-
licher hätten genommen werden müssen: sondern die
ganze Anlage versagte. Schon das notwendige auf-
klärende Erzählen und Mitsichselbstberaten fände nicht
die sichere Geborgenheit in den Remissionen zwischen
den Ausbrüchen oder dem straffen Vorwärtsschreiten;
aber weit mehr noch: die gewaltig kühne Einfachheit
der Struktur konnte dann nicht gewagt werden. Nur
in der Musikwachsen die zeitlich getrennten undvariieren-
den Erscheinungen gleichen Wesens zu so kräftiger Ein-
heit zusammen; ja die „Welt" eristiert erst durch sie für
uns; wir erschlössen diese sonst mehr durch Abstraktion,
erlebten sie aber nicht als so lebendigen, unmittelbaren
Eindruck, und demnach auch nicht ihr Verhältnis zu
Jsolde, später zu Tristan und Jsolde. Und das Musik-
drama bedarf keines großen Apparates für den Bühnen-
vorgang; wenige Stimmen, die wir hören, noch weniger
Gestalten, die wir sehen, genügen ihm, um weiteste
Grenzen und zugleich Orientierungspunkte für die
Distanz zu schaffen. Denn ob die Musik sich auch nicht
durch Reichtum an Nüancen, ja die Möglichkeit wesent-
licher Verschiedenheiten des Stils und ihrer Aufnahme
in einen Organismus als durch eine Besonderheit vor
andern Künsten auszeichnet, so wirkt doch solches bei
ihr stärker, seiender. Und noch ein anderes gelingt ihr,
womit sie den zu Anfang erwähnten Nachteil des Wort-
dramatikers ausgleicht: sie webt eine Helle um die Helden,
die den Ruhm des Namens ersetzt, ja überstrahlt; des
Ruhms „lebendiges Kleid zu wirken" fähig, führt die
Musik noch mehr als daß sie nur begleitete oder gar nur

illustrierte; die erkennbare Seite des Dramas kommt
ihrer präsumtuösen Jdealität erst nach.

Den tieferen und volleren Sinn davon proklamiert
und deutet das Vorspiel. Es tönt von dem noch nicht
geschehenen Schicksal, es zeichnet dessen Willen in einer
zwar in Höhen und Tiefen führenden aber ungebrochenen
Linie; ganz einheitlich, ganz undramatisch von Wesen,
hält es sich von Dialketischem rein; in sich stark gespannt,
vermeidet es die Gespanntheit des Gegensätzlichen. So
entsteht denn auch mit dem ersten Beginn des ersten
Akts die fast erschreckende Empsindung des Falls, der
Jdee in daS Reich der Einzelgeschichten, der Geburt des
Schicksals in das innerweltliche Geschick; eine Emp-
sindung hohen Rangs, die zu veranlassen den Klassikern
nicht nur nicht gelingt, sondern garnicht in den Sinn
kommt, da sie in ihrer Sonatenform denkend schon der
Jntramundanität verschrieben sind. Wie Wagners
Tristan-Vorspiel vor dem unsichtbaren, kosmischen Vor-
hang, so spielen ihre „Ouvertüren" vor dem sichtbaren.
Und auch soweit sie eine Art symphonischer Dichtungen
sind, wie etwa die große Leonoren-, die Coriolan-Ouver-
türe, bedeuten sie nicht Jdee, sondern nur einen ab-
gekürzten, höchstens „idealisierten" Vorgang, seine Pro-
jektion aus das Feld der Musik. Und selbst schreiende
Äußerlichkeiten vom Schlag jener Trompetensignale
drücken sie, im Vergleich zu Wagners Schöpfung, nicht
mehr grundsätzlich dem Rang, sondern nur noch der
Qualität nach herab. Aug. Halm.

ie Heimkehr.

Von Walter Hasenclever.

Da neigt sich wieder himmlisches Beglücken
Des sanften Stroms an Frucht und Bergeswand;
Jm Nebelflor, welch' steigendes Entzücken
Von manchem Wunderbaren, das entschwand.

Wie streckt sich mir hinüber Hand um Hcmd!

Bin ich derselbe, der einst hier gereist ist -—
Primanerangst und Freundschaft, die verwaist ist,
Und aufgewehter Städte Bahnhofsbrand!

Geliebte Frau, du, die ich mit mir trage
Jetzt friedlich in dies heimatliche Land —

Bist du die gleiche nicht, mit dumpfem Schlage,

Die schon im Schmerze meiner Jugend stand!
AllmächtigerWunsch! O Sehnsucht! DunkleMahnung
Des Gottes auf erwachendem Planet —

Wie überwältigt mich die süße Ahnung,

Daß manche Stunde in Erfüllung geht.

Jch seh die Villen. Blütenstaub in Gärten.

Weiß, daß auch mir die Gouvernante sang.

Die letzte Sonne glüht auf den Osferten
Der weiten Felder. O Beruhigungsklang!

Das müde Weib am Karren vor der Brücke
Jst jetzt im Abend. Jst in Gottes Näh'.

Der Wald geht auf; es tanzt die kleinste Mücke.

O, daß ich alles so in Freude seh'!

O, daß ich bin, ja bin in euren Tagen!

Schon naht im Westen Schiff und Stadt und Dom.
Die alten Burgen meiner Kindheit ragen,

Und Mond erhebt sich an dem ewigen Strom.
 
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