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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 5
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Zenz, Franz Reinhold: Kintopp: eine Filmphantasie
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Halm, August Otto: Kleine Aufsätze über Musik: der Stolz der Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0199

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Kintopp.

seine Arme um ihren Leib. Reißt sie herum und emp-
fangt ihren Biß. Ah! Er zuckt nicht auf, schlingt sie
nur fester. Dann lachen beide und sie wirft die Orange
hoch in die Luft. Hinter einem Busche l»gt ein Kopf.
Das Geäst zittert krampfhaft. Eine geballte Faust
schießt hervor, derb und grobschlächtig, kinematographisch
vergröbert. Aha, das ist der Dritte. Das Drama be-
ginnt. Die Handlung wird. Der Geschmeidige geht,
und die Schöne schmachtet ihm nach. Ein wenig senti-
mental. Der Geschmeidige geht auf die Kirche zu und
zeigt bedeutungsvoll auf die Uhr. Er macht noch eine
Handbewegung und sie nickt. Er will wohl die Uhr in
Gang bringen.

Kaum ist er fort, da wühlt sich der andere aus dem
Gebüsch hervor. Ein Vierschröter mit brutaler Kraft.
Er ist aufgeregt und beginnt mit einer Szene. Die
Schöne lacht. Jhr Lachen sagt: Jch habe zwei Augen
und zwei Öhren, warum sollte ich nicht zwei Liebhaber
besitzen? Das sieht der Kerl nicht ein. Er spielt ver-
zweifelt. Und sie lacht, lacht immer voller und frecher.
Jhre Iähne blitzen. Als es ihr zuviel wird, geht sie,
mit der aufreizenden Bewegung ihrer Hüften. Einen
Augenblick überlegt er, sich auf sie zu stürzen. Das wäre
das Richtige. Dann aber bedroht er pathetisch den
Glockenturm der Kirche.

Plötzliches Dunkel. Der Mond muß von einer Wolke
verdeckt sein! Mein Hirn will weiterkurbeln, aber der
fehlende weiße Fleck stört mich. Jch wälze mich in Un-
ruhe. Die Sache hat mich schon gepackt. Jch lebe mit.
Aum ersten Male befällt mich das Kintoppfieber.

Das Licht zuckt wieder auf. Noch etwas dämmerig.
Aha! Das Dachgestühl des Kirchturmes. Balken kreuzen
und queren einander. Durch Ritzen und Luken flimmert
Licht. Auf einer Leiter steht der Uhrmacher, hängt nach
der Seite, wie ein Akrobat. Er tüftelt an Ketten und
Rädern. Nun steigt er zu Boden, lehnt die Leiter an
eine erhöhte Plattform im Gebälk, klettert hinauf und
stellt die Aeiger des Aifferblattes. Plötzlich horcht er
gespannt nach unten. Ein Kopf wächst aus dem Boden.
Schultern und Rumpf drängen hinter ihm her. Der
Vierschröter pflanzt sich in den Raum. Er zieht sein
Messer, macht erregte Gesten: Iweikampf. Der andere
höhnt ihn von seinem erhöhten Standpunkt aus, setzt
sich rittlings auf einen Querbalken und pfeift. Auf
einmal dunkelt sein Gesicht. Er flitzt den Balken herunter,
steht bereit. Umschlingung, Geknäul, Messerblitzen und
dann ein Gewalze am Boden. Sie kommen wieder
hoch, stoßen sich gegenseitig zurück, daß die Pfosten
schüttern bis hoch hinauf. Ein Kräftesammeln. Und
nun wieder von neuem. Der Geschmeidige entgleitet
jedem Angriff, windet sich aus jeder Umschlingung. Nun
strauchelt er, kommt zu Fall. Der Vierschröter wirft
sich breit auf ihn, faßt seinen Kopf mit beiden Händen,
schlägt seinen Schädel an den Boden, immer wieder,
bis die wehrenden Hände erschlaffen. Das geht unheim-
lich geräuschlos vor sich, wie der ganze Kampf. Der
Vierschröter steht auf, reckt sich, sucht das entsallene
Messer. Er bückt sich danach, aber er schleudert es weit
sort. Er hat einen Plan, verschwindet und kommt
wieder mit Stricken. Er bindet sein Opfer, schnürt ihm
Hände und Füße brutal zusammen, würgt einen Knebel

zwischen die gekrampften Kinnladen. Nimnit den Ge-
fesselten auf den Rücken und schleift ihn die Leiter
empor, zu der kleinen Plattform des Aifferblattes. Baut
ein Gerüste, legt seinen Nebenbuhler darauf und schiebt
dessen Kopf durch das kleine Fenster des Aifferblattes.
Pause.

Ein riesengroßes Aifferblatt. Der große Zeiger hat
die volle Stunde angezeigt und kreist, durch sein eigenes
Gewicht erschwert, langsam nach unten. Langsam und
stetig. Minute nach Minute. Jch meine das Werk zu
hören, wie es leise zählt: Pok trik trak, Pok trik trak,

Pok trik trak-- Ein bleicher Kopf hängt kraftlos

nach unten, mit entblößtem Halse. Die Augen sind noch
ohnmächtig geschlossen. Der große Aeiger ist nur fünf
Minuten von der Kehle entfernt. Steif ziehen sich die
Lider auf. Blöd starren die Augen. Dann blitzt es
darüber hin. Alle Muskeln des Gesichtes schwellen.
Die Halsadern treten dick hervor. Gräßliche Angst
verzerrt den Mund. Noch sind es zwei Minuten. Ein
Aucken ruckt den Körper zusammen. Pok trik trak, Pok

trik trak --Nichts Menschliches ist mehr in dem

Gesichte.

Der Mondstrahl schrickt zusammen und erlischt. Was
mag jetzt kommen? Jch sitze aufgerichtet im Bett.
Mein Rücken schauert. Jn meinen Ohren geht es immer
fort: Pok trik trak. Nun kann es nur mehr eine Minute
sein. Die Messerschärfe des Ieigers muß ihm hart an
der Kehle liegen. Wo bleibt der Mond? Jch will weiter-
kurbeln, will sehen was daraus wird! Ausgleichende
Gerechtigkeit, Aensorschere, oder brutales Schicksal?
Wo bleibt der Mond? Jch will den Film bis zu Ende
sehen, ich will ihn an Oaninont kreros schicken, daß sie
einen neuen Sensationsfilm bekommen und ich einige
neue Taler. Aber dazu brauche ich den Mondfleck!
Meine Phantasie ist sonst nicht blutig genug. Jnstinkte
müssen geweckt werden, das zieht. Darauf ist man lüstern.
Jnstinkte sind ein gutes, billiges Surrogat für Empfin-
dung, Phantasie und Nachdenken. Wo bleibt der Mond?

Der Mond schläst.

leine Aufsähe über Musik.

Der Stolz der Neuzeit

Eines, so sagt man, haben wir jedenfalls vor den
früheren Aeiten voraus: die Kunst des Jnstrumentierens,
und diesen Vorzug bestreiten auch sie nicht, die sonst
einen Niedergang seit dem Klassizismus beklagen. Nur
den Wert des Errungenen schätzt man verschieden ein,
und viele wollen sich mit ihm über sonstige Verluste,
welche die Tonkunst erlitten habe, keineswegs trösten.

Wirkliche Kritik verbirgt sich zwar hinter dem nicht
selten gehörten Tadel, daß es sich da um äußerliche
Vorzüge, ja manchmal um einen in gewisser Art trüge-
rischen Glanz und Prunk handle; aber sie pflegt eben
doch versteckt zu bleiben. Befreien wir sie von ihrer
Schüchternheit; denken wir daran, daß alle Bereicherung
Gefahren bringt, sei es auch nur die des Aufprotzens;
daß sich schon die natürliche Freude über neue oder ver-
stärkte Mittel in Hingabe an diese zu verwandeln droht:
 
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