Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Edschmid, Kasimir: Der Soldat: eine Novelle
DOI Artikel:
Bab, Julius: Dramaturgisches Jahr
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0239

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Dramaturgisches Jahr.

sie heraus. Die Bediententreppe war geöffnet. Eine
Magd plauschte mit einem Bäcker, der ihr in den Arm
kniff. Erschrocken murmelte sie „Mademoiselle", als
Cecile vorbeilief.

Cecile öffnete ihr Fenster, streifte die Armel der
Bluse hoch auf und hielt die Arme, Hals und Kopf in
den müden Regen hinaus. Sie drehte nur die kleine
Lampe am Kopf ihres Bettes auf. Wie neu erschienen
ihr in dem Awielicht alle Sachen. Lang stand sie am
Fenster und schaute in das bedeckte Land hinaus, das
einen leichten hellen Schein trug. Sie lauschte dem
beruhigenden Klang des Regens, roch mit lebhaften
Nüstern, wie eine frische, herbe Luft sich bewegte und
sah, wie das Heer der Laternen nach dem Polygon zu
sich mahlich in Dunst und Himmel einspann. Dann
legte sie ihre Kleider ab, langsam und sicher, sah vor dem
Spiegel, dämmerig aber deutlich, die Aartheit und
Schöne ihrer Glieder, fühlte den pulsenden, drängenden
Schlag des Blutes überall und freute sich darüber.

Als sie die Lampe löschte und auf Schlaf wartete,
fingen ihr die Augen zu brennen an, und wie ein spitzer
Hammer schlug ihr ein feiner Schmerz an die Schläfe.
All die vielen Lichter des Abends brannten wieder auf
ihre Augen und zuletzt aus dem Dunkel hervorqualmend
die Brunst des Münsterturmes. Cecile fuhr zusammen,
und in diesem Augenblick schien es ihr noch einmal, als
würde die ganze Welt künftig immer nur etwas sein,
was an ihre Schläfe schlage wie ein tickender, spitzer
Hammer und ihre Augen beize mit brennendem Schmerz.

Sie hob die Hand suchend nach der Wand und legte
sie an den Drücker, der den schweren Lüster aufflammen
lassen sollte. Sie ließ sie liegen, Sekunden, Minuten

-dann lächelte fie und ließ sie zurückfallen auf

das zartgeblümte Plumeau, unter dem, etwas müde,
aber pochend und sicher ihr Blut floß.

Am nächstcn Morgen sprach Laurenze, dcr Cecile
nur als das schwärmende Mädchen gekannt hatte und
in der Ferne dcr Reife und dem Durst eines Weibes
sich gegeben hatte, der, nun überwältigt von dem neuen
Wesen, eine fchlaflose Nacht verbracht hatte, mit Ceciles
Mutter und erbat ihre Hand.

Doch Cecile wehrte gelassen ab. Und ging mit einer
verneinenden Geste und wenigen raschen Worten auch
über das fragende und ängstliche Lächeln ihrer Mutter
hinweg.

ramaturgisches Jahr.

Wem es nicht um die Anzahl neuer Stücke, son-
dern um das Ergebnis an neugestaltetem Leben bei einer
dramaturgischen Jahresbilanz zu tun ist, der braucht viele
Erscheinungen kaum zu beachten, die breit im Vorder-
grund, nicht nur des Theaterinteresses, sondern auch der
sogenannten literarischen Diskussion gestanden haben.
Überall wo ein Talent in seiner Entwicklung erstarrt
scheint, und nur Wiederholungen aber nicht eigentlich
mehr Abwandlungen seines Themas geben kann, hört
bis auf weiteres die Pflicht des dramaturgischen Beob-
achters auf, sich eingehender mit seinen Produkten zu
beschäftigen. Was aus Frank Wedekinds phantastisch

spukendem Talent unter dem Druck einer ungeheueren
erotischen Beschränktheit und einer bei allem Wahnsinn
immer mehr in rein begrifflichen Materialien arbeitenden
Besessenheit geworden ist, das habe ich in den „Rhein-
landen" schon ausführlich auseinandergesetzt. Und sein
in diesem Winter vielfach gespieltes „neues" Drama
„Sirnson"* hat keine andere Bedeutung als etwa die,
den Verfall dieses starken Talentes in Reinkultur zu
zeigen. Der biblische Held, der seine Taten alle aus
Weiberaffären herleitet und schließlich auch in einer
Weiberaffäre umkommt, ist ja für Frank Wedekind der
gegebene Mythos. Drei Akte lang fchleppt er ihn durch
alle erotischen Perversionen, die eine kalte Phantasie
nur irgend ersinnen mag, und umspinnt diese Geist-
losigkeit mit Dialogen, die zugleich so vollkommen wider-
sinnig und so trocken logisch sind, daß man nicht genug
die Suggestionskraft der Mode anstaunen kann, unter
deren Zwang ein versnobtes Großstadtpublikum Jnter-
esse für diesen langweiligen Wahnsinn aufzubringen
scheint. Ein paar tierhafte lyrische Klageschreie, ein
paar Augenblicke bös auffunkelnden Witzes deuten in
diesem öden Trümmerhaufen die Stelle an, auf der
einmal Wedekinds dichterische Gabe zu finden war. —
Nichts eigentlich Neues bringt auch die bösartige Be-
gabung Carl Sternheims in feinem neuen, sehr
erfolgreichen Stück „Der Snob"**. Er setzt dieReihe
seiner temperamentlosen und gerade darum etwas
gespenstisch unheimlichen Karikaturen fort: wie er im
„Bürger Schippel" einen Proleten zeichnete, der krampf-
haft in das Bürgertum hinaufklettert, so jetzt einen
Bürger (den Sohn des rüstig beschränkten Kanzlei-
beamten „Maske" aus Sternheims erster Komödie „Die
Hose"), wie er in skrupelloser Selbstvergewaltigung sich
zum Aristokraten macht. Dies widernatürliche sich aus
den eigenen Wurzeln reißen ist sehr gut zu einem Spiel
des Snob mit seinen Eltern konzentriert, die er bald
gegen Barzahlung aller gehabten Unkosten abschieben,
bald zu scntimentalen Dekorationszwecken ausnutzen,
bald zugunsten vornehm aristokratischer Herkunft ver-
fälschen will. Der Witz Sternheims ist zuweilen wieder
ganz außerordentlich, aber die Lieblosigkeit seines Tem-
peraments versagt die Wärme, ohne die es zu großen
dramatischen Wirkungen doch nie kommt. — So wenig
wie in der Sternheimschen Kälte wollen m der ständig
überkochenden Weißglut des Eulenbergschen Tem-
peraments sich organische Gebilde gestalten. Eulenberg
hat in diesem Winter nicht weniger als vier Berliner
Premieren gehabt. (Das ist vielleicht noch keinem Autor
je passiert und er sollte endlich aufhören, sich als „ver-
kannt" zu gerieren.) Aber wirklich Neues trat dabei
nirgends zutage; am wenigsten in jener „Zeitwende"f,
die ein paar schöne und ein paar alberne Typen roman-
tischer Weltverlorenheit um eine theatralisch flache
Liebeshandlung gruppiert und sich (vielleicht auf Grund
einiger überaus ahnungslosen Scherze über Geldwesen,

* Buch bei Georg Müller erschienen. Uraufführung am Lessing:
theater in Berlin.

" Uraufführung in den Berliner Kammerspielen. Buch beiur
Jnselverlag, Leipzig.

t Uraufführung am Berliirer Lessingtheater. Buch bei Kurt
Wolf, Leipzig.
 
Annotationen