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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 10
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Lissauer, Ernst: Über Goethe: Betrachtungen beim Lesen Goethischer Urkunden und Werke
DOI Artikel:
Zech, Paul: Alle Fenster schaun aus Laubgewinden
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0366

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Über Goethe.

sein. Und nun: in Goethes Worten ist ein Widerspruch;
denn was grandios, ganz toll, ganz groß ist, davon
kann man nicht sagen: es bewegt gar nichts. Und dann:
„ganz groß" neben „ganz toll", fast tadelnd gebraucht.
Man hat nicht das Gefühl, Goethe kann das nicht ver-
stehen, sondern: er will es nicht verstehen. Sein erstes
Wort ist eine Abwehr; wir müssen sagen: eine bequeme
Abwehr. Der Einwand der Mittelmäßigkeit gegen alles
gewaltig-gewalthaft Große wird ausgesprochen von
diesem großen Manne; ausgesprochen, nicht empfunden.
Denn die folgenden Ausrufe erweisen, daß er sehr wohl
bewegt worden war, und nicht nur bewegt: erschüttert.
Aber er wollte nicht erschüttert sein auf vulkanistischem
Wege. Auch Ielter gegenüber, dem er von Mendelssohns
Besuche schreibt, drückt er sich unbestimmt, unsicher aus:
Mendelssohn habe ihm Ph. Em. Bach, Haydn, Mozart
vorgespielt und auch die neueren großen Techniker. Beet-
hovens Name wird nicht genannt, er ist mit der Bezeich-
nung „große Techniker" gemeint, die ebenso voller
Widerspruch in sich selbst ist wie jene spontanen Ausrufe.
Groß und Techniker verbunden ist ein zweideutiger Aus-
druck; denn er läßt den Sinn zu, daß nur die Technik
groß ist, und den, daß bei überraschend reifer Technik
die Kraft groß ist. Es ist eine Wendung, wie sie von
Bequemen angewandt wird gegen erschütternde Neuerer,
von denen sie selbst widerwillig erschüttert sind, deren
Urkraft sie widerwillig zu unterst ahnen. Goethe hatte
genug Vulkanisches in sich, um den vulkanischen Beet-
hoven zu vernehmen: er wollte nicht. Er lehnt ab,
doch nicht groß, ganz, goethisch, sondern gebrochen, halb,
tastend; ungenial, mit den Formeln der Mittelmäßigkeit.

Man darf nicht einwenden, daß Goethe die Musik ferner
lag; er spürte ja Bach und gab sich ihm hin.

H -r-

-r-

Trotz seiner verhältnismäßig großen Entfernung
von der Musik hat er Wesentliches über Bach gesagt,
das immer aufgeführt werden muß, wenn je von Bach
gesprochen werden wird. Als Ielter ihm von der Auf-
führung der Matthäuspassion unter Mendelssohn be-
richtete, fand Goethe auf Ielters nicht einmal stark ver-
mittelnde Erzählung das Wort: „Es ist mir, als ob ich
von ferne das Meer brausen hörte." Wenn man, nach
dem Erleben der Matthäuspassion, Ielters Beschreibung
liest und dann, im nächsten Brief, dies Wort Goethes
findet, so schlägt einem ein schweres Erstaunen an
die Stirn, wie dieser musikferne Mann, über die Jahr-
zehnte hinweg, mit formelhafter Gewalt, ausdrückt,
was man eben erfuhr: „Es ist mir, als ob ich von ferne
das Meer brausen hörte."

Und er bildete, nach dem Anhören des wohltempe-
rierten Klaviers, das ungeheure Gleichnis der Bachschen
Musik: „Als wenn die ewige Harmonie sich mit sich
selbst unterhielte, wie sich's etwa in Gottes Busen, kurz
vor der Weltschöpfung möchte zugetragen haben." Dies
ist mehr als Verstehen, ist das Ahnen eines Entrückten,
der einen Entrückten wittert. Es ist, als seien Goethes
Worte über Bach nicht gesprochen aus dem Erlebnis
seines irdischen Körpers und seines Gehörs, das minder
reich bedacht war als sein Gesicht, sondern in einer

Region voller Ewigkeit, wo der Goethesche Geist, befreit
von diesem geringeren Gehör, in grenzenloser Unmittel-
barkeit den Bachschen Geist wahrnahm als einen Eben-
bürtigen, Ebenewigen.

-I- -!-

Ein bedeutsames Ieichen für die menschliche Größe
und Lauterkeit Goethes ist dies: er wußte von einer
bestimmten Ieit ab, schon sehr früh, aber mit vollster
Gewißheit mindestens in der zweiten Hälfte seines
Lebens, daß er eine geschichtliche Persönlichkeit sei von
solcher Größe, daß alles, was er sagte — mindestens:
schrieb —, auf die spateren Geschlechter kommen, ge-
druckt würde. Von den Briefen an Ielter wußte er selbst
früh, daß sie veröffentlicht würden, er selbst bereitete
sis noch zum Drucke vor. Und gleichwohl: in seinen
Briefen ist kein Wort, es schwingt zwischen den Worten
kein Ton, darin man eine Spekulation auf den Druck
vernehmen könnte. Und zwar ist zu unterscheiden zwischen
dem Bewußtsein, nicht nur zu diesem einen Empfänger
zu sprechen, sondern zu einer Allgemeinheit in öffentlicher
Akustik und der Einstellung, Färbung, Tönung in
usuiu plebis, iu usuiu publivuin. Es fehlt jede Spur von
Eitelkeit; zu sprechen mit weitem, vermehrend-ver-
mehrtem Schall ist dieser Stimme natürlich; seine
Luft ist Vergangenheit und Iukunft über unermeßliche
Flächen hin; wie andere in Gesellschaft oder bei Hofe,
so bewegt er sich ohne Iwang, hineingeboren, in den
Jahrhunderten; wie andere Welt, so hat er Geschichte.
Die Ewigkeit sitzt ihm wie sein tägliches Kleid.

lle Fenfter schaun aus Laubgewinden.

O ihr abendübertönten Straßen,

Vorstadtstraßen ohne Bahngestampf,
ohne donnernder Fabriken Dampf,
die uns lang genug im Nacken saßen.

Alle Fenster schaun aus Laubgewinden

auf ein grüngestromtes Rasenlicht,

auf ein Wasser wo sich Sonne bricht,

auf ein Feld wo Mädchen Garben binden ....

Heben sich nicht deine staubigen Lider
fernentrunken wie in blauer Ieit?

Spannst Du Arme nicht wie Flügel breit?

Hüpft dein Herz nicht feurig auf und nieder?

Jeden Nachbar mußt du „Bruder" rufen,
der Laternenzünder ist dir brauner Pan;
noch die Bettler, die sich deinem Gitter nahn,
führst du tröstlich über steile Stufen.

Blüht dann gelbe Lampenrose drinnen,
kehrst du wie ein später Wandrer ein,
und Maria bricht dir Brot und schenkt den Wein,
daß zwei Herzen sich gewinnen und umspinnen.

Paul Aech.

Z44
 
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