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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 2
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Hesse, Hermann: Grindelwalder Tage
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Lissauer, Ernst: Verschollene Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0090

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Grindelwalder Tage.

dem Schnee schauten.j Jch war salsch gefahren und verlor
mich am Walde hin, bis ich einsah, daß ich so vor der
Nacht nicht heimkommen könne. Es war bitter, aber
ich mußte die ganze Höhe, die ich in einer guten Stunde
herabgekommen war, mühsam wieder zurücksteigen. Es
geht namlich eine Aahnradbahn von Grindelwald nach
der Scheidegg, die zwar jetzt nicht in Betrieb ist, aber
deren Weg ich kannte und die mich führen sollte. Es
ging lange, bis ich sie fand, und dann mußte ich noch
eine gute Strecke zu Fuß gehen, denn die Trasse war
eisig und daneben fiel die Stützmauer zwanzig Meter
hinab. Dann aber faßte ich Vertrauen, des Schlittens
bin ich sicher; ich legte das linke Bein als Führung auf
die fast überall offenliegende Schiene und fuhr nun
ohne weiteren Aufenthalt im Tempo eines guten Renn-
wagens die ganze Bahnstrecke hinab, eine gute Aahl
von Kilometern. Auweilen hörte ich dumpfe metallische
Schläge, spürte einen Schmerz im rechten Bein und eine
Erschütterung im Kopf; dann war ich in der Dämmerung
über eine Weiche weggefahren. Und einmal, ich darf
es nicht verschweigen, verlor ich auch die Führung und
verschwand übers Mäuerchen, doch kostete es mich nichts
als meine Brille und ein paar Hautfetzchen. Und endlich,
es war sechs Uhr abends und tiefe, blaue Nacht, fuhr
ich über eine kleine Brücke wie der Teufel aus der
Schachtel in Grindelwald ein. Die Viertelstunde Gehens
bis zum Hotel fiel mir schwerer als alles Bisherige, aber
die Knochen waren ganz, und eine Stunde später saß
ich vor einer heißen Suppe und einem Glas Karthäuser,
und obwohl das ein schöner Wein ist, hat er mir doch
noch nie so wunderbar geschmeckt wie damals.

erschollene Gedichte.

Gesammelt von Ernst Lissauer.

I.

Viston.

Von Hugo von Blomberg.

Jch sah im Traum ein seltsam Ding;
in goldnen Wogen ein Kornfeld ging.

Am Himmel war's tiefnächtig blau,
auf Erden doch wie Morgengrau.

Und droben in der Sterne Schaar
der Mond so bleich und glanzlos war.

Da sah ich drei Männer in rotem Kleid,

Kron' auf dem Haupt, Schwert an der Seit'.

Sie trugen Sensen wie Blitzesschein,
sie schauten ernst und düster drein.

Sie sprachen: die Aeit vorhanden ist:
so wetzt die Sensen zu dieser Frist!

Und als des ersten Sense klang,
der Mond in Stücken vom Himmel sank.

Und als der zweite die Sense schlug,
da fielen vom Himmel der Sterne genug.

Wie goldner Regen sie fielen her
ins Korn, das rauschte und wogte sehr.

Und als des dritten Sense scholl,
da bin ich erwachet schreckensvoll.

Der Himmel stand in Sternenschein;
der Herr, der wird barmherzig sein.

Nachbemerkung. Hugo von Blomberg (1820—71)
war Maler und Dichter. Er gehörte zum „Tunnel
unter der Spree", jener bekannten Vereinigung berlini-
scher und in Berlin wohnhafter Dichter und Schriftsteller,
die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Berlin
bestand. Fontane spricht freundlich über ihn in seinen
Erinnerungen „Von Awanzig bis Dreißig." Er ver-
öffentlichte verschiedene Gedichtsammlungen: die wich-
tigste, „Bilder und Romanzen", erschien 1860 in Breslau
und enthält die „Vision".

Ein merkwürdiges Stück: voll lebendigen Nachklangs
alter Volksballaden und, vor allem in der Schlußzeile,
alten Chorals, und zugleich knapp und präzis geprägt,
wie die besten Stücke Linggscher Geschichtslyrik, ja wie
manches von Konrad Ferdinand Meyer: gewiß archai-
sierend und doch voll selbständiger Anschauung. Es
ist Blomberg gelungen, ein visionäres Licht auszubreiten,
das als ein Widerschein biblischen Gewittergewölkes
über der geträumten Landschaft steht. Die Vorstellungen
der Bibel: die Sensen, die Erde und Gestirne ein-
ernten, die Reiter sind übernommen; wie in Luthers
großem Gedicht „Jesaias Gesicht" die Vorstellungen aus
dem sechsten Kapitel Jesaja in Versen nachgestaltet sind.
Sicher ist Luthers Gedicht der Gewalt Jesajas näher
als diese Vision dem Apokalyptiker; aber ein Nach-
schüttern des ungeheuren apokalyptischen Weltbebens
tönt auch durch dies Gedicht, das zum guten Bestande
der aus dem vorigen Jahrhundert uns überkommenen
Lyrik fortan zählen soll.
 
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