Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Hesse, Hermann: Abend in Cremona
DOI Artikel:
Röttger, Karl: Kindheit, Gott und Wunder
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0121

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Abend in Cremona.

Sinne und Gedanken an der Landschaft erprobe. Darum
kehre ich auch immer wieder dankbar und willig zu den
Künsten zurück, darum gewährt mir ein kühner Bau, eine
schön bemalte Wand, eine gute Musik, eine wertvolle
Aeichnung schließlich doch mehr Genuß, mehr Befriedi-
gung dunklen Suchens, als das Beobachten der unge-
meisterten Natur. Jch glaube, das, worauf jener ästhe-
tische Trieb hinausgeht, ist gar nicht etwa ein Loskommen
von uns selbst, sondern nur ein Loskommen von unsern
schlechteren Jnstinkten und Gewohnheiten, und eine Be-
stätigung des Besten in uns, eine Bestätigung unseres
heimlichen Glaubens an den Menschengeist. Denn wie
ein wohliges Bad im Meere, ein frohes Ballspiel, eine
tapfere Schneewanderung mein leibliches Jch bestätigt,
ihm in seinen besten Gelüsten und Ahnungen recht gibt
und durch Wohlbefinden auf sein Verlangen antwortet,
so antwortet beim „reinen Schauen" der große Schatz
menschlicher Kultur, geistiger Leistung auf unseren
fordernden Glauben an die Menschheit überhaupt. Was
soll mir die Freude an Tizian, wenn seine Bilder mir
nicht Ahnungen wahr machen, Triebe bestätigen, Träume
rechtfertigen?

So, scheint mir, reisen wir und schauen und erleben
die Fremde im tiefsten Grunde als Sucher nach dem Jdeal
des Menschentums. Darin bestatigt unS und bestärkt
uns eine Figur von Michelangelo, eine Musik von Mozart,
ein toskanischer Dom oder griechischer Tempel, und diese
Bestärkung und Rechtfertigung unsrers Verlangens nach
einem Sinn, einer tiefen Einheit, einer Unsterblichkeit
der wenschlichen Kultur ist es, was wir auf Reisen be-
sonders innig genießen, auch wenn wir nicht daran denken.

Lange saß ich noch und dachte nach, und die Gedanken
flossen mit den Erinnerungen an hundert Neisen, seit
der frühesten Jugend, zusammen, und es wurde nür
klar: wieviel auch die Ieit wegnimmt, wie sehr man
altern, ermüden, schwächer werden mag, jenes Erlebnis,
das der Sinn unsres NeisedrangeS ist, wird nie ganz
seinen Glanz verlieren, und wenn ich in zehn und zwanzig
Jahren mit anderen Ansichten, anderen Erfahrungen,
anderem Lebensgefühl als heute durch die Welt reisen
werde, so wird es schließlich doch wohl im selben Sinne
geschehen wie heute, und es wird mir, über alle Ver-
schiedenheit und reizvolle Gegensätzlichkeit der Länder
und Völker hinweg, immer mehr und immer klarer der
einheitliche Sinn alles Menschentums entgegentreten.

indheit, Gott und Wunder.

Von Karl Röttger.

1.

O Kindheit, lächelnd in die großen Bogen
der Himmel und der Horizonte, da
das Wunder thronte und das Glück geschah —
o Kindheit lächelnd, der die Träume logen;

und doch ein Freuen nah, so liebend nah..

O Traum der Kindheit und des Wachsens Mühe
und Spiel in Gärten zwischen Beet und Strauch;

und schräge Sonne und ein Abendrauch
in alten Straßen; kühle Abendfrühe;

in Bäumen rasches Wehn und Blütenhauch.

O Not der Trauer, Schauern vor dem Sollen,
vor ungemäßem Tun, das jäh verdarb,
was innen keimend um die Liebe warb
der nahen Welt ... Tränen, die heimlich quollen

um eine Liebe, die schon frühe starb.

O Glück des Fragens aus den Wirklichkeiten
ins Jenseit hin, zu Traum und Jdeal —
o Glück der Wünsche, und des Suchens Qual,
und müde dann ein schweres Heimwärtsschreiten —

und Abendlied im grünen Frühlingstal...

Und doch das Werden, da bedrücktes Jnnen
doch wuchs, wie Pflänzlein durch den harten Stein:
Durch Nichtverstehn und lastendes Einsamsein,
und in den Adern zarter Ströme Rinnen

und Aufwärtsmühn — und ganz zuletzt allein

das stumme Weggehn aus den alten Gleisen
der Heimat und der Märchen, die verblaßt,
wie schwebend stehn, aus aller Spiele Hast
in Dämmerung; — und aus dem fließend leisen

Kommen und Gehn vergangner Tage. — Fast

ist alles schon nicht wahr und nie gewesen.

O Weg der Kindheit, der verworren fand
wohin? wohin? an dessen Ende stand
ein anderer, der jenes nie gewesen —

du sanftes Bild an des Erinnerns Rand.

2.

Am Rätsel tragen, war des Kindes Seele,
das einsam war, war seine Leidenschaft,

Not seines Wachstums, Schönheit seiner Spiele,
war tatenlose Ohnmacht, war die Kraft
nicht wegzugehn; wie groß auch Lebens Fülle
ringsum sich ängstend türme; war die Kraft,
zu hoffen, daß ihr werde, was noch fehle...

Des Kindes Seele trug das Rätsel schweigend,
bedachte nicht und trennte nicht, was eins
ihm war: der Armut Not, des Freuens Glück, denn keins
war anders als es selbst. Nur aus sich steigend
erhob es sich. Aus seinen eignen Hüllen
sich aufwärts mühend, doch verlor sich nicht,
nahm alles Kindsein mit bis in die kühlen
Enttäuschungen, des Jchbewußtseins Licht...

s -ü

Am Rätsel tragen ist noch unsre Stärke;
das Kind ward still in uns und schwieg zuletzt.

>07
 
Annotationen