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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 3
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Moreck, Kurt: Vier Gedichte
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Lissauer, Ernst: Verschollene Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0128

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Dier Gedichte von Kurt Moreck.

und zerrissenen Gestellen
zergehen,

von denen die verschlissenen grünen Blattfetzen

traurig herunterhängen,

wie ehemals mächtig flatternde Fahnen;

dann gefangen und ohne Wille

in einer Windstille...

Eine fremde Stadt,

in einen harten Ring von Mauern gefaßt,
trotzt über braunen Feldern empor.

Aber am andern Ende

tut sich ein schweres, breites Tor auf,

und wieder gibt es

außer der trockenen Ebene

nichts,

als das eigene Herz, das laut schlägt,

und den Schatten,

den sich jeder voraus,

wie ein dunkles Schneckenhaus,

durch den durstigen Staub trägt.

Und der Weg biegt schon einmal ab,
ringt sich hinauf oder stürzt hinab,
und er scheint nicht mehr derselbe;
aber kein anderer ist er drum geworden.

An den Wegborden
schießen dieselben fahlen Halme.

Unten war es zuweilen eine Palme,

aber hier sind es zumeist nur mühsam gewachsene

Bäume,

die sich hoch in einen armen, leeren Himmel
träumen.

erschollene Gedichte.

Gesammelt von Ernft Lissauer.

II.

Der Pilot.

Von Adolf Schöll.

Löse die Ankerbande,

stoße mein Schiff vom Strande

seliger Schiffer, Schlaf!

Nach deiner hohen See hinaus

will ich die Segel stellen,

ein Hauch der Sehnsucht füllt sie aus

mit Atmen, mit Schwellen,

die Woge, die entgegensträubt,

muß weichen, tragen, treiben,

die Brandung, die mich hier umtäubt,

zurück im Nebel bleiben.

Löse die Ankerbande,

stoße mein Schiff vom Strande,

seliger Schifser, Schlaf!

Die stille Nacht bricht schon herein,
es winkt ein Stern im Westen:
laß dies zur Fahrt das Aeichen sein,
zur letzten, zur besten,
zur letzten, besten Meeresfahrt,
die sollst du ganz vollbringen,
nicht mehr nach deiner halben Art
zurück ans Land mich bringen.

Löse die Ankerbande,

stoße mein Schisf vom Strande,

seliger Schiffer, Schlaf!

Unaufgehalten laß uns fort
von Flut zu Fluten fliegen,
bis wo am grauen Felsenport
die Fluten versiegen.

Da sitzt der alte stille Mann,
der nie ein Wort gesprochen,
und schaut mich wie ein Vater an,
bis mir das Herz gebrochen.

Löse die Ankerbande,

stoße mein Schiff vom Strande,

seliger Schiffer, Schlaf!

Nachbemerkung. Adolf Schöll ist als Dichter so gut
wie nicht bekannt; sein Name ist angesehen vielmehr
durch seine wissenschaftliche Tätigkeit: Werke übcr die
antike Literatur; die große Ausgabe von Goethes
Briefen an Frau von Stein. Er wurde 1805 geboren;
seit 1843 lebte er in Weimar, von 1861 bis zu seinem
Tode, 1882, als Oberbibliothekar. — Das Gedicht „Der
Pilot" wurde zuerst gedruckt 1837 in Chamissos Musen-
almanach und dann aufgenommen in den Band „Ge-
dichte aus dcn Jahren 1823—39", der erst 1879 erschien.

Man glaubt kaum, daß dies Gedicht eines Unbe-
kannten so alt ist, denn es ist ganz unberührt von der
Mode jener Tage, ganz unrhetorisch, nicht glatt, mit
einem Wort: ungeibelisch. Gewisse schwebende Töne
der Romantik schwingen nach, aber die klare Bildlich-
keit weist in die spätere, realistische, die große Zeit der
deutschen Lyrik, vor allem in die Lyrik Storms: wie
ein jüngeres Gcschwister ist das Schlafgedicht Storms,
darin es mit verwandter Bildlichkeit und verwandt
ruhereichem Rhythmus heißt: „.... Der stille Knabe
winkt — Iu seinem Strande lockender und lieber." Beide
diese Schlafsinger trägt „des Schlummers Welle sanft
hinüber". Storm hat denn auch dies Schöllsche Ge-
dicht in sein „Hausbuch" übernommen.
 
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