Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Walser, Robert: Das Ehepaar
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0129

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
as Ehepaar. Von Robert Walser.

Bei zwei Eheleuten, die bis dahin in unangefochtenem
Frieden nriteinander gelebt hatten, stellte sich eines Morgens,
Mittags oder Abends, wie aus einer Art von weiter Ferne daher-
kommend, ein junger Mann ein, der durch ein bescheidenes edles
Wesen sowie durch vortreffliche Manieren den günstigsten Ein:
druck auf sie machte, derartig, daß sie ihn mit der allerschönsten
Offenherzigkeit baten, oft zu ihnen zu kommen, wodurch er ihnen,
wic sie ihm sagten, eine große Freude mache. Sowohl Mann als
Frau sympathisierten lebhaft mit einem jungen Mann, der bei
so viel Jugend so viel augenscheinliche Ruhe, und bei so viel augen-
scheinlicher Kraft und Gesundheit so viel Zartheit ze gte. Sebastian,
so hieß er, rief ganz besonders noch den Cindruck gründlicher jugend-
licher Vereinsamung hervor, solchermaßen, daß die beiden gutherzi-
gen Leute, indem sie sein stilles, anmutiges Benehmen bewunder-
ten, ihn um des zarten Ausdruckes von Kummer, der seinem ganzen
Auftreten anhaftete, bemitleiden mußten. Er schien bereits in
jungen Jahren mannigfaltige Cntbehrungen erlitten, öftere Ge-
fahren überwunden und vielfachen Cntmutigungen Troh geboten
zu haben; genug, er gefiel ihnen, und da er ihre freundliche Ein-
ladung nicht verachtete, sondern dankbar annahm, so sahen sie ihn
öfters in ihrer Wohnung, und rasch gewöhnten sie sich an seine Er-
scheinung wie an die eines liebenswürdigen, vertraueneinflößenden
Angehörigen. Indessen, da der Gatte oft abwesend war und die
Frau mit dem jungen Mann zu zweien zusammen saß, bemächtigte
sich des Frauenherzens eine nicht zurückzudrängende Liebe für
Sebastian, und eines Tages gab sie ihm Anlaß, daß er sie umhalste
und küßte, ein Ereignis, über welches sie vor lauter Freude laut
weinte. Der Gatte kam nach Hause, und es galt nun, vor dcm
braven Gatten etwas zu verbergen. So sah sich eine edle, gute Frau,
ehrbar bis dahin bis in die Fingerspitzen, in ein Glück ohne Maß
und zugleich in ein Unglück ohne Grenzen geworfen. Sie vergoß
zweierlei Art von Tränen: Freudcntränen, Träncn aus Lust, aber
auch andere Tränen, Tränen aus Gram über den Verlust aller
bisher genossenen lieblichen Unbescholtenheit. Jhr war die Liebe,
die sie für ihren jugendlichen Freund fühlte, nicht so ganz Ein und
Alles, daß sie den Wert des guten Rufes gänzlich HLtte hintansetzcn
können. So rasch sie vermochte, eilte sie zum Mann und gestand
ihm alles. „Ich liebe", sagte sie, „Sebastian. Was mußt nun du,
lieber Mann, dazu sagen? Du schweigst, du erbleichst? Freilich
hast du Grund zu erschrecken und zu erbleichen über solch ein Ge-
ständnis, das alles, was bis dahin so treulich zusammen gewesen
ist, auseinanderreißt. Was soll ich tun, und du, was mußt du
nun tun? Wie kann ich noch zu atmen wagen, da ich dir einen so
großen Schmerz zufüge? Woher nehme ich den Mut, Augen zu
haben, die da sehen, wie ich dich kränke? Dich, den ich ehre und
liebe. Wa um liebe ich auf einmal Sebastian und doch auch immer
dich noch tzrrgleich? Warum beleidige ich dich, stoße ich dich ins
Unglück, da ich dich wie immer liebe, zugleich aber neuerdings
Sebastian? Dics darf nicht sein. Nicht wahr, lieber Mann, dies
darf nicht sein. Doch warum nicht? Warum nicht? Warum ist
es unmöglich, daß ich euch beide lieben darf, da ich doch den Einen
wie den Andern liebe, dich, lieber Mann, wie immer, und ihn
ganz neuerdings? Gott im Himniel, mache Licht, mache Licht in
diese Nacht. — Was soll ich tun, daß du nicht verzweifelst, lieber
Mann, und daß auch ich selbst nicht verzage und verzweifle? Gibst
du mir keine Antwort? Bin ich denn jetzt, weil Scbastian niein
Geliebter ist, nicht mehr deine Frau? O doch! Und du nicht mehr
mein Mann? O doch! Jst Sebastian dir, lieber Mann, ein Un-
geheuer, weil ich ihn lieb ? Und ist dcine Frau dir cin Ungeheuer,
wcil sic wünscht, daß du sic liebst, und daß auch Sebastian sie liebt?
Sebastian ist mir das Liebste, doch ja du nicht minder. Müßt ihr
euch Feinde sein von jetzt an, wo doch ich gerade jeht an euch beiden
meine Freude haben möchte? Rede doch. Dein'Schweigen ver-
wirft mich — doch warum solltest du mich verwerfen wollen?

Mußt-du mich verwerfen? Steht das in den Sternen ge-

schrieben? Ist das unabwendbar?" — Der Mann sagte nichts.
Cr verbiß, was ihm durch das Innere ging, auf den Lippen, warf
den Schmerz, der ihn durchstürmte, hinab in die pochende Brust,
begrub den Grimm, verschloß dem Zorn die Pforten, zuckte nur
traurig die Achseln, ließ den Kopf hängen, schlug die Augen zu
Boden. Dermaßen tat er jeht jeden Tag. Er sagte nichts, hielt
die Lippen fest zusammen, als gelte es, ein furchtbares Geheimnis
zusarnmenzudrücken. In seinem Betragen war er milde und müde,
achtsam, doch unsäglich traurig. Und sagte nichtS und kam und ging.

Kam und ging wie immer, doch völlig wortlos. Was er notwendiger-
weise zu sagen hatte, war tonlos, war, als rede ein Toter. Kam
und ging und sagte nichts, durch ganze tote Wochen, bis dann die
gequälte Frau es nicht mehr vor Cntsetzen und verstandhinweg-
fegendem Grausen auszuhalten vermochte. Ihre Liebe zu Sebastian
gewährte ihr keine Frcude mehr, und sonderbar: in Sebastian
wollte alle Zärtlichkeit für seine Freundin dahinschwinden, da er
deren Mann sich so männlich aufführen sah, wie d nn vielerorten
(redet rasch der Verfasser dazwischen) die Liebe der Liebhaber
Verwand schaft mit der Lust hat, den Gegner oder Gatten er-
bärmlich geschändet zu sehen. Sebastians Neigung zur Frau nahm
mit der zunehmenden echten Menschenliebe ab, die er immer leb-
hafter für den Mann fühlte. Cr trat durch sich selber und auch
durch seine Geliebte gedrängt bald Hernach vom Schauplatz ab,
cine unglückliche Frau einem unglücklichen, doch nicht unversöhn-
licben Mann hinterlasscnd. Dieser scheute sich nicht, sich über seine
schöne Frau von neuem zu freuen. Sie sank ihm nach einiger Zeit,
zerflossen vor seiner Güte und Schonung, zu Füßen. Er hob sie
rasch auf, schaute sie freundlich an und sagte: „Es ist nichts ge-
schehen." Sebastian aber ging in den Strudel der Welt und brachte
es mit der Zeit zu Großem.

enkal, der Frauentröster .

Es ist schön mitanzusehen, wie jedes neue Buch des jungen
Dichters Rens Schickele, der in diesen Heften schon öfters genannt
worden ist, eine höhere Stufe im Gange einer Entwicklung darstellt,
die noch etwas besonders Beglückendes darin hat, daß sie in ihren
Möglickckeiten cinstweilen so unbegrenzt scheint. Auf den Roman
„Der Fremde", der, groß schon in gewissen sprachlichen Einzel-
heiten, in der phantastischen Umsehung der äußeren Realität, in-
haltlich doch noch recht aus dem Unklaren ins Unklare strebte, auf
die Erzählung „Meine Freundin Lo", die klarer gefügt war, ihr
Thema aber auch einfacher gewählt hatte, auf die Äufsätze, die
der reinen Lebensschilderung Clemente abstrakter Erkenntnis ein-
zufügen suchen, und die Gedichte, die diese Entwicklung noch
einmal spiegeln, folgt jetzt der neue Roman „Benkal, der Frauen-
tröster". Von diesem Buche wird man zum erstenmal sagen können,
daß es im Ganzen etwas Bedcutendes habe. Eine männlich ge-
wordene Leidenschaft hat, wie der Held selbst zum erstcnmal bis
ins Mannesalter hinein begleitet wird, dieses Thema herunter-
gerast, das tiefcr gewählt ist, als je zuvor. Gewisse Grenzen, wie
sie vorher da waren, bleiben noch spürbar; noch jeht ist ein Rest von
Literatenhaftigkeit erhalten, eine Beschränkung auf eine Teilwelt,
ein Ausgehen von der Welt des Künstlerischen als dem Zentral-
punkt des Lebens, während es doch nur dessen Überhöhung sein
darf. Aber das große, allgemeine Leben bricht mit immer lauterem
Getöse in diese Teilwelt ein. Das Elementare bekommt Gewalt.

Renö Schickele war vom ersten Tage ab, wo er auftrat, ein
ungewöhnlicher Sprachkünstler. Einer Sprachreinheit und Sprach-
klarheit, die an romanischen Mustern geschult war, gesellte sich eine
Selbständigkeit und Kühnheit der Metapher, des dichterischen Ver-
gleiches, die cinzig mit der Dauthendeys verglichen werden konnte.
In dem Lo-Buche hatte dabei diese Sprache noch eine selten graziöse
Leichtigkeit und Cleganz bekommen. Sie ist in dem neuen Buche
erhalten geblieben, aber dazu kommt cin Element von intellektueller
Überlegenheit und Sicherheit, die mit dem, was früher alles war,
mit der sprachlichen Umsetzung sinnlichen Lebens, freier spielt und
selbst equilibriert. Solcher neuen Geistigkeit im Kleinen entspricht
eine gesteigerte geistige Oberlegenheit im Bau des Ganzen. Die
einzelncn Kapitel haben eine aphorismenhafte, gedrängte Ge-
schlossenheit, die doch von Sinnenhaftigkeit sprüht; das Leben
nicht in aller Breite spiegelnd, sondern in den Wendepunkten auf-
fangend, aber durchaus erzählend, reihen sie sich wie deutlich ge-
schiedene Perlen aneinander. Und die Gesamthandlung ist auf
eine eigene Art in eine höhere geistige Sphäre gehoben: Die
Namen der Helden, die Namen der Völker, in denen ihr Leben spielt,
sind phantastisch gewählt; obwohl die Urbilder, Frankreich als Zen-
trum, Deutschland, große französische Künstler deutlich sichtbar
bleiben, ist so doch eine größere dichterische Freiheit gewährleistet.
Durch solche Mittel tritt in dem garnicht umfangreichen Buche zu-
gleich das Geistige in dem Haupthelden so leicht und unmittelbar
in den Vordergrund, daß er ganz als geistige Figur erscheint, zu

* Verlag der „Weißen Bücher".

15
 
Annotationen