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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 11
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Klein, Rudolf: Zur Psychologie der Mode
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0408

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m Psychologie der Mode.

Die durch den Krieg bedingte Jsolierung der Na-
tionen, zumal Deutschlands, wie die unterbundene Füh-
lung zur bisherigen Modezentrale, Paris, hat die Völker
nicht nur angeregt, über das Entstehen der Mode, ihren
nationalen oder internationalen Charakter nachzudenken,
vielmehr über Wesen und Entwicklung dieser beweg-
lichen und scheinbar oberflachlichsten unserer KulturLuße-
rungen an sich, die dennoch, wie ein aufmerksamerer
Blick lehrt, mit dem innersten Wesen unseres individuellen
wie gesellschaftlichen Daseins und seiner wirtschaftlichen
Organisation im engsten Ausammenhang steht, sodaß sie
erst in dem Augenblick, in dem die von heute durch jene
von morgen verdrängt wird, aufhört, vom Blut des Ge-
samtorganismus gespeist zu werden.

Man ist geneigt, über die Mode zu lacheln und über
die, so ihre Geschmacks-Sym- und Antipathien von ihr
abhangig machen, und läßt nur bei Frauen eine Aus-
nahme gelten. Mir scheint mit Unrecht; denn die Stellung
des Einzelnen zu ihr läßt wertvolle Aufschlüsse über
dessen Wesen zu. Die Entwicklung der Mode ist gleich
der der gesamten Kultur ein Kontinuum, in dessen Weben
wir alle mitschwingen, dem sich niemand entziehen kann,
wofern er am geistigen Leben jener noch Anteil hat; er
sei denn ein Anachoret, der, abgewandt von der Welt des
Tages, ohne Mitwirkung an ihrem Sein, in der Einsam-
keit sich einzig in die Betrachtung des Ewigen versenke,
um zwischen Geburt und Tod unter Ausschaltung des
DiesseitS den Faden zum ewigen Leben zu knüpfen.
Wir andern aber sind ihr verpflichtet. Jn Nichts mit
der Mode gehen, beweist daher ebensogut gewisse Un-
zulänglichkeiten, wie bis in ihre letzten Kleinlichkeiten ihr
Sklave zu sein. So haben bedeutende Menschen sich ihr
nicht entzogen, sie bevorzugten Kleider nach modischem
Schnitt — mochten sie sie auch ihrer Jndividualität je
nach Bedürfnis anpassen —, wahrend der Philister sich
ihr verschließt. Ein Mensch, der mit seiner Aeit wächst
— und dies Wachsen ist vor allem das Aeichen schöpfe-
rischer Geister —, kann in etwa die Fühlung zur herrschen-
den Mode nicht aufgeben, die, wie alles andere, ein sicht-
barer Ausdruck der nie ruhenden äußeren Bewegung
der Menschheit ist und an tiefe Gesetze gebunden. Nicht
mehr mit der Mode gehen, bedeutet Stillstand, Still-
stand aber den Abschluß der inneren Entwicklung. Haß
gegen eine Mode ist das sicherste Zeichen, daß einer
unter dem Bewußtsein leidet, nicht mehr mit zu können;
wie denn auch Frauen, deren Entwicklungsfähigkeit und
Anpassungsbedürfnis ein leichteres und rascheres, weil
weniger an eine tiefe und persönliche Geistesstruktur ge-
bunden, selten auf diesen toten Punkt kommen. Darin
liegt kein Tadel für die Frau; allem Geschrei moderner
Entartung zum Trotz bedarf die Frau dieseS mehr un-
persönlichen Augs ihrer Physis aufs dringendste für den
einzigen und hohen Beruf, dahin dis Natur sie "gestellt
hat, und in dem sie der Mittel des Sichschmückens und
Reizens nicht entraten kann. So ist das Weib auch in
diesem Sinne der Natur näher geblieben, ja ein Stück
Natur selbst; denn während der Mann eher ihren inneren
treibenden Kraften ähnelt, gleicht das Weib ihrem

wechselnden Selbstvollzug, der unter dem Wandel von
Frühling und Sommer ihr Kleid mit Blüten und Früch-
ten übersaet.

Was den Durchschnittsmenschen angeht, so ist es die
Regel, daß er in der Jugend die Mode mitmacht, später
verlacht oder krampfhaft an jener festhält, darin er in
jungen Tagen glanzte.

Der Wechsel der Mode in seinen letzten und feinsten
Außerungen vollzieht sich im Grunde nur dadurch, daß
wir die Welt an jedem Tage mit anderen Augen an-
sehen, weil wir das Gewohnte nicht mehr sehen, oder
aber uns leidgesehen haben; es ändert unser wachsender
Geist unaufhaltsam an seiner Umgebung, daß sie mit
im gleichen Tempo bleibe. Und der hierin bedingte
Fortgang der Mode, diese Auswicklung unserer Einklei-
dung jeder Art, ein allmähliches Steigen und Sinken,
ein Vergrößern und Verkleinern der Form, ein Verein-
fachen oder Bereichern ist ein Werden, das engen Zu-
sammenhang unterhält mit den geistigen Strömungen
aller Gebiete.

Eine Persönlichkeit, wie Napoleon, tritt auf und,
ohne es zu wollen, allein durch den geistigen Auschnitt,
den er der Zeit- und Weltlage vorschreibt, wird auch die
Mode der Außerlichkeit in gänzlich neue Bahnen gelenkt,
dazu die Keime dennoch schon im Boden lagen, und in
den wirtschaftlichen Austanden obendrein, von denen
ihre Herstellung wieder abhangt; Iustände, die ihrer-
seits sie dann gleichfalls tyrannisch beherrschen, da sie an
eherne Gesetze gebunden sind und auf unrentable Forde-
rungen nicht eingehen können, sodaß von den Kapricen
eines Einzelnen, des zu Saisonbeginn jedesmal in Tätig-
keit tretenden erfindenden Direktors der Weltfirma, nur
bis zu einem verschwindenden Grade die Rede sein kann.
Dies alles macht, daß wir in dem, was der Fabrikant uns
bietet, jedesmal ein dem Einzelnen noch unklares, kaum
erst geahntes Geschmackbedürfnis befriedigt, und leicht
zu erkennen glauben, und daß das neue Produkt, das
in der Tat logisch aus der Form des früheren floß (so
sehr eine industrielle Spekulation und Produktions-
bedingung auch bei der Erfindung wie Herstellung ihre
Hand mit im Spiele gehabt haben mag), eine Notwendig-
keit erfülle. Es mag selbst ihnen einleuchten, die dem
Zwang des Wechsels der Mode sich entziehen zu können
wähnen, wenn sie in ihrem Kleiderschrank zufällig auf
den Hut stoßen, den sie vor zehn Jahren trugen. Be-
haupten zu wollen, man habe in der Form der Hut-
fasson einen absoluten Fortschritt gemacht, wäre lächer-
lich; der in die Augen fallende Kontrast, der diese Ver-
mutung aufkommen zu lassen versucht, entsteht allein,
weil von den damals üblichen Fassons zu den heutigen
unter Ausschaltung der dazwischen liegenden Glieder
ein Sprung vorliegt, den die Mode von heute auf
morgen nie macht. Dazu vergleiche man das langsame
Entstehen und ebensolche Verschwinden der Krinoline,
deren letzter Rest mit der Turnüre bis in die achtziger
Jabre fortlebte, um dann dem glatten Rock endgültig zu
weichen, der fortan seinerseits begann, Raffinements zu
entfalten, in deren Kulmination wir vor kurzem standen.
Der Fortschritt ist in der Mode nur ein relativer, und
wir werden in nicht allzu ferner Zeit auf einem der
früheren uns heute'grotesk, scheinenden Punkte an-
 
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