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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 25.1915

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Heft 12
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Walser, Robert: Frau Scheer
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Röttger, Karl: Weltliche Legende
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https://doi.org/10.11588/diglit.26491#0440

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Frau Scheer.

und dringliche Leute, nahm Aahlungen in Empfang, für
die ich schönstens und bestens dankend quittierte, stellte
Verträge aus, lief und spazierte als Abgesandter und
geheimer Sekretär, als Bote und Kommissionär und
Vertrauensperson da- und dorthin, in alle möglichen
Jnstitute und Häuser, wobei mir die genaue Ortskenntnis,
die ich mir auf früheren, vergnüglichen Spaziergangen
schon erworben hatte, wesentlich zustatten kam. Jch
visitierte als pünktlicher und getreulicher Scheerscher An-
gestellter Neubauten, wobei es mir beliebte, die strengste
und unerbittlichste Amtö- und Geschäftsmiene gegenüber
Handwerker- und Handlangervolk aufzusetzen, um mir
bei Leuten, die nicht gern Respekt zollen, dennoch den
höchsten Respekt zu verschaffen; hatte den Kopf voller
Grundstücke, Mietsverträge, Hypotheken, Liegenschaften,
Gebäulichkeiten und war der reinste Jnspektor, Kon-
trolleur und Verwalter. Jch sah mich oft mit einer ver-
fügbaren Barschaft von Awanzig- und Dreißigtausend
in der Tasche durch die volkreichen Gassen und Straßen
gehen und schlendern, und manch ein vorsichtiger Bank-
beamter stutzte zuerst ein wenig, ehe er mir hohe und
beängstigende Gelder ausbezahlte, indem er sich wohl
fragen mochte, wie denn eine reiche Frau dem Subjekt
so großes Vertrauen zu schenken sich erkühnen konnte.
Kam ich heim, so erhielt ich stets ein rührend schönes
dankbares Lächeln zur Belohnung für die eifrigen, ehr-
lichen und aufrichtigen Dienstleistungen. Weiß Gott,
mir machte und macht überhaupt derartiger Dienst einen
hohen, freudigen Spaß.

-i-

*

An Aufmerksamkeit ihrerseits ließ es Frau Scheer
insofern keineswegs fehlen, als sie keinerlei Mietzins
von mir annahm. So wohnte ich mietefrei; auch machte
sich die Frau eine Freude daraus, daß sie in der freien
Ieit für mich kochte. Jch ließ sie in dieser Hinsicht, wie
man denken kann, gern gewahren. Erstens stand es
mit meinen eigenen Geschäften, wie ich bereits betont
habe, schlecht, und zweitens sah ich mit den Augen und
roch mit der Nase und merkte im großen und ganzen zu
deutlich, mit wieviel wahrem Frauenvergnügen eine
Frau auf den Markt lief, um grüne und andere Sachen
einzukaufen und sich derart als schaffende und sorgende
Hausfrau zu fühlen. Es kränkte sie, wenn ich wenig aß,
und es würde sie todunglücklich gemacht haben, wenn
ich garnichts hätte essen wollen. Jch finde, daß sich ein
Mensch zuzeiten auch einmal Güte und Freigebigkeit
muß gefallen lassen, muß man sich ja zu anderen Aeiten
auch das Gegenteil gefallen lassen. Wenn ich sonst alles
weitere Gute, was mir Frau Scheer zu schenken bereit
war, ziemlich rauh ablehnte, so sagte sie: „Sie sind ein
Böser," und war unzusrieden. Die arme Frau, sie
träumte! Sie vergaß, wer sie sei. Sie vergaß ihre
traurige unschöne Eristenz, ihre Gebrechlichkeit und ihr
wehmütiges Alter. Sie vergaß die Unerbittlichkeit der
Welt, und wenn irgend etwas sie wieder daran erinnerte,
so kamen ihr sogleich Tränen in die Augen. Sie schwärmte,
als sei sie Awanzig, und wenn sie dann an ihr Alter
und an all das Böse dieser Welt erinnert wurde, so
machte sie unwillkürlich ein boses Gesicht, das Gesicht
der bösen, geldgierigen Frau Scheer. Es ging mit ihr
ja doch zu Ende, und es muß mir niemand sagen wollen.

daß Schlachtfelder und sonstige Schrecknisse schrecklicher
und erschreckender seien als eines jeden beliebigen
Menschen Ende. Enden ist an sich grausam, und jedes
Menschenleben ist ein Heldenleben, und Sterben ist
überall und bei welcher Gelegenheit es auch sei, gleich
trostlos, grausam und traurig, und jeder Mensch hat sich
auf das Armste und Schlimmste gefaßt zu machen, und
jede Stube, wo ein Toter liegt, ist eine tragische Stube,
und in keinem Menschenleben fehlte je die erhabene
Tragödie.

-i- ^

„Jch möchte so gern neu geboren werden, ganz neu
anfangen wieder zu leben, ganz klein und jung sein, um
von neuem wieder mit dem Leben zu beginnen, aber
dann möchte ich ganz anders leben. Dann möchte ich
eine unscheinbare arme Frau sein, möchte gut und sanft
sein und meine Mitmenschen lieben, um von ihnen
wieder geliebt und gern gesehen zu werden. Und meine
Lebensfreude sollte nicht von solch trauriger Art sein.
Von ganz, ganz anderer Art sollte sie sein. Mein Gott,
wie sterbe ich ungern, weil ich noch so gern bessere Wege
gehen möchte. Nicht wahr, Sie begreifen, Sie achten
mich ein wenig, und Sie haben mich ein wenig lieb. Alle
Leute verachten und hassen mich, verhöhnen mich und
wünschen mir Schlechtes. Mein großer Reichtum! Was
soll ich jetzt damit anfangen, welchen guten Trost ge-
währt er mir? Jch möchte Jhnen eine Million geben!
Aber was gebe ich Jhnen damit? Jch möchte Jhnen
viel, viel mehr geben. Jch möchte Sie glücklich machen,
aber ich sehe nicht ein, womit. Jch habe Sie sehr lieb,
und das genügt Jhnen vielleicht, denn ich habe es längst
bemerkt, daß Sie ein genügsamer Mensch sind. Jhnen
macht nicht der Besitz Freude. Auch haben Sie Ehre,
und Sie hüten sie auf das empfindlichste. So lassen Sie
mich Jhnen wenigstens sagen, daß Ihre Gegenwart mir
eine große Freude ist. Jch danke Jhnen, daß Sie je und
je mit mir ein wenig haben verkehren mögen und daß
Sie dann und wann freundlich zu mir gewesen sind."
So sprach sie an einem Abend in ihrem Aimmer zu mir.
Jch wußte nicht viel darauf zu erwidern und lenkte das
Gespräch auf andere Dinge.

rsr -l-

-l- -

Jch erinnere mich noch einer Silvesternacht, wo ich
mit Frau Scheer zusammen am offenen Fenster stand.
Alles draußen war in dichten Nebel gehüllt. Wir lauschten
auf die Neujahrsglocken. Jm darauffolgenden Herbst
erkrankte sie und die Arzte rieten ihr eine Operation an.
Sie hatte sich zu entschließen, und sie ging in die Klinik,
von wo sie nicht mehr zurückkehrte. Ein Testament hinter-
ließ sie nicht. Alles Suchen nach einem solchen war ver-
geblich. Jn das Vermögen teilten sich die Verwandten.
Was mich betrifft, so reiste ich bald darauf ab. Es drängte
mich, meine ferne Heimat wiederzusehen, deren An-
blick ich lange Jahre hatte vermissen müssen.

eltliche Legende.

Von Karl Röttger.

Am Abend hob der Mann den Blick von der verstaubten
Straße auf und sah: Es lag ein Garten da in der Ebene
und hinter den Bäumen ein Haus. Da blieb er stehen

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