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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 1
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Oswald, Josef: Der Dichter der Geharnischten Sonette
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Bacmeister, Ernst: Der heilige als Soldat
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0037

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Liebesweltcn zu Hemisphären seines Herzens machen.
An das heitere Kunstspiel der „Östlichen Rosen" reihte sich
sein „Liebesfrühling", der als realenHintergrund die Über-
siedelung nach Coburg in das Haus eines Mannes hatte,
dessen Stieftochter 1821 seine Braut und Gattin wurde.
Überall, wo unter den deutschen Hausgeistern edle Musik
geehrt wird, kennt und liebt man die tiefempfundenen
Zauberklänge dieser Dichtung: auf den Schwingen des
Gesanges haben sie so manchen Liebenden Sprache und
Ton geliehen. Überdies enthalten die fünf Strauße des
Zarten und Feurigen viel, nach der Meinung von diesem
und jenem sogar allzuviel. Doch was wäre das für ein
Frühling, der gleichsam auf eine Auswahl feiner selbst
sich beschränkte und nicht in einer überströmenden Fülle
von Schönheiten jeder Art — der erlesensten bis zu der
einfachsten — sich ausgäbe? Wichtiger ist die Frage nach
der Stileinheit. Im ganzen erscheint der „Liebesfrühling"
schon durch die Bevorzugung schlichter, landläufiger Vers-
formen im Einklänge mit der heimatlichen Lenznatur.
Das äußert sich auch in seiner Traumstimmung und
Schwärmerei, in seiner Innigkeit und all der jugendlichen
Idealität, die das duftige Widerspiel zu dem üppigeren
Frühling des Südens erregt, endlich in der reizend ver-
sinnbildlichten Seelengemeinschaft, da aus den Liedern
des Dichters gleicherweife die Braut spricht. Immerhin
drängt einiges Fremde in Form und Geist heran, es
entsteht da und dort ein bunter Einschlag namentlich durch
Anklänge an den geliebten Osten.
Der „Liebesfrühling" ist der dichterische Abschluß von
Rückerts Jugend, ausklingend in ihrem nachhaltigsten
Erlebnis. Er ist die Höhe, worauf er unwillkürlich aus-
blickt zu den Geisteshöhen seiner Ankunft: zu den alten
morgenländischen Poesien, deren Dolmetsch er wird.
Nicht, daß er aufhörte, Originalpoet zu sein. Im Gegen-
teil. Die akademische Laufbahn, die er 1826 als Orientalist
in Erlangen beginnt und die ihn nach drei Lustren nach
Berlin führt, durchschlingt ein so voller Kranz von Liedern
und Gedichten, wie nicht oft in Altersnähe. Es ist Haus-
poesie, freud- oder leidvoll, rege Dichterbeschaulichkeit,
die sich auf alles und jedes bis zu dem Unbedeutendsten
erstreckt. Daß seine Dichtung doch auch manches Körnchen
Wahrheit enthalte, tröstet ihn bei dem Gedanken an die
Kollegen, die aus ihren gelehrten Speichern so oft Dich-
tung darreichen, die sich für Wahrheit gibt. Nach wie vor
lockt ihn die freie Natur. Aus dem kühlen Geistesklima
Berlins flüchtet er allsommerlich in sein Neuses, das ihn
bald nicht mehr losläßt. Wie Jean Paul befähigt ihn
der ländliche Sinn, gemütvolle Kleinmalerci und realisti-
sche Jdyllik mit einem weiten, von einem hohen Idealis-
mus erleuchteten Gesichtskreis zu verbinden. So wird
er ein Vogt der Weltliteratur, der Geweihte, dem „die
Poesie in allen ihren -Zungen nur Eine Sprache", dem
„Weltpoesie allein Weltversöhnung" ist.
Heute klingt das freilich wie Ironie oder Toren-
wahn. Und doch — die Welt ist weit. So viel Haß und
Feindschaft sich wider das Land der Denker und Dichter
erhoben hat, es fehlt ihm auch nicht an Bundesgenossen-
schaft, an hoffender Sympathie gerade bei den Völkern,
auf deren uralter Geisteskultur Rückerts Auge — man
möchte jetzt sagen seherhaft — geruht hat.
Josef Oswald.

er Heilige als Soldat.
Individuum und Staat, in der Vollendung
ibres Wesens, sind von jeher als ein Gegensatz ver-
standen worden, der nur durch die Tragödie des Indivi-
duums zu lösen sei: nämlich entweder durch Vernichtung
desselben, wenn es seine Individualität bei eintretendem
Konflikt unnachgiebig durchzusetzen versucht, oder durch
Selbstaufgabe, also Versittlichung und damit tragischen
Verlust der egoistisch-leidenschaftlichen Wesensbesonder-
heit. Dieser letztere Fall, in der dramatischen Kunst der
feinere und seltenere von beiden, darf nicht verkannt
werden. Der „Prinz von Homburg" z. B. ist eine Tragödie
mit zweifellosem Untergang des Helden. Der Prinz gibt
sich, indem er sich zur Disziplin bekennt, als stürmischen
und unberechenbaren Einzelnen mit seinen besonderen
Siegesmöglichkeiten auf und wird ein berechenbares
Mitglied der soldatischen Gemeinschaft, die für ihn als
Truppenführer den Staat vertritt. Daß er dadurch zu-
gleich einen geistigen Aufgang an sich erlebt und im Sitt-
lichen auf einer höheren Stufe wiedergeboren wird, das
wird mit dem Zusammenbruch des animalischen In-
dividuums denjenigen versöhnen, der diese Wiedergeburt
unmittelbar anteilnehmend und, vom Dichtergcist be-
zwungen, anerkennend mitmacht und dadurch selber nut
dem Prinzen sympathetisch wiedergeboren wird. Diese
Weisheits-Erwirkung ist ja eben die innere Absicht der
Tragödie von jeher gewesen, die insofern mit meta-
physischer Ironie gegen dasjenige Element in der Mensch-
heit arbeitet, mit dem sie sich selber als Kunstwerk er-
nährt: das Element der Leidenschaft.
Die Überlegenheit des Staates über das Individuum,
der Gemeinschaft über den Einzelnen erfuhr dichterisch
und denkerisch zugleich ihre tiefste Begründung durch
Hebbel, indem dieser Problematiken: den Staat deine
Zusammenstoß mit dem Individuum bewußt und aus-
drücklich nicht mehr in seiner zufälligen Form, als Vater-
land, verstand, sondern ihn in seiner ewigen Idee nahm,
nämlich als Symbol des höchsten Allgemeinen, das dem
Einzelnen entgegensteht, — des unendlichen All selber.
Sich nicht in den Staat einordnen, ihn nicht als über-
legen anerkennen wollen, bedeutete ibm, sich noch nicht
als einen begrenzten Teil des unbegrenzten All erkannt
haben; also einen Erkenntnismangel. Das All erkennen
heißt aber zugleich, die dem All, sofern es sich verwirklicht
und in Gestaltungen offenbart, unvermeidlich auf-
springenden Gegensätze und individuellen Besonder-
heiten als notwendig zum Dasein der Welt erkennen und
infolgedessen dem Anderen als einem gegensätzlichen In-
dividuum sein Lebensrecht weise zubilligen. Aus dem
tödlichen Zusammenstoß zweier blinden, nämlich leiden-
schaftlichen Individuen sollte demnach unausgesprochen
derselbe „Blitz der Erkenntnis" für den sehend zu machen-
den Zuschauer herausschlagen, nur aus einer noch größe-
ren Tiefe, wie aus dem tatsächlichen Eingeständnis des
Herzogs Ernst, daß sein leidenschaftlich geliebter „Engel
von Augsburg" dem Staatswohle mit Recht geopfert sei.
Jene Erkenntnis darf nun ohne Mißverständnis auch
so formuliert werden: Gott ist größer als der Mensch,
und größer als der einzelne Mensch ist also auch alles,
was Gott irdisch vertritt, jede überindividuclle, sittliche


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