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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 1
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Walser, Robert: Naturschilderung
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Walter, Robert: Drei Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0043

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Naturschilderung.

der Sieg mit seiner wüsten Freude? Ist der Schimmer,
der über einem Gegenstand liegt, nicht unendlich schöner
als letzterer selber? Ist denn nicht der zürnende,
grollende, donnernde, strahlende Himmel schöner als die
freche Erde, welche ohne ihren Himmel, der sie in Lüften
aufrechthält, in ein Nichts zusammensinken rind in ein
Grauen voll Wertlosigkeit binabstürzen müßte? Ist
denn die Seele, die den Körper erst zum Körper macht,
nicht schöner, und ist denn das Geistige, das die Körper
in Bewegung setzt, nicht schöner? Ist denn Gott nicht
immer und überall das Höchste und Schönste?
* *
*
Die Kindheitwelt, das Kindheitland, die frohe, lichte,
Helle, schöne Eltern-Erde, Gottes und der Menschen
Welt, die Stadt- und Bauernhäuser, die Türme und
die hohen glatten Felsen, die kleinen Wege und Pfade,
die reizenden ehemaligen Kinderverstecke zwischen wildem
anmutigem Gestrüpp, die Büsche, Gräser, Pflanzen,
Kräuter und blauen Blumen, die Blüten mit dem
himmlischen Lächeln, der Feen-Blütenbaum, der Apfel-,
Kirsch- und Pfirsich-Baum, die tiefsinnig-schönen Lilien
mit der süßen Totenblässe, die üppige, göttlich-schöne
Rose im dunkelgrünen Morgen- und Abend-Garten, des
Morgens Helligkeit und junge frische Hoffnung, sein
liebes Götterauge, und der Abend mit den glühend-
schönen Wehmutrosen und mit den goldenen Gedanken-
wellen, mit dem Strom von Liebe und mit seinen
Vögelliedern voll Lebensabschiedszauber, sein dunkles
Ahnen und Bangen, und die Schwäne auf dem stillen
silbernen Wasser; die Nacht mit ihrem Mond und mit
ihren schönen geheimnisvollen Sternen und des Halb-
mondes rätselhaftes Schwermutlächeln. Alles Bleiche
und alles Frohe, Volle und Rote. Die rosigen Wolken
über dem weißen abendlichen Geistersee und das Morgen-
rot am jungen Morgenhimmel. Regen, Wind und
Sonne und die stille Mittagshitze. Wie dankbar sah
ich alles an, wie froh war ich, daß ich alles anschauen
konnte, wie glücklich pries ich mich, daß ich Augen
hatte und Ohren hatte und Zeit hatte, zu schauen, zu
hören, und daß ich ein Herz hatte, alles zu empfinden
und zu fühlen. Die Blumen und grünen Blätter
schauten mich wie mit Augen an und lächelten wie mit
Lippen und frischen Wangen. Ich war wenig zu Hause,
immer draußen, immer nah beim geliebten Lebendigen.
Die fleißige Kenntnis des Landes machte mir die Stadt
schöner und umgekehrt die Stadt das Land. Eine Ar-
beit hilft der andern, ein Wissen dem andern, eine Liebe
und Sorgfalt der andern. Es hängt ja alles so heiter,
so eng, so warm und nah zusammen. Des Abends und
Mittags standen in den städtischen Wohnungen alle
Fenster offen, daß man in die Stuben und in das ver-
schlossene bürgerliche Leben hineinschauen konnte. An
manch einem Fenster saß eine in die Gasse herabschauende
Frau. Einmal stand an einem Fenster eine Schöne,
die sich in aller Ungezwungenheit ankleidete, als gebe
es keinerlei böse Zungen, keinen Neid und keine schwatz-
hafte Bosheit mehr auf der Welt. Wie gefiel mir diese
Harmlosigkeit am reizenden Geschöpfe.
* *
*
Ich will nur rasch in der Erinnerung noch einmal
in den Tannenwald hineintreten und daraufhin eine

bescheidene Naturstudie beschließen. Wie heilig-still ist
es schon nah am Waldrand. Eine schöne edle Stumm-
heit tritt dir als sichtbar-unsichtbare Gestalt leis entgegen.
Du trittst hinein in die hohe Tempelhalle, in das küble,
stille, grüne, freie, hohe Kircheninnere. Der Boden
flüstert, in der Luft flüstert es. Fast wage ich nicht
vorwärtszugehen, denn ich fürchte, daß ich störend in
der Waldesinnigkeit, im Waldeszauber wirke. Ich halte
den Atem an und lausche. O wie schön ist es, auf des
Waldes, auf des lieben Waldes Stimme zu lauschen.
Ein so grundehrlicher, grundgütiger Geselle. Fragend
schaut mich alles an, die Tannen stehen wie Könige
da. Rätselhafte Schönheit! Alle Gedanken stehen still,
alles Fühlen will aufhören. Jeder Schritt ist ein Ge-
danke. Geburt und Tod, die Wiege und das Grab
tauchen aus der Waldesstille, aus der Waldeseinsamkeit,
aus dem Waldesrauschen nah vor meinen Augen auf,
Anfang und Ende geben sich die Hand. Alles ist freund-
lich. Das Kind steht neben dem Greis. Alles, alles
ist verständlich. Im Wald ist alles verständlich. Leben
und Sterben liegen nah beisammen. O, wer doch ent-
weder ewig leben oder ewig sterben könnte!


rei Gedichte von Robert Walter
Winterwacht.

Der Fluß ist nur wie eilige Zeit,
sein harter Ton
singt auch dem andern Wächter weit
— wer kennt ihn schon? —
den hüllt wie mich der Mantel Ewigkeit.
Der Eschenbaum, ein welkes Beet,
das arme Moos,
die Weide, Wald und braunes Reed
wacht tief und groß
und horcht sich stumm, wie Zeit im Wind verweht.
Wir stehn, in Dunkel hingestreckt
und schneeigen Rauch.
Du wachst gleich uns, vom Frost verschreckt,
Syringenstrauch,
mit märzenschönen Knospen vollgesteckt.
So selig grünst du durch die Zeit,
die Tod zerspellt,
Lichtsaum am Mantel Ewigkeit.
Uns Wächter fällt
von dir ein Schein an balder Herrlichkeit.

Die schwarzen Fahnen.
Es geht ein Lied durch Polen,
fliegt mit der Dörfer Brand,
läuft auf des Windes Sohlen,
durchbricht der Wälder Wand.
„Der Gräber Kreuze zittern.
Die Toten stehen auf.
Zu Schlachten und Gewittern
drangen sie an zuhauf.

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