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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 10/11
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Joest, Elisabeth: Jens Palmström: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0365

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O^ens Palmsttöm.
H Novelle von Elisabeth Joest.
Jens Palnchtrön: erwachte früh am Morgen und
lauschte auf das Singen der Regentropfen, die sich in
einer Vase gefangen hatten. Es war Frühling, und die
Fenster lehnten entriegelt an den dunkelroten Vorhängen.
Jens Palmström war zwanzig Jahre alt, aber man
hielt sie für alter, weil sie mit einem feinen Instinkt
die Backfischjahre ausgelassen und das erhabene Gefilde
der Frau betreten hatte.
Wenn niemand im Zimmer war, der sie beobachtete,
trug Mund und Kinn ein schelmisches Lächeln. Aber
allerdings nur, wenn niemand im Zimmer war!
So kam es, daß die dunkelroten Vorhänge und
weißen Felle sie besser kannten, als ihre intimsten
Freunde. Und sie hatte nicht wenig!
Sie besaß eine Stimme von eigentümlicher Farbe
und von einem nicht festzuhaltenden Klang. Die
Stimme konnte schwingen wie eine silberne Glocke, und
sie konnte sich verirren wie ein Hilfeschrei. Sie konnte
sanft und dunkel und drollig klingen, daß man unwill-
kürlich daran dachte, ihr zu sagen: na, sei gut, sei gut,
kleines Liebes! . .
Von diesen Eigenschaften Jens Palmströms war nur
eine schlecht und zwar, daß sie genau wußte, wie sie war!
Die Männer sagten von ihr, daß sie ein Kind sei,
aber sie irritierte sie mit klugen, ernsten, auffallenden
Gesprächen, die ganz zeitlos aus ihren Kinderlippen
hervorbrachen. So war Jens Palmström! . ..
Sie war aus Schweden gekommen, vielleicht auch
aus Rußland. Sie hatte von beiden Ländern eine un-
bestimmte Farbe, aber von keinem den richtigen Ton.
Sie sprach Russisch mit Begabung und Schwedisch nut
Überzeugung. Sie schrieb ein bißchen, und man sagte,
sie sei ein Talent. Jeder wollte sie entdeckt haben.
Sie wußte nicht, wo das Talent in ihr sitzen sollte.
Sie konnte sich nicht vorstellen, daß einer ihrer Vor-
fahren in einem Apfelbaum gesessen und gedichtet haben
sollte. Trotzdem war sie im Begriff, ein Buch mit ver-
worrenen seltsamen Bildern herauszugeben.
Jens Palmström hob die Hand und ließ den schmalen
Goldreif aufleuchten.
Die Vase am Fenster sammelte lethargisch Regen-
tropfen ein. In einem Bauer saßen zwei chinesische
Nachtigallen eng zusammengeschmiegt. Jens dachte
daran, daß nun bald der Schatten einer Baumkrone in
ihr Zimmer fallen werde.
Sie lauschte auf einen Schritt im Treppenhaus.
Der Schritt kam ungebildet und stolpernd über die
weichen Läufer. Dann schob sich etwas durch den Spalt
der Türfüllung und fiel knisternd zur Erde.
Ein Brief! dachte Jens Palmström und richtete sich
auf. Es ist sicher ein Brief vom Verleger! Sie schlüpfte
aus dem Bett und in das Zimmer hinein, daß die beiden
schlafenden Vögel, erschreckt durch das leichte Geräusch,
ihre Flügel spreizten und nach der Herrin äugten. Aber-
Jens achtele nicht auf sie, sondern schlich sich übertrieben
leise, als wolle sie die schlafende Jens Palmström nicht
wecken, hinaus auf den Korridor. So war sie! ...

Ihre Hand krümmte sich anmutig, viel zu anmutig
und viel zu jung für einen Beobachter, nach dem großen
dunkelgelben Brief an der Erde. Sie schlüpfte mit
einem wohligen Gefühl der Sicherheit in ihr warmes
Nest zurück und schloß noch einige Sekunden die Augen, als
beabsichtige sie, den Brief zu quälen und warten zu lassen.
Endlich fuhr ihre Hand wie spielend über die Decke und
legte sich beschattend auf das dunkelgelbe große Format.
Sie schlug die Augen aus und sah mit einem langen
kostbaren Blick auf die Adresse.
Ein erster Sonnenstrahl stieg in das Zimmer und
kauerte sich auf ihre linke Schläfe. Sie schaute unver-
wandt auf das Kuvert.
Erstaunen war Jens Palmström wohl völlig fremd.
Sie erstaunte nie, ließ sich aber desto öfter bestaunen.
Auf der niedrigen Stirn, hinter der die unglaublichsten
Gedanken wohnten, zeigte sich eine feine Falte. Die
Falte hatte etwas, das für Jens Palmström charakteristisch
war. Sie hatte eine undefinierbare Linie. Es war
eine Falte, nicht lustig und nicht ärgerlich, es war nur
eine Falte auf einer niedrigen Stirn.
Jens machte eine Bewegung und warf den Brief
mit der Routine eines Jongleurs auf einen kleinen
gelben Sessel. Dann setzte sie sich im Bett hoch und band
ihr Haar zusammen, das wie Jens eine gebändigte Wild-
heit zeigte. Sie sah so hübsch und launisch aus in diesem
Augenblick. Ihre grauen Augen waren geweitet und
hatten den Ausdruck eines erstaunten Kindes. Wenn
sie das geahnt hätte, die kleine Jens Palmström, die
kluge Frau mit den merkwürdigen Bildern und Ge-
sprächen. Aber sie war viel zu sicher vor ihrer schelmischen
Jugend, um Verdacht zu schöpfen. Sie warf mit einer
geschliffenen vornehmen Geste die Decke zurück und setzte
sich vor den Toilettentisch. Oft trat ihr Bild wie eine
Radierung in den Rahmen des Spiegels. Dann beugte
sie ein wenig ihren stolzen Kopf und verscheuchte den
Schatten, der sich auf ihrem Rücken sonnte.
Die Nachtigallen wetzten die Schnäbel an dem
dünnen Geflecht des Bauers. Aus ihren kleinen Kehlen
stieg ein kurzer lockender Ton.
Jens Palmström trat aus dem Haus, und man hätte
ein sehr genauer Beobachter sein müssen, um in ihr jene
Jens wiederzuerkennen, die vorhin mit verträumten
schelmischen und ungeduldigen Gebärden oben in einem
dämmrigen Zimmer erwacht war.. Sie sah groß und
schmal und unnahbar aus. Sie besaß nun kein Gesicht,
sie war nur Profil und wirkte wie ein abgezirkelter
kühler Wasserstrahl. Ihr Kleid war grau und von einen:
unerbittlichen eleganten Schnitt. Die Hand, von einem
dunklen Lederhandschuh umspannt, war gestreckt, gebildet
und von aristokratischer Haltung. Ihr Gang war auch nicht
auffallend, sie bewegte sich rhythmisch, daß das Wechsel-
spiel von Licht und Schatten nicht zu stark auf sie wirken
konnte und sie nicht kokett oder pikant erscheinen ließ.
Ja, so war Jens Palmström!
Sie schritt mit ihrem feinen Profil durch die Straßen
und erzog die Passanten, zu einer nachdenklichen Hoch-
achtung. Nur ganz vereinzelt blickte man hinter ihr her.
Sie war doch in mancher Beziehung zu merkwürdig!
Aber das kommt davon, wenn man zwei Sprachen spricht
und weder der einen noch der andern angehört.

x/x/

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