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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 27.1917

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Heft 12
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Röttger, Karl: Die Gesichte des Meisters Eccehart
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https://doi.org/10.11588/diglit.26489#0311

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ie Gesichte des Meisters Eccehart.

Von Karl Röttger*).

Und es geschah an einem Tage des Vorfrühlings,
daß Eccehart, der Meister zu Köln, hervortrat aus seinem
Zimmer, da er gesessen hatte bei den Büchern und am
Schreibzeug, und daß er die Gassen hinging und zu-
letzt ins Freie kam, an den Rhein.

Es war die Aeit, da der Schnee schmolz, da auf den
Feldern nur noch die Fetzen der Winterumhüllung
lagen, ein Märztag, da die Sonne den Mittag und Nach-
mittag schon wärmend geschienen hatte und der frische
Odem Gottes, der über die Ebene strich, schon nach
Frühling schmeckte; da erste Drosseln schon in den Ulmen
sangen, die zu blühen anfingen; da die Pfützen an den
Wegen blank waren im Licht und fast selig leuchteten —
da sie nun so schön den Himmel spiegelten; da die Kinder
schon mit bloßen Köpfen draußen lärmten im Spiel.

Und der Nachmittag neigte sich schon in den Abend,
als Eccehart nun am Wasser hinging und sah die Weiden
am Ufer im Wind sich biegen und wußre: der schöne
Tag wird schön zu Ende gehen; und das Abendrot ist
nicht ferne. Denn er liebte das Abendrot.

Er fühlte aber sein Gehen als eine unaussprechliche
Freude. Und das machte zu einem Teil: es ging mit
ihm ein Hauch jener Worte und Gedanken, bei denen
er in seinem Aimmer verweilt hatte. Aber es war'S
das nicht allein. Sondern auch, daß hier mit seincn Ge-
danken und Worten, die alle aus der großen Einsamkeit
eines sich selbst verlierenden Geistes kamen, die große
Stille und Einsamkeit der Landschast sich wunderbar
mischte. Aus dem engen Raum, da er dem nachsann,
was er aus der Tiefe Gottes, seiner selbst ledig, an reincm
Leben schöpfen könnte (soviel seine Hände und sein Herz
zu halten vermöchten) — aus dem engen Raum in die
Weite zu treten war ihm nichts anderes . . . war ihm
dasselbe; dcnn er erkannte wohl: die Welt war so groß
oder so klein als der Mensch sie dachte und schaute;
und war nichts anderes, mit seinem ganzen Sein wie
schlafend über den Wasscrn alles ungcformten Jnnen-
schauens zu liegen, als: hier zwischen Bäumcn, am
Wasser und unterm Himmel den Wind über sich hin-
wehen zu fühlen . . . Die Welt war drinnen und hier
draußen immer gleich ferne und gleich nah.

So konnte es sein, daß er die Gedanken manchmal
wie Vögel seinem Hirn entfliehen fühlte, daß sie über
dcm Wasser schwebten, daß sie auf Ästen wipptcn; und
danach winkte er ihnen, und sie kchrten bei ihm ein
und duckten sich fein und saßen ganz still . . . Solcher
Gedanken freute er sich: Gott, der Meister der Natur,
leidet eben durchaus nicht, daß irgend etwas leer sei.
Darum stehe du still und wanke nicht . . . Oder: Man
sragte mich oft, ob der Mensch dahin gelangen könne,
daß er nicht mehr gehindert werde durch die Aeit, die
Vielheit und die Materie. Ja, er kann es! Wenn diese
Geburt sich wirklich vollzieht, so vermögen die Krea-
turen alle dich nicht mehr zu hindern ... Und noch das

*) Aus „Die Allee", Novellen von Karl Röttger. Verlag
Georg Müller, München. Siehe Bcsprechung am Schluß des
Heftes. Die Schriftleitung.

Wort des heiligen Dionysius fiel ihm ein, daß Gott
wohne in einer Stille, die jenseit aller Gestaltung sei...

Jn einer Stille jenseit aller Gestaltung — und er
lachte bei sich selber; eben das gab ja ihm und allen,
die ihm in solchem Erkennen verbunden warcn, die
große Stille auch und den breitcn Atemzug der Ge-
lassenheit und Ruhe: daß wir in einer wunderbaren,
aller Fährnis abgetanen Sicherheit wohnen, so wir dies
wissen ... Er rief seine Gedanken zurück, und sie schmieg-
ten sich fein unter seine große schöne Stirn; nur einer
schlug noch ein wenig mit den Flügeln und sprach so:
Gott ist auch das Licht, das mit keinem irdischen Lichte
verglichen werden kann.

Da war's, und er stand nun ganz still, den Blick
gcn Westen gewandt; und da erhob sich über der unter-
gehenden Sonne ein hohes tiefglühendes Abendrot,
fast bis an den Ienith, und in dem Anblick stand er ver-
sunken und sein selbst vergessen und schaute lange . . .
Nicht, daß er nun dachte und zu vergleichen strebte:
Ewiges dem Jrdischen, auf daß es faßbar werde für
menschliches Wesen; noch daß er sprach, weder mit
dem Mund, noch mit dem Herzen, sondern er schaute
nur, sein Geist ertrank tief ins Abendrot; und es war
wie Entrückung, süßer denn Schlaf, wie ein Tropfen
Wassers vergangen zu sein in Gottes heiligem glühendem
Wein und Feuer . . .

Sieh, da war „Aeit, Vielheit und Materie über-
wunden," und er wußte es selber nicht einmal in dieser
Entrückung.

Er sah aber danach dies: Es kamen von unten, da
doch das Licht hochschien, empor die Schatten, erst wie
Schwaden, gestaltlos, und wehten vorüber. Und waren
danach Rosse, gcstreckten Laufs, schwarz vors Licht ge-
stellt, die rasten vorüber. Jhre Mähnen liefen fein wie
dunkles Gras in die Glut aus.

Danach hob es sich auf der andern Seite auch aus
der Tiefe auf: auch schwarz, und waren auch Rosse,
gestreckten Laufs, die rasten den andern entgegen,
und da stießen sie aufeinander und zerknäulten sich,
verknäulten sich und stampften einander, stiegen vor-
einander hoch, standen steil, schlugen mir den Hälsen
und Beincn und versanken im Abgrund.

Danach erhoben sich neue Scharen von beiden
Seiten, nur waren es dieümal Neiter, die ritten auf-
einander los, stachen und hieben aufeinander und war
eine Schlacht im Abendrot, wie wenn man von ferne,
über die Heide weg, eine Schlacht erschaut vorm Him-
mel. Und stachen und hieben und stampften einander
tot und versanken in den Abgrund der Nacht. (Denn
da unten, unterm Rand, unterm Abcndrot, war die
Nacht, und sie wartete nur ihrer Aeit, um aufzusteigen
und über die Welt sich hinzubreiten.) Das wußte Ecce-
hart nun wohl, denn er kam langsam aus seiner Ent-
rückung und aus dem Traum. Und sprach bei sich selber
langsam und leise also: Welch ein Gesicht! Noch verstehe
ich's nicht ganz. Und wandte sich und ging den Weg
zurück. Derweil verglühte das Abendrot, und leise
stieg das Dunkel auf.

Plötzlich hob er im Gehen das leicht geneigte Haupt,
schüttelte es, und dann stand der Blick gradaus, den
Weg entlang. Daß Welt mit Welt im Krieg ist, wußt
 
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