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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 1/2
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Ernst, Paul: Die Trachinierinnen
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Cohen, Walter: Alfred Rethel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0038

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Die Trachmiermm'n.

und in glücklichen Aufiänden leben, und dc>ß die Gnechcn
seinen Bogen zur Verfügung bekoinmen.

Man bedenke wieder: Wir haben nicht die Megorie
eines seelischen Austandes vor uns; es soll uns also nicht
etwa gezeigt werden, daß durch Güte und Reinheit Ver-
wicklungen unter den Menschen zu lösen sind, sondern
es wird uns ein Symbol gegeben.

Dieses Symbol nun kann aber freilich nur der ver-
stehen, der das Erlebnis gehabt hat; man kann sich immer
nur auf das Erlebnis berufen, und jeder andere Versuch
der Mitteilung wird immer unangemessen sein. Vielleicht
macht folgendes die Sache klarcr:

Jch habe die alte Tragödie nur Schritt für Schritt
verstehen lernen, und zwar kam ich in meinem Verstand-
nis immer jedeSmal so weit, wie ich mit meiner eignen
Dichtung gekommen war, sei es, daß ich ein Werk nun
schon gestaltet hatte oder es noch halb gestaltet in mir
trug. Es war mir lange klar, daß es außcr Tragödie und
Erlösungsdrama noch eine andere Form geben müsse; ich
kannte auch das Schauspiel als Form; aber ich wußte
nicht, daß das Gesuchte das Schauspiel war, denn ich
rückte das Schauspiel immer zu sehr in die Nähe der
Erzahlung: was ja auch ganz richtig ist, denn der epische
Geist in seiner höchsten Höhe, also im Homer, ist derselbe
wie der Geist des Schauspieldichters. Aber wegen dieser
Nähe zur Erzählung hielt ich das Schauspiel immer nur
für eine sekundäre Form, für eine in Dialog und Szene
gesetzte Erzählung. Das ist die Form nun tatsachlich bei
den unorganischen Dichtern. Daß das Schauspiel eine
primäre und die gesuchte dritte Form der Tragödie im
weiteren Sinn ist, das wurde mir erst klar bei der inneren
Arbeit an meinem Pork. Dieser ist ein sittlicher Mensch
auf der Ebene des Kantischen höchsten Begrisses; er
handelt nach seiner Natur und gelangt selber nicht über
deren Grenzen hinaus; aber das dramatische Gesamtbild
symbolisiert einen höheren seelischen Austand, und es
muß dadurch befreiend wirken, während die gebundene
Gestalt Porks allein doch nur Gebundenheit wirken
könnte und ebenso die übrigen Gestalten. Diese Wirkung
aber entsteht dadurch, daß der Dichter selber in dem
Zustand der Freiheit lebte, in welcheni sich denn das sitt-
liche Handeln sowohl, wie Glück und Unglück selber auf-
gelöst haben.

Das Schauspiel kann so weiter vom Subjektiven des
Dichters abgerückt werden wie die beiden anderen For-
men, die Tragödie im engeren Sinne und das Erlösungs-
drama, und kann mehr Darstellung der Wirklichkeit
werden, indem die Wirklichkeit eben nur in dem Spiegel
der seligen Dichterseele aufgefaßt wird.

Die ästhetische Betrachtung der Form wird wahr-
scheinlich noch dadurch erschwert, daß es doch Menschen
zu geben scheint, welchen dieser Austand der Seele ohne
vorherige Verzweistung und Erlösung zuteil wird, indeni
sie ihn von Anfang an haben. Wenn solche Menschen
Dichter sind, so stellen sie diesen Austand dar. Man denke
an das merkwürdige seelische Phänomen Naphael, um zu
verstehen, was hier gemeint ist. Es könnte sein, daß
Shakespeare ein solcherMensch gewesen ist,der eigentliche
Dichter versteht sich, der die ursprünglichen Werke ge-
dichtet hat, nicht der Verfasser, den man sich vielleicht aus
den vorhandenen Dramen konstruieren könnte.

lfred RethM.

Viele neuere Darstellungen von Rethels Kunst
legen das Hauptgewicht auf die frühe Erkrankung des
Künstlers. Die Vorliebe für alles Pathologische, für
krankhafte Entartungserscheinungen auch in der Kunst,
die unser Aeitalter auszeichnet, hat auch vor Rethel
nicht haltgemacht. Bereits in einem Werk der reinsten
Blüte, dem „Hannibalszug", vermeinten einzelne Bio-
graphen Anzeichen des Iusammenbruchs zu erkennen,
und Aeichnungen aus der allerletzten, der römischen Aeit
deö Künstlers, da seine künstlerjsche Handschrift ungelcnk
ward, ins Aittrige gerict, wurden als besvndere Offen-
barungen gepriesen. Jn Rethels Hauptwerken ist nichts
Ungesundes zu verspüren. Er ist einigemal der Kon-
vention verfallen und hat beispielsweise in der Mehrzahl
von Rottecks „Jllustrationen zur Weltgeschichte" von
Lessings Geist, Gesinnung und handwerklicher Ubung
sich nicht allzuweit entfernt. Wo jedoch Rethel aus dem
Vollen schöpft, wo er wie in den Karlsfresken, diesem
gemalten Heldenliede des deutschen Volkes, wahre
Größe zu beschwören und fast kongenial zu schildern
versteht, begrüßen wir in ihm denjenigen Künstler des
neuen, preußischen Rheinlands, der mehr als alle anderen
Genossen, sogar Cornelius zum mindesten als Maler
überlegen, von den Schlacken des AeitgeisteS befreit er-
scheint. Ganz rein, lauter und klar sprudelt hier ein
Quell der Kunst, unvergänglich wie die Malerei der
alten Meister des Reformationszeitalters. Man scheut
sich, von „Histvricnbildern" zu sprechen. War Rethel
auch zweifelloö nicht minder gründlich in der Erforschung
der deutschen Vorzeit wie etwa die Maler des Schloß-
Heltors-Ayklus, so ist er ihnen doch in einer Weise über-
legen, die kaum mit Worten umschrieben zu werden ver-
dient. Nie ist er in den Wandmalereien in den professo-
ralen Vortragston verfallen, der bci uns jenen, nicht
nur in ihren Barbarossa-Gemälden, so unleidlich dünkt.
Mit einer fast unheimlich anmutenden Sicherheit erfaßt
der Meister der „Schlacht von Pavia" und des „Besuches
Ottos III. in der Gruft Karls des Großen" den „Moment,
auf den es ankommt", in der ganz knappen, prazisen
Aurückführung geschichtlicher Vorgänge auf ein ehern
hingesetztes Augenblicksbild vergleichbar dem Grafen
Platen der historischen Balladen. Es ist sicherlich kein
Aufall, daß Rethel in einem seiner Frühwerke, das sich
im Besitze der Familie Sohn-Rethel in Düsseldorf be-
findet, den „Pilgrim von St. Just" darstellte, und als
er den in der Gruft des Vorfahren erschauernden jungen
Kaiser malte, mochten ihm aus dem „Klagelied Kaiser
Otto des Dritten" jene Verse vorgeschwebt haben:

Was durfte mich verführen,

Zu öffnen seinen Sarg?

Den Lorbeer anzurühren,

Der seine Schlafe barg?

Einem Auftrage des „Kunstvereins für die Rhein-
lande und Westfalen" verdankte der noch jugendliche
Künstler den Auftrag, den Krönungssaal des Aachener

*) ?lus „Die Malerei und Skulptur der Rhcinprovinz im
19. Jahrhundcrt" von Walter Cohen in „Die Rbeinprovinz 1815
bis 1915". KLln 1917 (2 BLnde).

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