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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 3/4
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Schäfer, Wilhelm: Christian Wagner
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https://doi.org/10.11588/diglit.26488#0071

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hristian Waqner f.

Jn eimgen Aeitungen war zu lesen, daß zu
Warmbronn in Schwaben Christian Wagner ge-
storben sei. Nur Wcnigen wird diese Trauerkunde mehr
gewesen sein, als cine flüchtige Erinnerung an die
merkwürdige Tatsache dieses „Bauerndichters"; denn
eigentlich nur als Merkwürdigkeit ist Chrisiian Wagner
seinem Volk bekannt gcworden, sofern es überhaupt etwas
von ihm wußte. Ein Bauer rechnet nicht mit zu den
„gebildeten Ständen", !omit war dieser Mann Autodidakt
und gehörte nur mit dem Ellbogcn in die Literatur,
oder wie man lieber sagt, ins gcistige Leben. Natürlich
kann sich dieses Autodidaktentum nicht auf den Dichter
als solchen bezichen; dcnn Autodidakten sind wir ja
— mangels staatlicher Abrichtungsanstalten — alle mit-
einander; es soll nur heißen, daß es dem Dichter an der
nötigen Bildung gefehlt habe, womit man die Schule
und ihre Eramen meint. Tatsächlich hat Christian
Wagner, der Le' rer werden sollte und dies aus Mittel-
losjgkeit nicht konnte, nur eine Dorfschule der vierziger
Jahre besucht, und wenn Bildung etwas wäre, das
man für scin Schulgeld beziehen kann, hätte der Bil-
dungsdünkel recht, der solchen Autodidakten die vollwcr-
tige geistige Eristenz bezwcifelt.

Da aber Bildung nichts anderes bedeuten kann,
als daß etwas Geistiges Gestalt geworden sei, daß eine
Persönlichkcit sich im geifiigen Bereich zum Bewußt-
sein seiner selbst und der Ausammenhänge entwickelt
habe, so könnte vom Autodidaktentum eines geistigen
Menschen nur insofern gesprochcn werden, als er in
seinen Leistungen sichtbare Mängel seiner Bildung
zeigte. Hiervon bei Christian Wagner zu sprechen,
dürfte abcr den mcisten der sogenannten Gebildeten
unserer Tage kaum zustchen, indem er sich in scinen
Dichtungen nicht nur als ein selbständiger und ticfer
Gcist, sondcrn auch im Formalen dem Durchschnitt
unserer lyrischen Leistungen beträchllich überlegen zeigt.
Bliebe also nur, daß er rein gegcnständlich nicht über
das Maß und die Gewandtheit in dcm verfüge, was
man nicht übel den HauSschatz des Wissens heißt. Tat-
sächlich wollen einige Kritiker hierin den Autodidakten
festgestellt haben, daß Christian Wagner etwa an dem
Mahlschatz Hofmannsthals gemessen doch ebcn nur ein
Bauer sei, der staunend und befangcn vor der Tür der
Bildung stände und gerade in seiner Vorliebe für die
klassischen Versformen seine Unbeholfenheit darin zeige.
Sie verwechseln dabei ohne Aweifel jenes altkluge
Raffinement, das dem dichterischen Tun unserer Zeit
aufs böseste hinderlich war, mit der Gefühlssicherheit
einer in sich selber ruhenden Bildung, und machen den
Fehler dazu, daß sie mit den Maßstäben einer überreizten
und bis zur Unnatur verbildeten Zeit eine Persönlich-
keit messen, die aus dem Boden einer ganz andercn und
sicher schöneren Bildung wuchs, die noch vom Hauch
Hölderlins und Mörikes umweht allerdings in unserer
Ieit altmodisch war; gewiß aber nur, um einmal leben-
diger zu sein als das meiste, was heute noch von dem
Recht der Lebenden den ausgiebigsten Gebrauch macht.

Gerade in der Bildung dicses Dichters licgt seine
überlegenheit; er ist zum erstcn ein selbständiger Geist,
und zum zweiten ein sicher gegründctes Bewußtsein.

Was ihn außer seiner altmodischen Herkunft fremd
scheinen läßt in unserer ach so vielbewanderten Literatur,
ist allein seine Einsamkeit, die allerdings einen Wesensteil
seines bäuerlichen Daseins bcdeutet. Er ist unberührt
von dem, was in den literarischen Cafes unscrcr ver-
schiedenen Hauptstädte von den neuen und neuesten
Wendungen der Lilcratur gesprochcn wird, ihm fehlt
der Schmiß und die Eitelkeit unscrcr Neutöncr, er ist
nicht von heute: aber cr ist von gcstern und morgen,
weil scin Geist, im ewigen Dascin der Natur tastend,
die Forderungen des Tages lächclnd mißachtet. Es ist
echtester Menschengeist in ihm, im flüchligen Dascin
das Ewige suchcnd; er stellt, um es recht deutlich zu sagen,
in unserer unseligen Acit einen Hciligcn vor, und das
eigentlich Rührende an ihm ist seine Milde, die Mängel
seiner Menschenumwclt nicht zu sehen und so dem Buß-
predigertum seincs AltersgenossenTolstoi so fern zu stehen,
wie eben ein Bauer der bäuerlichen Sehnsucht eines am
Bildungsbetrieb seincr Aeit irrgcwordenen Grafen steht.

Der Hochmut mag noch so viele Worte dagegen auf-
bringen, entschcidend für den Austand einer Bildung
ist ihr religiöses Gefühl; wer sich da nicht ausgewachsen
hat, ist kcin Teilnehmer dcr Bildung und des um sie
ringenden Menschengcistes gcworden, er ist in der un-
bewußten Masse gebliebcn. Nichts wirkt im Tagebuch
des alten Tolstoi so erschütternd wie sein verzwcifeltes
Suchen um diescn Punkt. Der ein Mensch scincr Zeit
in einem Ausmaß war, wie es nur die Großen crreichen,
legt alles hin um Gott; er steigt tapfer hinein n den
unseligen Abgrund zwischen Glauben und Wissen,
darin die Bildung unscrer Acit verzwcifclt ihren Lebens-
bodcn sucht; er findet, daß dieser Awiespalt nur zwischen
Aberglauben und Unvcrnunft besteht und daß es nur
einer Anwendung dcr Vcrnunst bcdürfe, um zur Gläu-
bigkeit zu gelangen, die freilich etwas anderes vorstelle
— um mit scinen Worten zu redcn — als den „Aber-
glauben der Kirchc". Alles Dasein ruht in Gott und alle
Erkenntnis der Ausammenhänge ist göttliche Offcn-
barung; handcle dciner höchsten Erkenntnis gemäß,
und du wirst den Willen Gottes tun; gehe ein in die
Liebe, und du wirst das Heil finden! Was sich der russ sche
Graf und Prophet bitterlich abringen mußte, das lebt
in der stillen Einfalt des schwäbischen Dichters sein be-
ruhigtes Dascin; er war gläubig und brauchte sich nicht
danach zu sehnen, ihm wurde Wahrheit offenbart in der
Natur, wohin er sich wandte, und sein Wort, so unbe-
schwert von der Vcrzwciflung zu ringen es war, wurde
Weisheit, wie er es sagte.

Es gibt immer noch Leute, denen eine solche Betrach-
tungsweise der Kunst unpasscnd scheint; sie wollen
ihre Dinge nach dem Mörikewort selig ruhend in sich
selbst genicßen. Wcr dies bei den Gcdichten Christian
Wagners vermag, dem braucht man frcilich nichts mehr
über ihn zu sagen; aber das Unglück dieser Gedichte
in unserer Ieit ist eben, daß sie gar nicht so genossen
werden können, weil eben die Kluft der Bildung da-
zwischen licgt. Darum ist es nötig, zu sagen, daß die
Unbildung nicht auf seiten des angeblichen Bauern-
dichters, sondern des Lesers liegt, der dann noch den
Hochmut hat, aus seiner Unzulänglichkeit eincn Maß-
stab zu machen. Gcwiß, nicht alle oder nur wen'ge
Leistungen dicscs DichterS sind vollkommene Schöpfungen

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