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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 28.1918

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Heft 5/6
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er Ketzer von Soana.

Seit seinem AtlantiL-Roman hat der Crzähler Gerhart
Hauptmann geschwiegen; nun kommt er mit einer Novelle im
Stil seines „Griechischen Frühlings", die ihm stofflich gewiß einen
ebenso begeisterten Leserkreis bringen wird, wie ihn Thomas
Mann seinerzeit mit dem „Tod in Venedig" fand. Die Ahnlich-
keit dieser beiden Bücher ist so auffallend, als hätten sie den gleichen
Verfasser; beidemal findet ein deutscher Dichter im Süden ein
Abenteuer: bei Thomas Mann wird er als Held in das Erlebnis
verstrickt, bei Gerhart Hauptmann empfängt er die fertige Nieder-
schrift eines solchen aus fremden Händen. Die südliche Landschaft
übt hier wie dort ihren Iauber, und die klassische Stimmung der
deutschen Bildung bestimmt den Ton der Erzählung. Unbedingt
darf man bei Hauptmann wie bei Mann von Reife sprechen im
Sinn einer Frucht nach der Blüte; das reifende Alter wählt seinc
Worte und wägt die Wirkung, es läßt den Leser die Überlegenheit
fühlen und bleibt auch in der Leidenschaft immcr noch wohlüber:
legte Geste. Was man Goethes Altersstil nennt, klingt deutlich
durch, auch in der garnicht sorglosen, sondern klug berechneten Art,
den Lauf der Crzählung durch ausgiebige Beschreibungen der Land-
schaft oder Räumlichkeit zu unterbrechen. Dersuche also der soge-
nannten klassischen Novelle heute bei Gerhart Hauptmann wie
gesiern bei Thomas Mann: ob sie gelangen, das muß die Fabel
lehren, wie sie zur Handlung entwickelt und in der Handlung zur
Novelle gesteigert ist.

Es wurde gesagt, daß der Dichter bei Gerhart Hauptmann
eine Niederschrift aus fremden Händen empfängt und in dieser
Empfängnis das Abenteuer des „Herausgebers" erlebt. Das ist,
wie man weiß, ein alter Kunstgriff des Novellisten, dem irgendwie
die Absicht zugrunde liegt, die Mitteilung eindringlicher, wenn
man will, glaubwürdiger zu machen. Ferdinand von Saar z. B.
hat ausgiebig davon Gebrauch gemacht und mcist auch die Naht gut
versteckt, wo das fremde Tucb ans eigene geflickt wird. Gerhart
Hauptmann ist nicht so glücklich gewesen, sein eigenes Criebnis
liegt gewissermaßen als Rahmen um die Novelle; obwohl es kaum
eine Handlung enthält, ist es doch so eindnnglich in der Schilderung,
daß der Leser nur scbwer davon loskommt, um sich der Novelle
zuzuwenden. Deren Handlung erhält dadurch etwas Erschüttertes,
sie kommt nicbt recht auf die eigenen Füße und fällt in dem Augen-
blick um, da der Leser sie stehend glaubt.

Einem katholischen Priester von ekstatischer Neigung wirft
sein Amt die Derpflichtung entoegen, einem in sündiger Gemein-
schaft lebenden Geschwisterpaar Seelsorger zu sein. Er aber wird
in Leidenschaft zu der Tochter verstrickt, die ihn als das leibhaftige
Sinnbild der übermenschlichen Bergwelt in ihre sinnlichen Arme
nimmt. „Wir hören das Lied von jeneni mächtigen harten Cros,
der Llter ist als alle andern herrschenden GLtter." Und in der Tat,
was Brunst über den Menschen vermag, das ist um so auffälliger
dargestellt, als der Held durch seinen Priesterberuf von aller sinn-
lichen Begier abgesperrt ist. Schade nur, daß er von Anfang an
mehr in der Jnbrunst als im Geist seines Amtes steht; wenn der
„Ketzer von Soana" zunr Schluß als verfemter Berghirt endet,
so ist eigentlich nichts Aufregendes geschehen, als daß ein katho-
lischer Priester die Heiligkeit mißbrauchte. Die geistige Ausein-
andersetzung, die wohl oder übcl die Handlung bestimmen mußte,
wird uns vom Dichter nicht nur vorbehalten, sondern im Charakter
des Helden nebensächlich gemacht.

Das ist nun freilich ein böser Mangel, um die Handlung nicht
nur uninterssant, sondern auch ihr Ergebnis zweifelhaft, um nicht
zu sagen widerwärtig zu machen. Der Menschengeist muß sich auf
eine Weise ausgeschaltet fühlen, die mit seinem Dasein unverein-
bar ist; denn alles, was der Dichter an Schilderung der unhcim-
lichen Naturmächte beibringt — er ist eifrig und geschickt damit —
läßt schließlich doch nur einen Priester scin Beichtkind verführcn,
und das ist an sich kein geistiges Crgebnis. Gewiß, die Natur ist
mächtiger als alle Hirngespinste, aber sie ist nicht mächtiger als die
Natur des Menschengnstes; dessen Kämpfe, Leiden und Siege,
und zwar sie allein, warcn bisher der Sinn aller Dichtung, sie werden
es auch fortab bleiben.

Es wird dem neuen Buch von Gerhart Hauptmann nicht an
Lesern fehlen, die in diesem Keher von Soana das Sinnbild einer
neuen Freiheit begrüßen und gläubig sind an sein „Reich in den
Bergen, die selbst mit ihren Herden und Bienen, Abgründen und
Bächen, ja mit ihren Dörfern und Kirchen und Kapellen vom Duft
und Hall der großen Pansliebe erfüllt scheinen." Das alte Natur-

evangelium möchte wieder einen neuen Prediger gefunden haben;
und in Wahrheit: wenn die kümmerliche, d. h. unausgewacbsene
Handlung dem Dichter nicht den Text verdürbe, seine Schilderung
der Landschaft mit dem lockenden Sinnbild der Männin am Schluß
würden der Predigt eine süße Fülle und betörende Wirkung geben.
So aber steht der Geist nur vor einem Ausbruch der Sinnlichkeit,
dcm die gelassene Geste des Crzählers, die verhaltene Sprache einen
seltsnmen Beigeschmack gibt: es ist keine rauschende Jugend, die
da schäumt, es ist cin deutliches Alter, reife, ja überreife Frucht.

Und hierin steht der „Keher von Soana" dem „Tod in Venedig"
so nahe, daß die Frage aufsteht: tut sich hier der geistige Zustand
unserer Tage aus? Sind wir so satt unserer Bildung und doch von
ihrer Herkunft so besessen? Sind wir so alt und gelassen und doch
so voll Brunst? Stehen wir so gottverlassen da und so den „gnaden-
losen Händen" ausgeliefert, denen „Himniel und HLlle" überant-
wortet sind? Wenn es so wäre, dann würden diese beiden Bücher
einmal Dokumente des Zeitgeistes im Anfang des zwanzigsten
Jahrhunderts sein. Aber niemand, der die Dokumente der Mensch-
heit tennt, wird zweifeln können, daß, an ihren Höhen gemessen,
dieses klägliche Abfälle sind. Wer dies aber sieht, dem tut sich viel-
leicht auch ein Blick auf für die Abgenuhtheit ihrer Geste; er erkennt
in der Bildung, daraus ihre Natursehnsucht diese Früchte reifte,
Paul Heyse wieder, den vielgeschmähten Liebling der gutbürger-
lichen Goethebildung im neunzehnten Jahrhundert; kultivierter
als er, raffinierter, aber darum nicht von anderm Format.

Das wäre ein sonderbares Crgebnis des vielgepriesenen
Naturalismus, von dcm eine neue Jugend unserer Dichtung er-
wartet wurde; und somit hätte die Frage ihr Recht, ob sich in der
Rückkehr zur Form der klassischen Rovelle nicht doch vielleicht ein
Aufstieg, ein Anfang ankündige? Aber wer Ohren hat zu hören,
dem geben Goethe, Kleist, Keller und Stifter kopfschüttelnd Ant-
wort. Man lese einmal nach dem „Ketzer von Soana" die umständ-
liche Novelle Stisters von den „Schwestern", um den Abstand zu
empfinden. Nein, es ist keine Frage, hier klingt «in Cnde, kein
Evangeliuni. Jn den ungeheueren Aufschrei des Krieges tönt dünn
und verloren die Frage nach einem Glück diesseits der Seele. s783f

S.

o» Martin Buber: Die Rcde, die Lchre und
A das Lied*).

Wieder erblühte im Jrrgarten unserer Literatur eine blaue
Blume, und mit Verwundcrung schauen wir ihr edles Wackstum
und erwarten mit Spannung ihr Blühen. Es ist Martin Buber,
der in seinen drei Aufsätzen zu uns spricht, und er rührt an eine
Harfe, daß die graue Ewigkeit in uns aufklingt in glockendunklem
Rauschen. Wir jpüren alle, daß wir in einer großen Bewegung
sind und suchen, wer uns die Richtung deute. Und wahre und falsche
Propheten erstehen und bereiten daö Land. Für unser durch die
Gotik erzogenes Gemüt ist es der Geist Gottcs, wie er uns in immer
neuen Crkenntnisscn offenbar wird. Überall in den großen Lehren
ist es das gleiche tiefe Gefühl der Einheit in Gott; überall gesät
und alle paar tausend Jahre erblühend in einem wohlgefügten
Menschen. Vielleicht ist jetzt wieder die Zeit, da einem Heiligen
das Land bereitet wird. Viele sind dabei. Sie ackern und lockern
den Boden, bereiten und harren und wirken: Es kommt. Jmmer
wieder geläutert und klarer reift die Erdkraft in dem Cinzelnen.
Jm Volk aber ist eine große Bereitschaft.

Wir sind durch unsere geistliche Crziehung so verbildet, daß wir
kaum noch vermögen unbefangen zu erkennen. ünd unsere Sinne
irren sich an den eingelernten Worten ab: Aber was wissen wir
von göttlicher Liebe. Wir haben nur das Gefühl Gottes; dicse
Würde gibt sich aus in Liebe. Dürften allc Menschen nach ihrer
tiefsten Liebe leben, so blieb kein Arg. Doch der kleinen Tage sind
zu viele.

Buber spricht uns von Tao, der Lehre, die nicht lehrbar ist,
denn sie ist die Ruhe: „Nur wer mit Schweigen es erlangt, und
mit dem Wesen es vollendet, der hat es." Für den Leser ergibt
sich da oft die Schwierigkeit, aus der Anwendung der Worte ihren
größeren Sinn zu erfassen; und nicht alle sind der volle Ausdruck
ihres Begriffes.

Auch spricht er uns von der Ckstase. Aber sie ist nicht die wahrd
Cinheit. Denn die Macht, die eine Seele entfacht, daß sie aufloderne
aus sich heraustrete — sie stört ja die Scele auf aus ihrem goldenen

*) Fm Jnselverlag, Leipzig. Geh. 3 Mk., Pappband ck,50 Mk.

irr
 
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