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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 29.1919

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Heft 7/8
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Zoff, Otto: Russische Kunst
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Sternberg, Leo: Du schöner Lärm des Lebens
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Braun, Felix: Legende von der Meisterschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.26487#0184

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Straße in ein Tor ausmünden, das alle Elemente in
sich zusammenfaßt."

Diese Ausführung ist 1831 geschrieben, also zu einer
Aeit, da die Architektur aller Völker noch in einer strengen
Aielbewußtheit verlief, und sie ware in Europa nnr
in den wenigen Jabren argsten Verfalls (nach 1860
ungefahr) möglich gewesen. Für Rußland aber ist sie
snmptomatisch. Für Rußland ist sie Pragung des un-
sichersten Geistes, der jemals nach Ausdruck suchte. Und
wir erkennen, daß der innere Konflikt, der durch den
Gegensatz Europa-Asien hervorgerufen worden, trotz
Peters des Großen und trotz der Jahre des Klassi-
zismus nicht gelöst war. Tatsächlich hat ja auch die
russische Malerei, hat auch die russische Plastik niemals
jenen Ruhepunkt gefunden, den die Ärchitektur wenig-
stens für drei Jahrzehnte erreichte. Denn in Malerei
und Plastik war eine Rückkehr zu den primnrsten Fragen
nicht möglich gewesen, hier war eine stete, eine beharrliche
Fortentwicklung zu immer anderen Forderungen seit
Jahrhunderten im Lauf, und Rußland mußte dieser
Entwicklung nachlaufen, wenn es nicht zurückbleiben
wollte. Und so bietet uns die russische Malerei Künstler-
persönlichkeiten, die, meist mit hoher Begabung ausge-
zeichnet, zu keiner ernsthaften Auswirkung gelangen,
weil ihnen alle Tradition, alle Schule, alle Klarheit
des Iiels fehlt. Wir finden zu Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts eine Figur wie Orest Kiprenskij, der das
eine Mal wie Rembrandt, das andere Mal wie Rubens,
das dritte Mal wie Poussin, und das vierte Mal wie die
Nazarener malt. Wir finden Andrejewitsch Jwanow,
der ein Leben lang an einer Vision Christi arbeitet, zu
diesem Aweck bei Raffael, bei Rembrandt, bei Over-
beck und bei allen Meistern, Dichtern, Philosophen
der Weltgeschichte in die Schule geht und ein künst-
lerisches Unding zustande bringt. Die Geschichte der neu-
russischen Malerei ist die Tragödie einer Volksseele:
eine Tragödie, die bis zu diesem Tage ihren Spannpunkt
nicht überschritten hat. Jede Geradheit des Weges bleibt
fern. Anschluß an die altrussische Kunst wird versucht:
aber schon ist die Kluft zu breit, schon ist Westeuropa
ein zu bedeutsamer Faktor geworden. Anschluß an
Europa wird versucht, dann aber ist es, als ob die Ahnen
dazwischenträten, als ob die uralte geheiligte Erde
Stimme bekäme und sich auflehnte. Der Jammer der
Unentschiedenheit ist nicht zu tilgen. Awei Welttcile
prallen gegencinander und wcrden niemals zu einer
Welt. ^ (871) Otto Zoff.

D

u schöner Lärm des Lebens.

Von Leo Sternberg.

Du schöner Lärm des Lebens —
dich hör ich wieder!

Auf gepflasterten Straßen das Getrappel

sich eilig überholender Menschenfüße;

die Ketten der Uferkranen rasseln;

und sich kreuzende Schnellzüge rasen donnernd

feurig gespiegelt im Strom. .

Jch lebte auf Hochlandflächen,

wo kranichgraue Wolken

über den Hürden der Heidefriedhöfe schweben;

und ungestört die Toten sich erheben,

auf zerAreuten Heideklöcken im Kreis

sich wärmend — im nebligen Licht. . . .

Jetzt aber flieht das Gespenst.

Von Wetterscheinen der Arbeit

ist das Gewölk überflammt,

und die Drachenhälse der Schornsteine

schießen zum Himmel zischend aus Bergwerktiefen

herauf.

Siebenmal rollen die Lotsenböller zurück aus den
Seitentälern der Berge
und die Nammhämmer der Brückenbauer,
die Pseiler stampfen in den Strom,
pochen Tag und Nacht;

das Lustschiff aber zieht mit seinem Spiegelbild

,-id-n d-hm, "

und aus einem wandelnden Wald von erhobenen

mitwälzt sich beide Ufer entlang ^rmen
die Hymne der Welt. . . .

O, wie lang war ich einsam,
nach Menschen hungernd;
ein ferne bellender Hund, eines Fuhrmanns Licht
in der Nacht, eine raschelnde Hecke war Leben!
Ungesehen mitflute ich nun
im tausendköpfig wogenden Straßenstrom;
und nntten in Larmen und Tosen
klingt schon ein waldeinsames Schmiedehänmiern
ganz fein und fern,
wie eine Flamme singt,
weiter und weiter lockend, an mein Ohr. . . .

egende von der Meifterschaft.

Von Felix Braun.

An dem Tage, an dem Hans Baldung, von der Jnnung zum
Meister gesprochen, zum lehtenmal in Dürers Werkstatt kam, um
von seinem Lehrer Abschied zu nehmen, zog ihn dieser an der Hand
in das innerste Gemach, und nachdem er ihm mancherlei Ermah-
nungen erteilt hatte, sagte er ihm das Folgende:

„Du gehst nach Kolmar, Hans, und das bringt mich auf eine
Geschichte, die ich dir als meine letzte Lehre auf den Weg geben
will. Du wcißt, daß ich in Kolmar gearbeitet habe, da ich jung war,
in Martin Schongauers Werkstatt, aber als ich hinkam, war der
Meister eben gestorben. Wir Gesellen setzten sein Wcrk fort, keiner
von uns war aber so geschickt und krüftig zur Arbeit wie der jüngste,
seinen Namen weiß ich nicht mehr. Dieser schuf damals eine Altar-

tafcl, auf der er eine Kreuzigung malte, in solcher Schönheit der
Farben, mit solcher reinen Kunst der Zeichnung, daß die Lukas-
gilde ihn um des Bildes willen zum Meister sprach, ob er gleich
nicht ganze siebzehn Jahre zählte. Und in der Tat war er, was die
Kunst betraf, ein Meister, das mußten wir, wie sehr wir ihm sein
Glück neideten, wohl anerkennen.

Dieser Maler schuf hierauf noch andere Tafeln, und jede ein-
zelnc war so vollkommen, als man es sich in unserer Knnst nur
wünschen mag, was auch der Kolmarer Bischof fand, der alle diese
Bilder dem Maler für die Kirche abkaufte und sie in die Kapellen
zur Anbetung aufstellen ließ.

An dem Tage der Einweihung, da ganz Kolmar sich durch die
Kirchenk'iren drängte, kamen auch wir Gesellen dazu und bewun-
derten rcdlich den Fleiß und die Kunst des neuen Meisters. An
dem Hochaltar war Meister Martins Maria im Rosenhag zu sehen.

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