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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn (1): Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn — Wien: Österreich. Staatsdruckerei, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.75259#0037
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ARCHITEKTUR.

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Symmetrie der centralen Anlage, sich immer noch als Ebene darstellt, so sollen die unten in
starker Ausladung heraustretenden Nischen dem Beschauer zu deutlicherem Bewusstsein
bringen, dass der Bau sich auch in der Tiefendimension zu einem isolierten Individuum abschließt,
und sich damit zugleich gegenüber der Grundebene isoliert. Die kleinen Centralbauten (Nischen)
bilden gleichsam einen eigenen gemusterten Grund, von welchem der dominierende Centralbau
um so wirksamer heraus springt: ein Gesetz, dem wir noch wiederholt und insbesondere in der
Decoration der spätrömischen Kunst begegnen werden. Jetzt erschließt sich uns aber auch
in vermehrter Klarheit die Bedeutung der Seitenräume im Innern, wie wir sie vorhin (S. 25 f.)
am Pantheon angetroffen hatten. Denn der Raum wurde, wie wir am Pantheon gesehen haben,
als cubische Stofflichkeit aufgefasst und danach in eine streng regelmäßige, auf den ersten Blick
als individuelle Masse erkennbare Form gebracht; indem ihm nun eine Reihe von Seitenräumen
als Trabanten beigegeben wird, erscheint er ebenfalls wirksamer abgerundet. Das Verhältnis
zur früheren Antike lässt sich aber folgendermaßen formulieren:
Noch immer handelt es sich in letzter Linie um die abgeschlossene Darstellung eines stoff-
lichen Individuums. Aber dieses wird jetzt nicht mehr einfach in die Ebene hingestellt und mit
dieser verbunden, sondern es soll sich in seiner vollen Dreidimensionalität aus der Grundebene
loslösen. Infolge dessen wird zwischen die Grundebene und das Individuum eine Reihe kleinerer
Individuen eingeschoben, die das größere wirksamer aus der Ebene heraustreiben. Am klarsten
tritt dieses Verhältnis in der spätrömischen Decoration entgegen; man vergleiche auf Taf. XVI, 2
das grosse Kreuz auf dem durchbrochenen Mäandergrunde, an welchem Beispiele das echt spät-
römische Zusammenwirken des Beharrens in der Ebene einerseits, der wechselseitigen Isolierung
der Einzelformen anderseits völlig typisch entgegentritt.
Eine nicht minder wichtige Neuerung bedeutet am Tempel der Minerva Medica die An-
bringung von Fenstern im Tambour (und sogar in der Kuppelwölbung). In Nutzbauten waren
Seitenlichter seit altorientalischer Zeit unvermeidlich gewesen; der Monumentalbau hat sie grund-
sätzlich verworfen, denn vom Standpunkte einer Kunst, die darauf ausgeht, den Stoff zu
geschlossenen Einheiten zu formen, ist das in der Nahsicht oder Normalsicht gesehene
Fenster ein störendes Loch in der Wand, eine missfällige Unterbrechung des Taktisch-stofflichen
durch ein rein optisch-farbiges wesenloses Nichts, gleich dem Schatten. An classischen Monu-
, mentalbauten sind daher Fenster überaus seltene Ausnahmen, und wo sie eines äußeren Zwanges
halber Eingang fanden, wurden sie durch eine sorgfältige Einrahmung gleichsam zu selbständigen
Bauindividuen gestempelt. Die Voraussetzung für die Zulassung des Fensters in die Monumental-
kunst war somit eine fernsichtige Aufnahme, welche die schattenden Höhlungen in ihrem rhyth-
mischen Wechsel (Symmetrie der Reihung) mit den hellen Wandpartien dazwischen in einer
Ebene als zusammenhängende optische Einheit erscheinen ließ. Diese Voraussetzung gelangte
in der spätrömischen Kunst in Erfüllung, und indem nun das Fenster selbst an Monumental-
bauten als legitimes und nothwendiges Element allgemein zugelassen wurde, war damit erstens
eine endgiltige seither bis zum heutigen Tage nie mehr völlig verlassene Herstellung von unmittel-
baren Beziehungen zwischen Innen und Außen (die noch dem pompejanischen Hause gefehlt
hatte, im Orient vielfach selbst heute fehlt) vollzogen; zweitens vom Standpunkte einer fern-
sichtigen Betrachtung ein neues decoratives System geschaffen, das auf der rein optischen Grundlage
des regelmäßigen Wechsels von dunklen Durchbrechungen mit hellen Wandflächen dazwischen
beruht. Auch für das Innere hat der endgiltige Verzicht auf die Fensterlosigkeit eine mit keinen

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