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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn (1): Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn — Wien: Österreich. Staatsdruckerei, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.75259#0041
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31

ARCHITEKTUR.

gemeint, und es ist klar, dass in dem Falle, als die Altchristen wirklich von einer perspectivischen
Absicht geleitet gewesen wären, das Aufkommen ihrer Basilika nicht anders gedeutet werden
könnte, denn als ein jäher Bruch mit einer jahrtausendlangen Kunstüberlieferung, und ein unver-
mittelter Sprung in eine der heutigen bereits nächstverwandte Kunsttendenz. Eine nähere Betrach-
tung lehrt aber, dass ein solcher unnatürlicher Riss in der gleichmäßigen Entwicklung nicht
existiert, und dass die römischen Altchristen mit dem Mittelschiffe der Basilika gar keinen
geschlossenen Innenraum und somit auch keinen perspectivischen Raumausschnitt schaffen
wollten, den vielmehr bloß der moderne Beschauer hineindeutet.
Schon die erste Wahrnehmung, die sich dem Besucher einer christlichen Basilika sofort auf-
drängt, muss uns auf die angedeutete Fährte führen: die Höhe und Breite des Mittelschiffes sind
in ein wohlthuendes Gleichmaß zu einander gebracht, und damit von vorneherein im Beschauer
ein bestimmter Eindruck der Symmetrie und der Ebene hervorgerufen; man braucht sich bloß
der Verschiebung dieser Verhältnisse, der einseitigen Steigerung der Höhe im germanischen
Mittelalter zu erinnern, um sich klar zu werden, wie enge die christliche Basilika noch mit grund-
sätzlichen Anforderungen des gemeinantiken Kunstwollens zusammenhängt.
Die Behandlung der Theile, die nun den letzten Rest taktischer Verbindung abgestreift
hatten, konnte keine andere werden, als eine coloristische; sie äußert sich unten in dem
raschen Wechsel der dichtgestellten Säulen mit ihren Intercolumnien, an der Obermauer in der
durchgebrochenen Reihe von Fenstern. Das gleiche Streben nach Isolierung zeigt sich auch im
Verhältnisse zwischen den einzelnen Theilen, zum Beispiel zwischen Qn Horizontalgliedern unter-
einander. Abgesehen von der oberflächlichen, auf flüchtigen Fernblick berechneten Bildung aller
Details, gewahren wir über den Säulen eine Mauer, über der Mauer eine Flachdecke, ohne dass
zwischen diesen einzelnen Reihen eine passende Verbindung hergestellt wäre. Die Einschiebung
der Mauer zwischen Säulen und Decke bedeutet allein schon eine Zerreißung des nothwendigen
Zusammenhanges zwischen Stützen und Decke: zum bezeichnenden Unterschiede gegenüber dem
griechischen Säulenhause. Es ist, als ob man es geflissentlich darauf angelegt hätte, alle Versinn-
lichung eines Causalzusammenhanges zwischen den Theilen aus dem Wege zu räumen. Wenn das
Unbefriedigende, das für den heutigen Geschmack darin liegt, und das namentlich im Widerspruche
zwischen den schlanken Säulen und der vasten Mauer zutage tritt, vom modernen Besucher häufig
übersehen wird, so liegt es an der perspectivischen Wirkung, durch die er sich gefangen nehmen
lässt, und die dem ursprünglichen Zustande schon allein der (erst in der Barockzeit beseitigten)
Einbauten in der Mitte des Schiffes (Cancelli und Ambonen) halber gar nicht eigenthümlich
gewesen sein konnte. Die altchristliche Basilika bildet in dieser Hinsicht ein Unicum, das sich
seither in der Kunstgeschichte nicht mehr wiederholt hat. Die mittelalterliche Kunst des Nordens
hat die Mauer wieder hinweggeräumt und abermals cubische Raumeinheiten geschaffen, die aber
mit Bewusstsein aus der Ebene in den unendlichen Raum übergeführt werden. Die Barockkunst
hat zwar die geschlossene Mauer retabliert, aber in Nischen gegliedert und darüber bloß einen
vermittelnden Fries angebracht und lieber die Fenster in das Tonnengewölbe eingeschnitten, als'
dass sie eine Wandfläche von größerer Ausdehnung als Obermauer zugelassen hätte.
Die geflissentliche Aufhebung aller taktischen Verbindungen zwischen den Theilen eines Bau-
körpers an der altchristlichen Basilika hat zur Folge gehabt, dass jener Eindruck der Nothwendig-
keit und des innigen organischen Zusammenhanges aller Theile, den die classische und auch die
neuere Kunst von der Composition verlangt, in der altchristlichen Basilika (und auch im Centralbau,
 
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