ARCHITEKTUR.
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von der classischen unterscheidet. Am griechischen Tempel ist die Außenfläche einer jeden der
vier Seiten in Ausladungen (Säulen) gegliedert, die aber in der Gesammtheit eine Ebene einhalten
und daher aus einer Grundebene herauszuspringen scheinen ; an der Basilika sind die Außenflächen
ebene Wände, die gar keine taktischen Ausladungen zeigen und dafür in optischer Weise durch
schattende Fensteröffnungen durchbrochen sind; hingegen ist jeder Seite im Wege des Massen-
baues ein Nebenbau (Seitenschiff, Atrium, Apsis) vorgelegt, wodurch an Stelle der Projection in
der Grundebene die Abstufung in der Tiefendimension tritt.
Beide spätrömisch-christlichen Bautypen — die Basilika und der Centralbau — gehorchten
somit einer und derselben leitenden Tendenz; aber der Langbau hat das Problem in radicalerer
Weise gelöst. Während der Centralbau nach antiker Tradition selbst dann, als er die strengste
Individualität preisgegeben hatte und zur Massencomposition übergegangen war, noch immer
eine gewisse Verbindung mit der Grundebene aufrecht erhielt, hat der Langbau diese Verbin-
dung bewusstermaßen preisgegeben und damit recht eigentlich den Weg freigemacht, auf
welchem die mittelalterliche und die neuere Kunst dazu gelangt ist, das Individuum in den freien
Raum zu stellen. Freilich war der Erfolg — - vom modernen Standpunkte aus beurtheilt — um
einen harten Preis erkauft, denn die Isolierung der Individuen und ihrer Theile innerhalb der
Ebene hat, wie schon oben gesagt wurde, dieser altchristlichen Kunst jenen Stempel der
Naturwidrigkeit und Roheit aufgeprägt, den wir in der ganzen Kunstgeschichte kein zweitesmal
mehr antreffen. Aber schon die perspectivische Wirkung der basilikalen Innenräume hat uns
belehren können, wie sich gerade mit diesem Systeme alle Zukunftshoffnungen verknüpfen
mussten, während der gleichzeitige Centralbau den Zusammenhang mit der antiken Relief-
auffassung nicht schlankweg preisgeben wollte, und sich damit selbst die Bahn zu einer frucht-
baren Fortentwicklung verlegte. Ist also die durch die Basilika repräsentierte Seite des
spätrömischen Kunstwollens gegenüber dem Centralbaue entschieden die für den modernen
Beschauer minder ansprechende gewesen, so beruhte doch anderseits auf der ersteren alle
Möglichkeit einer zukünftigen Entwicklung.
Man pflegt das Verhältnis zwischen beiden Bautypen in Bezug auf ihre topographische Ver-
breitung im römischen Reiche gewöhnlich so darzustellen, dass der Centralbau vom Osten, die
Basilika vom Westen ausgegangen wäre. Diese Vorstellung ist aber dahin zu berichtigen, dass
thatsächlich beide Systeme ursprünglich dem griechisch-orientalischen Osten eigenthümlich
gewesen sind, denn noch heute dürften im Oriente mehr altchristliche Basiliken aufrecht stehen,
als auf weströmischem Boden. 1 Die Basilika ist also in keiner Weise ein specifiscli weströmisches
Bauschema gewesen, und hat offenbar, mindestens in den ersten Jahrhunderten des christlichen
Kirchenbaues, überall — im Osten wie im Westen — als der angemessenste Typus eines
christlichen Gotteshauses gegolten. Das Unterscheidungsmerkmal zwischen Osten und Westen
ist zunächst ein negatives. Die Weströmer verschmähen die Centralform für das Gotteshaus
durchaus, womit nichts anderes zum Ausdrucke gelangte, als dass den Romanen die absolute
Isolierung der individuellen Kunstformen und der dadurch bedingte Appell an die verknüpfende
1 Auch das Studium der Miniaturen lässt sich in dieser Richtung aufklärend verwerten. In der Wiener Genesis, einem oströmischen
Werke des fünften Jahrhunderts, werden als Interieurs abwechselnd centrale Räume (Hartel-Wickhoff, Taf. XXX, Putiphars Boudoir
in halbkreisförmigem Doppelporticus) und viereckig oblonge (ebenda Taf. VI mit Noes Lagerstätte) vorgeführt. Der vatikanische Virgil, der
etwa ein Jahrhundert früher entstanden ist und wahrscheinlich einen abendländischen Ableger der griechischen Kunst darstellt, bevorzugt
charakteristischermaßen oblonge Innenräume (zum Beispiel in den Didoscenen).
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von der classischen unterscheidet. Am griechischen Tempel ist die Außenfläche einer jeden der
vier Seiten in Ausladungen (Säulen) gegliedert, die aber in der Gesammtheit eine Ebene einhalten
und daher aus einer Grundebene herauszuspringen scheinen ; an der Basilika sind die Außenflächen
ebene Wände, die gar keine taktischen Ausladungen zeigen und dafür in optischer Weise durch
schattende Fensteröffnungen durchbrochen sind; hingegen ist jeder Seite im Wege des Massen-
baues ein Nebenbau (Seitenschiff, Atrium, Apsis) vorgelegt, wodurch an Stelle der Projection in
der Grundebene die Abstufung in der Tiefendimension tritt.
Beide spätrömisch-christlichen Bautypen — die Basilika und der Centralbau — gehorchten
somit einer und derselben leitenden Tendenz; aber der Langbau hat das Problem in radicalerer
Weise gelöst. Während der Centralbau nach antiker Tradition selbst dann, als er die strengste
Individualität preisgegeben hatte und zur Massencomposition übergegangen war, noch immer
eine gewisse Verbindung mit der Grundebene aufrecht erhielt, hat der Langbau diese Verbin-
dung bewusstermaßen preisgegeben und damit recht eigentlich den Weg freigemacht, auf
welchem die mittelalterliche und die neuere Kunst dazu gelangt ist, das Individuum in den freien
Raum zu stellen. Freilich war der Erfolg — - vom modernen Standpunkte aus beurtheilt — um
einen harten Preis erkauft, denn die Isolierung der Individuen und ihrer Theile innerhalb der
Ebene hat, wie schon oben gesagt wurde, dieser altchristlichen Kunst jenen Stempel der
Naturwidrigkeit und Roheit aufgeprägt, den wir in der ganzen Kunstgeschichte kein zweitesmal
mehr antreffen. Aber schon die perspectivische Wirkung der basilikalen Innenräume hat uns
belehren können, wie sich gerade mit diesem Systeme alle Zukunftshoffnungen verknüpfen
mussten, während der gleichzeitige Centralbau den Zusammenhang mit der antiken Relief-
auffassung nicht schlankweg preisgeben wollte, und sich damit selbst die Bahn zu einer frucht-
baren Fortentwicklung verlegte. Ist also die durch die Basilika repräsentierte Seite des
spätrömischen Kunstwollens gegenüber dem Centralbaue entschieden die für den modernen
Beschauer minder ansprechende gewesen, so beruhte doch anderseits auf der ersteren alle
Möglichkeit einer zukünftigen Entwicklung.
Man pflegt das Verhältnis zwischen beiden Bautypen in Bezug auf ihre topographische Ver-
breitung im römischen Reiche gewöhnlich so darzustellen, dass der Centralbau vom Osten, die
Basilika vom Westen ausgegangen wäre. Diese Vorstellung ist aber dahin zu berichtigen, dass
thatsächlich beide Systeme ursprünglich dem griechisch-orientalischen Osten eigenthümlich
gewesen sind, denn noch heute dürften im Oriente mehr altchristliche Basiliken aufrecht stehen,
als auf weströmischem Boden. 1 Die Basilika ist also in keiner Weise ein specifiscli weströmisches
Bauschema gewesen, und hat offenbar, mindestens in den ersten Jahrhunderten des christlichen
Kirchenbaues, überall — im Osten wie im Westen — als der angemessenste Typus eines
christlichen Gotteshauses gegolten. Das Unterscheidungsmerkmal zwischen Osten und Westen
ist zunächst ein negatives. Die Weströmer verschmähen die Centralform für das Gotteshaus
durchaus, womit nichts anderes zum Ausdrucke gelangte, als dass den Romanen die absolute
Isolierung der individuellen Kunstformen und der dadurch bedingte Appell an die verknüpfende
1 Auch das Studium der Miniaturen lässt sich in dieser Richtung aufklärend verwerten. In der Wiener Genesis, einem oströmischen
Werke des fünften Jahrhunderts, werden als Interieurs abwechselnd centrale Räume (Hartel-Wickhoff, Taf. XXX, Putiphars Boudoir
in halbkreisförmigem Doppelporticus) und viereckig oblonge (ebenda Taf. VI mit Noes Lagerstätte) vorgeführt. Der vatikanische Virgil, der
etwa ein Jahrhundert früher entstanden ist und wahrscheinlich einen abendländischen Ableger der griechischen Kunst darstellt, bevorzugt
charakteristischermaßen oblonge Innenräume (zum Beispiel in den Didoscenen).