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ARCHITEKTUR.
zu sehen beginnen, begegnet die höchst bezeichnende Thatsache, dass die ältesten uns bekannten
Denkmäler auch dort die ausgesprochene Tendenz aufweisen, sich mit dem Langbaue zu
verquicken. Der Altar kam niemals in die Mitte, sondern stets an das dem Eingänge entgegen-
gesetzte Ende zu stehen; das ergab eine Richtung, die mit der centralen Ruhe in Condict
gerathen musste. In der Nothwendigkeit der Versöhnung dieses latenten Gegensatzes lag ein
Problem, und solange man dasselbe verfolgte, war die griechische Kirchenarchitektur fruchtbar
und entwicklungsfähig. Ihre originellen Leistungen, welche die Lösung des Problems durchwegs
im Anschlusse an die in der mittleren römischen Kaiserzeit (zwischen Marc Aurel und Constantin)
ausgebildete Anordnung halbverschleierter Seitenräume oder Annäherung an den in drei Quadrate
zerlegten Saal anstreben, fallen sämmtlich in die spätrömische Periode, darunter auch die Hagia
Sophia, in welcher alle die versuchten Lösungen jenes Problems gipfeln.
In der weiteren Folgezeit hat die griechische Architektur (und Kunst überhaupt), augen-
scheinlich infolge der Trennung von den westlichen Gebieten und des überwiegenden Verkehres
mit dem Oriente, einseitiger centralistische Bahnen eingeschlagen. Wie überall, kam es da auch
im Kirchenbaue zu einem Typus: dem griechischen Kreuze mit centraler Kuppel, das gegen-
über der Haga Sophia äußerlich eher einen Rückschritt zur strengeren taktisch-centralisierenden
Formtendenz der Antike bedeutet. Das orientalisch-griechische Christenthum hatte der bildenden
Kunst keine Probleme mehr zu stellen, denn es war sich gleich den Islamiten des Zusammen-
hanges zwischen Religion und Kunst bewusst, und hätte die Reformbedürftigkeit der orthodoxen
Lehre einbekannt, wenn es die Kunst für reformbedürftig gehalten hätte. Diese Entwicklung
fällt aber schon über die uns gesteckten Grenzen hinaus. Ob man vor dem Bildersturme von
einer byzantinischen, das heißt in Byzanz centralisierten griechischen Kunst reden darf, scheint
zweifelhaft.
Das Eigenthümliche der spätrömischen Architektur beruht in ihrer Stellung zum Raum-
problem. Sie anerkennt den Raum als cubisch-stoffliche Größe — darin unterscheidet sie sich
von der altorientalischen und classischen Architektur; sie anerkennt ihn aber nicht als unendliche
formlose Größe — darin unterscheidet sie sich von der neueren Architektur.
Um diese Verhältnisse mit voller Deutlichkeit einzusehen, genügt es, im Gedanken einen
römischen Centralbau, einen griechischen Tempel und ein gothisches Dorfkirchlein nebeneinander-
zustellen. Die Umrisse des Centralbaues (Pantheon) werden wir heute unbedingt hart und
anstößig empfinden; das könnte Wunder nehmen, wenn man erwägt, dass doch auch unsere
moderne Kunstanschauung auf der Fernsicht beruht, erklärt sich aber daraus, dass der römische
Centralbau durchaus den individuellen Abschluss in sich selbst sucht. Wir verlangen dagegen
die Versinnlichung der Einheit des Bauindividuums mit dem umgebenden Raume, und deshalb
findet der spitze Kirchthurm, der keck in den Luftraum hineinsticht, unser Gefallen. Aber auch
der griechische Tempel findet Gnade vor unseren Augen, wiewohl er sich gegenüber dem
Raume streng absondert, denn er sucht wenigstens die Verbindung mit der anschließenden
(idealen) Grundebene, und diese Verbindung einer Kunstform mit zwei Raumdimensionen genügt
uns, um uns über den Mangel der Verbindung mit der dritten hinwegzutäuschen. Der römische
Centralbau hat zwar auch die Verbindung mit der Ebene nicht völlig aufgegeben, aber doch
wenigstens für eine nähere Betrachtung wesentlich abgeschwächt, und die dadurch bewirkte
Isolierung ist es, die uns diesem Bautypus gegenüber zur Ablehnung bestimmt. Vollständig
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ARCHITEKTUR.
zu sehen beginnen, begegnet die höchst bezeichnende Thatsache, dass die ältesten uns bekannten
Denkmäler auch dort die ausgesprochene Tendenz aufweisen, sich mit dem Langbaue zu
verquicken. Der Altar kam niemals in die Mitte, sondern stets an das dem Eingänge entgegen-
gesetzte Ende zu stehen; das ergab eine Richtung, die mit der centralen Ruhe in Condict
gerathen musste. In der Nothwendigkeit der Versöhnung dieses latenten Gegensatzes lag ein
Problem, und solange man dasselbe verfolgte, war die griechische Kirchenarchitektur fruchtbar
und entwicklungsfähig. Ihre originellen Leistungen, welche die Lösung des Problems durchwegs
im Anschlusse an die in der mittleren römischen Kaiserzeit (zwischen Marc Aurel und Constantin)
ausgebildete Anordnung halbverschleierter Seitenräume oder Annäherung an den in drei Quadrate
zerlegten Saal anstreben, fallen sämmtlich in die spätrömische Periode, darunter auch die Hagia
Sophia, in welcher alle die versuchten Lösungen jenes Problems gipfeln.
In der weiteren Folgezeit hat die griechische Architektur (und Kunst überhaupt), augen-
scheinlich infolge der Trennung von den westlichen Gebieten und des überwiegenden Verkehres
mit dem Oriente, einseitiger centralistische Bahnen eingeschlagen. Wie überall, kam es da auch
im Kirchenbaue zu einem Typus: dem griechischen Kreuze mit centraler Kuppel, das gegen-
über der Haga Sophia äußerlich eher einen Rückschritt zur strengeren taktisch-centralisierenden
Formtendenz der Antike bedeutet. Das orientalisch-griechische Christenthum hatte der bildenden
Kunst keine Probleme mehr zu stellen, denn es war sich gleich den Islamiten des Zusammen-
hanges zwischen Religion und Kunst bewusst, und hätte die Reformbedürftigkeit der orthodoxen
Lehre einbekannt, wenn es die Kunst für reformbedürftig gehalten hätte. Diese Entwicklung
fällt aber schon über die uns gesteckten Grenzen hinaus. Ob man vor dem Bildersturme von
einer byzantinischen, das heißt in Byzanz centralisierten griechischen Kunst reden darf, scheint
zweifelhaft.
Das Eigenthümliche der spätrömischen Architektur beruht in ihrer Stellung zum Raum-
problem. Sie anerkennt den Raum als cubisch-stoffliche Größe — darin unterscheidet sie sich
von der altorientalischen und classischen Architektur; sie anerkennt ihn aber nicht als unendliche
formlose Größe — darin unterscheidet sie sich von der neueren Architektur.
Um diese Verhältnisse mit voller Deutlichkeit einzusehen, genügt es, im Gedanken einen
römischen Centralbau, einen griechischen Tempel und ein gothisches Dorfkirchlein nebeneinander-
zustellen. Die Umrisse des Centralbaues (Pantheon) werden wir heute unbedingt hart und
anstößig empfinden; das könnte Wunder nehmen, wenn man erwägt, dass doch auch unsere
moderne Kunstanschauung auf der Fernsicht beruht, erklärt sich aber daraus, dass der römische
Centralbau durchaus den individuellen Abschluss in sich selbst sucht. Wir verlangen dagegen
die Versinnlichung der Einheit des Bauindividuums mit dem umgebenden Raume, und deshalb
findet der spitze Kirchthurm, der keck in den Luftraum hineinsticht, unser Gefallen. Aber auch
der griechische Tempel findet Gnade vor unseren Augen, wiewohl er sich gegenüber dem
Raume streng absondert, denn er sucht wenigstens die Verbindung mit der anschließenden
(idealen) Grundebene, und diese Verbindung einer Kunstform mit zwei Raumdimensionen genügt
uns, um uns über den Mangel der Verbindung mit der dritten hinwegzutäuschen. Der römische
Centralbau hat zwar auch die Verbindung mit der Ebene nicht völlig aufgegeben, aber doch
wenigstens für eine nähere Betrachtung wesentlich abgeschwächt, und die dadurch bewirkte
Isolierung ist es, die uns diesem Bautypus gegenüber zur Ablehnung bestimmt. Vollständig
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