Q2 SCULPTUR.
zugrunde liegende Überzeugung, dass jede Zeit ihr eigenes unabhängiges, weil in allen übrigen
gleichzeitigen Culturverhältnissen wurzelndes Kunstwollen besitzt? Vor allem ist die Thatsache
(selbst als richtig nachzuweisen: das vierte Jahrhundert hat in ganz unzweifelhafter Weise ältere
Kunstdenkmäler für seine laufenden Zwecke verwendet. Es genügt hiefür den Constantin-Bogen
zu citieren; des ferneren die mehrfach bezeugte Verwendung von älteren Bautheilen (namentlich
Säulen) für christliche Kirchen, und vor allem jenen Massenraub von Statuen aus allen Provinzen
des Reiches, die Constantin der Große nach Constantinopel schleppen und dort zum Schmucke
der Straßen, Plätze und öffentlichen Gebäude aufstellen ließ.
Es kann kaum verwundern, dass man in solchem Gebaren wiederum nichts als Barbarei
und Einbekenntnis des eigenen Unvermögens erblickt hat; hätte man aber dabei nur moderne
Zustände, wie sie in Deutschland vor kurzem allgemein waren und zum Theile noch heute
herrschen, vergleichend herangezogen, so hätte man entweder die moderne Antiquitätensammlerei
ebenfalls für ein Symptom der Barbarei erklären, oder aber eine glimpflichere und vor allem eine
sachgerechtere Beurtheilung Platz greifen lassen müssen. Es ist richtig, dass eine Zeit, die vom
Kunstwerke in taktisch-nahsichtiger Weise angeregt sein will, kein zeitfremdes Denkmal hiefür
brauchen kann. Anders steht es in einer Zeit, die den Dingen lediglich eine optisch-fernsichtige
Betrachtung widmet, denn diese fasst hauptsächlich das Ganze ins Auge, und kann über das für
sie störende taktische Detail hinwegsehen. Das Gleiche gilt von einer Zeit, die vom Kunstwerke
nicht so sehr die Befriedigung durch die materielle Erscheinung, als durch den Inhalt, die Vor-
stellung, die darin ihre Versinnlichung gefunden hat, fordert; eine solche Zeit wird die materielle
Erscheinung überwiegend bloß als farbigen Augenreiz, als coloristische Anregung empfinden
und darum über die Details der Formgebung hinwegsehen. Beides trifft nun für die constan-
tinische Zeit zu: sowohl die optisch-fernsichtige Aufnahme der Dinge, als die einerseits inhalts-
tendenziösen, anderseits — soweit die materielle Erscheinung dabei unvermeidlichermaßen in
Betracht kam — - coloristischen Ansprüche, die sie an das Kunstwerk gestellt hat. Es leidet
darum keinen Zweifel, dass die constantinische Zeit auch ihr eigenes Kunstwollen entfaltet hat;
und dass dieses seinen ganz positiven Inhalt gehabt hat, dürfte bereits hinlänglich klar geworden
sein. Aber mit der Natur dieses Kunstwollens war es ebenso wie mit dem halbverflossenen
modernen verträglich, Denkmäler eines älteren, verschiedenen Kunstwollens zu genießen, wobei
Archäologie lebhaftem Widerspruche zu begegnen. Da der Sachverhalt hienach doch nicht Allen so Idar und auf den ersten Blick über-
zeugend wie mir selbst zutage zu liegen schien, glaubte ich die Frage vor ein größeres dabei interessiertes Forum bringen zu sollen, als
das sich mir die erste Section des im April 1900 zu Rom abgehaltenen Congresses für christliche Archäologie darbot. Mein bezüglicher
Vortrag, in dem ich lediglich das bereits ein Jahr früher in Wien Gesagte wiederholt habe, ist hiebei nicht allein auf keinen Widerspruch
gestoßen, sondern es wurde mir überdies mitgetheilt, dass inzwischen ein Scriptor der vatikanischen Bibliothek, Herr Monaci, den Helena-
Sarkophag zum Gegenstände seines Studiums gemacht, und hinsichtlich dessen Entstehung zu den gleichen Resultaten gelangt wäre;
die Abhandlung des Herrn Monaci, für welche das Archivio romano per la storia patria in Aussicht genommen war, konnte ich für diese
Publication nicht mehr verwerten, da sie mir bis zum Augenblicke der Drucklegung nicht zu Gesichte gekommen ist.
Der Helena-Sarkophag wurde unter Papst Pius VI. einer langwierigen Restauration unterzogen. Auf diese gehen wohl vor allem die
lagernden Engelsfiguren auf dem Deckel zurück. Aber auch die Büsten in den Ecken der beiden Langseiten — angeblich Helena und
Constantin — möchten von der Restauration herrühren, denn die Behandlung der Augen (ohne gravierte Pupillen), sowie diejenige der
Haare passt weder für die constantinische, noch für die antoninische Zeit; die Frisur der Dame ist vielmehr diejenige der Julia Mammaea (erstes
Drittel des dritten Jahrhunderts). Da schon Helbig und Bernoulli beobachtet haben, dass die Structur des Porphyrs, aus dem die (ein-
gesetzten) Büsten gearbeitet sind, von derjenigen des übrigen Materials etwas abweicht, gewinnt es in der That Wahrscheinlichkeit, dass
die beiden Büsten am Ende des vorigen Jahrhunderts auf gut Glück ergänzt worden sind, wofür auch das moderne Profil der beiden Köpfe
spricht. — Bevor aber diese letztere Frage endgiltig entschieden werden könnte, müssten durch eine gründliche Untersuchung die alten
Theile gegenüber den neuen festgestellt werden. An den Relieffiguren der Reiter und Gefangenen ist diese Unterscheidung leichter zu fällen;
hier ist uns in allem Wesentlichen der alte Zustand erhalten, und dieser weist, wie oben gesagt, entschieden in das zweite Jahrhundert n. Ch.
zugrunde liegende Überzeugung, dass jede Zeit ihr eigenes unabhängiges, weil in allen übrigen
gleichzeitigen Culturverhältnissen wurzelndes Kunstwollen besitzt? Vor allem ist die Thatsache
(selbst als richtig nachzuweisen: das vierte Jahrhundert hat in ganz unzweifelhafter Weise ältere
Kunstdenkmäler für seine laufenden Zwecke verwendet. Es genügt hiefür den Constantin-Bogen
zu citieren; des ferneren die mehrfach bezeugte Verwendung von älteren Bautheilen (namentlich
Säulen) für christliche Kirchen, und vor allem jenen Massenraub von Statuen aus allen Provinzen
des Reiches, die Constantin der Große nach Constantinopel schleppen und dort zum Schmucke
der Straßen, Plätze und öffentlichen Gebäude aufstellen ließ.
Es kann kaum verwundern, dass man in solchem Gebaren wiederum nichts als Barbarei
und Einbekenntnis des eigenen Unvermögens erblickt hat; hätte man aber dabei nur moderne
Zustände, wie sie in Deutschland vor kurzem allgemein waren und zum Theile noch heute
herrschen, vergleichend herangezogen, so hätte man entweder die moderne Antiquitätensammlerei
ebenfalls für ein Symptom der Barbarei erklären, oder aber eine glimpflichere und vor allem eine
sachgerechtere Beurtheilung Platz greifen lassen müssen. Es ist richtig, dass eine Zeit, die vom
Kunstwerke in taktisch-nahsichtiger Weise angeregt sein will, kein zeitfremdes Denkmal hiefür
brauchen kann. Anders steht es in einer Zeit, die den Dingen lediglich eine optisch-fernsichtige
Betrachtung widmet, denn diese fasst hauptsächlich das Ganze ins Auge, und kann über das für
sie störende taktische Detail hinwegsehen. Das Gleiche gilt von einer Zeit, die vom Kunstwerke
nicht so sehr die Befriedigung durch die materielle Erscheinung, als durch den Inhalt, die Vor-
stellung, die darin ihre Versinnlichung gefunden hat, fordert; eine solche Zeit wird die materielle
Erscheinung überwiegend bloß als farbigen Augenreiz, als coloristische Anregung empfinden
und darum über die Details der Formgebung hinwegsehen. Beides trifft nun für die constan-
tinische Zeit zu: sowohl die optisch-fernsichtige Aufnahme der Dinge, als die einerseits inhalts-
tendenziösen, anderseits — soweit die materielle Erscheinung dabei unvermeidlichermaßen in
Betracht kam — - coloristischen Ansprüche, die sie an das Kunstwerk gestellt hat. Es leidet
darum keinen Zweifel, dass die constantinische Zeit auch ihr eigenes Kunstwollen entfaltet hat;
und dass dieses seinen ganz positiven Inhalt gehabt hat, dürfte bereits hinlänglich klar geworden
sein. Aber mit der Natur dieses Kunstwollens war es ebenso wie mit dem halbverflossenen
modernen verträglich, Denkmäler eines älteren, verschiedenen Kunstwollens zu genießen, wobei
Archäologie lebhaftem Widerspruche zu begegnen. Da der Sachverhalt hienach doch nicht Allen so Idar und auf den ersten Blick über-
zeugend wie mir selbst zutage zu liegen schien, glaubte ich die Frage vor ein größeres dabei interessiertes Forum bringen zu sollen, als
das sich mir die erste Section des im April 1900 zu Rom abgehaltenen Congresses für christliche Archäologie darbot. Mein bezüglicher
Vortrag, in dem ich lediglich das bereits ein Jahr früher in Wien Gesagte wiederholt habe, ist hiebei nicht allein auf keinen Widerspruch
gestoßen, sondern es wurde mir überdies mitgetheilt, dass inzwischen ein Scriptor der vatikanischen Bibliothek, Herr Monaci, den Helena-
Sarkophag zum Gegenstände seines Studiums gemacht, und hinsichtlich dessen Entstehung zu den gleichen Resultaten gelangt wäre;
die Abhandlung des Herrn Monaci, für welche das Archivio romano per la storia patria in Aussicht genommen war, konnte ich für diese
Publication nicht mehr verwerten, da sie mir bis zum Augenblicke der Drucklegung nicht zu Gesichte gekommen ist.
Der Helena-Sarkophag wurde unter Papst Pius VI. einer langwierigen Restauration unterzogen. Auf diese gehen wohl vor allem die
lagernden Engelsfiguren auf dem Deckel zurück. Aber auch die Büsten in den Ecken der beiden Langseiten — angeblich Helena und
Constantin — möchten von der Restauration herrühren, denn die Behandlung der Augen (ohne gravierte Pupillen), sowie diejenige der
Haare passt weder für die constantinische, noch für die antoninische Zeit; die Frisur der Dame ist vielmehr diejenige der Julia Mammaea (erstes
Drittel des dritten Jahrhunderts). Da schon Helbig und Bernoulli beobachtet haben, dass die Structur des Porphyrs, aus dem die (ein-
gesetzten) Büsten gearbeitet sind, von derjenigen des übrigen Materials etwas abweicht, gewinnt es in der That Wahrscheinlichkeit, dass
die beiden Büsten am Ende des vorigen Jahrhunderts auf gut Glück ergänzt worden sind, wofür auch das moderne Profil der beiden Köpfe
spricht. — Bevor aber diese letztere Frage endgiltig entschieden werden könnte, müssten durch eine gründliche Untersuchung die alten
Theile gegenüber den neuen festgestellt werden. An den Relieffiguren der Reiter und Gefangenen ist diese Unterscheidung leichter zu fällen;
hier ist uns in allem Wesentlichen der alte Zustand erhalten, und dieser weist, wie oben gesagt, entschieden in das zweite Jahrhundert n. Ch.