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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn (1): Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn — Wien: Österreich. Staatsdruckerei, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.75259#0156
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146

KUNSTINDUSTRIE.


Fig - 53- Fibel aus vergoldeter Bronze. Ferdinandeum in
Innsbruck.

Fig. 10), aber infolge der dichten Aufeinanderfolge der Motive wirkt der Grund doch dunkel-
schattig im Gegensatz zu den glänzenden Vorsprüngen des eine absolute Ebene einhaltenden
Musters. Dieses silhouettenhalte Muster selbst lässt diesmal weder Klarheit noch Verbindung
vermissen: es besteht aus einer feinen Wellenranke, deren kreisförmige Einrollungen in Wein-
blätter auslaufen und auf deren Stengeln sich Vögel wiegen. In der Composition herrscht
strenge symmetrische Gesetzlichkeit, denn jede Rankenwindung, sowie jedes Blatt und vollends
jeder der (mit den Leibern affrontierten, mit den Köpfen adossierten) Vögel steht in unverrück-
barer Beziehung zu seinem Gegenüber. Nun merkt aber der Beschauer sofort, dass man rechts
und links dieselben Ranken in gleicher Abwechslung in die Unendlichkeit wiederholen kann, und je
zwei benachbarte Ranken immer wieder das gleiche Verhältnis engster Wechselbeziehung zu ein-
ander einhalten werden. Mit anderen Worten: es ist das Princip des unendlichen Rapports,
wodurch die organisch belebten Motive von pflanzlicher und animalischer Inhaltsbedeutung hier
unter das abstracte Gesetz des Krystallinismus gebeugt erscheinen. Das Mittel dazu ist das gleiche,
dessen sich schon die altorientalische und die archaische Kunst bedient hatten: der sogenannte
Wappenstil; war aber seine Anwendung in jenen Künsten von einer taktischen Auffassung
getragen, so ist sie diesmal von einer optischen Auffassung und coloristischen Kunstabsicht
dictiert. Bei dieser Stufe der Entwicklung des Kunstwollens ist der sarazenische Orient im
wesentlichen bis zum heutigen Tage stehen geblieben, was natürlich das schon durch allgemeine
Erwägungen geforderte bestimmte Maß an Fortschritt im einzelnen nicht ausschließt.
Ein glücklicher Zufall lässt uns sogar ein
bestimmtes Jahr des fünften Jahrhunderts als terminus
ante quem für die vollzogene Ausbildung des an der
Fibel vom Palatin beobachteten Decorationssystems -
nennen. Einer der wenigen sicher datierbaren Massen-
funde der Völkerwanderungszeit und vielleicht der
wichtigste von allen — derjenige aus dem Grabe
des im Jahre 481 n. Ch. verstorbenen Frankenkönigs
Childerich — hat auch eine Goldfibel an den Tag
gebracht, deren Form und Decorationsweise sich als
eine Fortsetzung derjenigen von Fig. 52 darstellt.
Das Original ist zwar heute verloren, aber in
Chiflet's Publication des Gesammtfundes (Anastasis

Childerici regis Seite 182, danach in dem noch heute lesenswerten historischen Hauptwerke
über den Fund: Cochet's Tombeau cle Childeric und a. a. O.) hat sich wenigstens eine
treue Zeichnung davon erhalten. Überdies hat der vielverdiente Director des Innsbrucker
Ferdinandeums, Professor Franz Ritter v. Wieser in diesem Museum ein Seitenstück zur
Childerich-Fibel aufgefunden und in der Ferdinandeums-Zeitschrift 1888 (Ein Seitenstück zur
Fibula- des Frankenkönigs Childericli I) publiciert. 1 Das Innsbrucker Exemplar (Fig. 53), über

1 Professor v. Wieser vermuthet, dass beide Fibeln der gleichen Werkstatt entstammen, weil sicli die Übereinstimmung bis auf unter-
geordnete Details erstreckt. Der Unterscliied, dass die Innsbrucker Fibel aus vergoldeter Bronze besteht, hat freilicli nichts zu sagen. Doch
wäre zu berücksichtigen, dass der Bügel der Childerich-Fibel noch nicht so brutal in den verzierten Theil des Fußstückes einschneidet, sondern
in einen glatten Rand (wie an der Fibel von Apahida) absetzt, und dass aucli der umlaufende Schmalrand am Gußstücke der Childerich-Fibel
noch etwas breiter gehalten ist. Hienach erweist sicli die Childericli-Fibel um eine Nuance minder „barbarisch", das heißt minder ablelinend
gegen das von der classischen Antike ererbte Postulat der Verbindung der Theile in der Fläche. Wenn aber selbst die Innsbrucker Fibel etwas
 
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