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KUNSTINDUSTRIE.
gekannt und geübt hatten. Die übliche Deutung der erwähnten Philostratus-Stelle kann also
unmöglich richtig sein; die Frage, wie diese Auslegung durch eine andere triftigere ersetzt werden
könne, ist nicht allein kunsthistorischer, sondern auch philologischer Natur und entzieht sich
der Erörterung an dieser Stelle. Unsere Pflicht war es bloß, die Identität des an den besagten
Emails vertretenen Kunstwollens mit dem gemein mittelländischen der römischen Kaiserzeit nach-
zuweisen, und diese Aufgabe glauben wir in hinreichend überzeugender Weise gelöst zu
haben. 1
Der Gebrauch des Emails zur farbigen Verzierung des Metalles hat seit dem vierten Jahr-
hundert fühlbare Einschränkung erfahren, die sich im fünften, nach endgiltiger Ablösung der
mittelrömischen durch die spätrömische Richtung des Kunstwollens, bis zur bewussten Vernach-
lässigung gesteigert zu haben scheint. Gänzlich aufgehört hat er aber wohl niemals. Die Denk-
mäler, die davon Zeugnis geben, hängen zwar sämmtlich mit der Barbarenfrage zusammen und
hätten daher erst im zweiten Theile dieses Werkes Erörterung zu finden; aber einige vorgrei-
fende Bemerkungen an dieser Stelle dürften auch für den bisher betrachteten Entwicklungsgang
von aufklärender Bedeutung sein. Zu den bekanntesten Emaildenkmälern der Völkerwanderungs-
zeit zählen eine Fibel aus dem zweiten Funde von Szilägy-Somlyo in Budapest und die eiserne
Krone der Lombarden in Monza. Die erstere (Taf. IX. 3) zeigt in der Mitte des halbkreisförmigen
Kopfstückes drei im Kreise zusammengestellte, peltenartige Motive auf wechselndem Grunde von
zweierlei Grün. Sowohl das Motiv, als die farbige Behandlung des Grundes ergibt einen engen
Zusammenhang mit der Kunst der mittleren und späteren römischen Kaiserzeit; aber die Gold-
stege, welche die Zeichnung des Musters bilden, sind nicht im (ausgehobenen) Grunde ausgespart,
sondern aufgelöthet, wie bei den Granat-Einlagen gleich der Schnalle von Apahida (Fig. 80): in
technischem Sinne also ein Zellenemail. Die eiserne Krone der Lombarden ist ebenfalls mit Email
in Goldzellen verziert. Durch L.Beltrami's dankenswerte Vermittlung war mir kürzlich Gelegen-
heit zu einer, nach Maßgabe der Umstände freilich nur oberflächlichen Untersuchung dieses ehr-
würdigen Kunstwerkes geboten. Der Reif der Krone zeigt 24 Felder mit zweifarbigen Blümchen in
Email auf translucidem grünen (vermuthlich Glas-) Grunde. In 21 Feldern ist das Email der Blümchen
weiß und blau, und zeigt jenen schweren, fettigen Glanz, der den späteren byzantinischen Emails
eigenthümlich ist. Drei Felder hingegen enthalten anstatt des Blau jenes rissige Rothbraun, das
wir auf der Flasche von Pinguente vorgefunden und als verbreitete Eigenthümlichkeit der ersten
1 Die auffallende Thatsache der gleichmäßigen Verbreitung identischer Typen über ganz Europa bis an den Kaukasus hat natürlich
auch die Forscher, die an der Hypothese barbarischer Herkunft des römischen Emails festhielten, zu Erklärungsversuchen herausgefordert.
De Linas hat dabei an die Zigeuner gedacht, die von altersher in mannigfachen Metalltechniken bewandert gewesen wären und als Welt
vaganten die Früchte ihrer Arbeit überallhin gebracht hätten; wer den achtunggebietenden Ernst kennt, mit welchem dieser unermüdliche
Forscher seinen Untersuchungen obgelegen hat, wird das Resultat, zu dem er gelangt ist, tragikomisch finden müssen. Kondakoff wollte
wiederum in der fraglichen Erscheinung den Ausfluss einer „gemeinsamen barbarischen Cultur vom ersten bis zum vierten Jahrhundert
n. Ch." erblicken; da muss man aber fragen, welcher allmächtige Factor die so erfolgreiche Vermittlung zwischen den über einen ganzen
Welttheil und darüber hinaus verstreuten Barbaren verschiedener Sprache und Sitte übernommen haben mag? Alle diese Hypothesen sind
aber überhaupt bloß vom Standpunkte der materialistischen Theorie discutabel, wonach die Technik der Kunst vorausgegangen wäre. Setzt
man einmal das Kunstwollen wieder in die ihm gebürenden Rechte des allein dictierenden Factors ein, dann kann der Gedanke, dass die auf
römischem Reichsboden so zahlreich gefundenen Emailgegenstände barbarischer Herkunft gewesen sein könnten, von vorneherein nicht
aufkommen. Denn selbst in dem Falle, als die „Technik" des Grubenemails von irgend einem coloristisch kunstgesinnten Barbarenstamme
erfunden worden und den Römern erst auf diesem Wege bekannt geworden wäre, ist es ausgeschlossen, dass eine Bevölkerung von dem uns in
Pompeji tausendfach bezeugten positiven Sinne für künstlerische Gestaltung aller Dinge die Emailsachen, die ihr gefielen und die sie nach
Zeugnis der Funde massenhaft verbrauchte, bloß von den Barbaren importiert und nicht selbst zu verfertigen getrachtet hätte. Sind aber
die auf römischem Reichsboden gefundenen Emailsachen römische Arbeit, dann repräsentieren sie eben eine römische Kunst und nicht eine
barbarische Kunst. Die Erfinderrolle der Barbaren — wenn eine solche sich zwingend nachweisen ließe — hätte dann ihre gebürende Stelle
in der Geschichte der Technologie zu finden — auf einen Platz in der Kunstgeschichte würde ihr darum noch kein Anspruch zustehen.
KUNSTINDUSTRIE.
gekannt und geübt hatten. Die übliche Deutung der erwähnten Philostratus-Stelle kann also
unmöglich richtig sein; die Frage, wie diese Auslegung durch eine andere triftigere ersetzt werden
könne, ist nicht allein kunsthistorischer, sondern auch philologischer Natur und entzieht sich
der Erörterung an dieser Stelle. Unsere Pflicht war es bloß, die Identität des an den besagten
Emails vertretenen Kunstwollens mit dem gemein mittelländischen der römischen Kaiserzeit nach-
zuweisen, und diese Aufgabe glauben wir in hinreichend überzeugender Weise gelöst zu
haben. 1
Der Gebrauch des Emails zur farbigen Verzierung des Metalles hat seit dem vierten Jahr-
hundert fühlbare Einschränkung erfahren, die sich im fünften, nach endgiltiger Ablösung der
mittelrömischen durch die spätrömische Richtung des Kunstwollens, bis zur bewussten Vernach-
lässigung gesteigert zu haben scheint. Gänzlich aufgehört hat er aber wohl niemals. Die Denk-
mäler, die davon Zeugnis geben, hängen zwar sämmtlich mit der Barbarenfrage zusammen und
hätten daher erst im zweiten Theile dieses Werkes Erörterung zu finden; aber einige vorgrei-
fende Bemerkungen an dieser Stelle dürften auch für den bisher betrachteten Entwicklungsgang
von aufklärender Bedeutung sein. Zu den bekanntesten Emaildenkmälern der Völkerwanderungs-
zeit zählen eine Fibel aus dem zweiten Funde von Szilägy-Somlyo in Budapest und die eiserne
Krone der Lombarden in Monza. Die erstere (Taf. IX. 3) zeigt in der Mitte des halbkreisförmigen
Kopfstückes drei im Kreise zusammengestellte, peltenartige Motive auf wechselndem Grunde von
zweierlei Grün. Sowohl das Motiv, als die farbige Behandlung des Grundes ergibt einen engen
Zusammenhang mit der Kunst der mittleren und späteren römischen Kaiserzeit; aber die Gold-
stege, welche die Zeichnung des Musters bilden, sind nicht im (ausgehobenen) Grunde ausgespart,
sondern aufgelöthet, wie bei den Granat-Einlagen gleich der Schnalle von Apahida (Fig. 80): in
technischem Sinne also ein Zellenemail. Die eiserne Krone der Lombarden ist ebenfalls mit Email
in Goldzellen verziert. Durch L.Beltrami's dankenswerte Vermittlung war mir kürzlich Gelegen-
heit zu einer, nach Maßgabe der Umstände freilich nur oberflächlichen Untersuchung dieses ehr-
würdigen Kunstwerkes geboten. Der Reif der Krone zeigt 24 Felder mit zweifarbigen Blümchen in
Email auf translucidem grünen (vermuthlich Glas-) Grunde. In 21 Feldern ist das Email der Blümchen
weiß und blau, und zeigt jenen schweren, fettigen Glanz, der den späteren byzantinischen Emails
eigenthümlich ist. Drei Felder hingegen enthalten anstatt des Blau jenes rissige Rothbraun, das
wir auf der Flasche von Pinguente vorgefunden und als verbreitete Eigenthümlichkeit der ersten
1 Die auffallende Thatsache der gleichmäßigen Verbreitung identischer Typen über ganz Europa bis an den Kaukasus hat natürlich
auch die Forscher, die an der Hypothese barbarischer Herkunft des römischen Emails festhielten, zu Erklärungsversuchen herausgefordert.
De Linas hat dabei an die Zigeuner gedacht, die von altersher in mannigfachen Metalltechniken bewandert gewesen wären und als Welt
vaganten die Früchte ihrer Arbeit überallhin gebracht hätten; wer den achtunggebietenden Ernst kennt, mit welchem dieser unermüdliche
Forscher seinen Untersuchungen obgelegen hat, wird das Resultat, zu dem er gelangt ist, tragikomisch finden müssen. Kondakoff wollte
wiederum in der fraglichen Erscheinung den Ausfluss einer „gemeinsamen barbarischen Cultur vom ersten bis zum vierten Jahrhundert
n. Ch." erblicken; da muss man aber fragen, welcher allmächtige Factor die so erfolgreiche Vermittlung zwischen den über einen ganzen
Welttheil und darüber hinaus verstreuten Barbaren verschiedener Sprache und Sitte übernommen haben mag? Alle diese Hypothesen sind
aber überhaupt bloß vom Standpunkte der materialistischen Theorie discutabel, wonach die Technik der Kunst vorausgegangen wäre. Setzt
man einmal das Kunstwollen wieder in die ihm gebürenden Rechte des allein dictierenden Factors ein, dann kann der Gedanke, dass die auf
römischem Reichsboden so zahlreich gefundenen Emailgegenstände barbarischer Herkunft gewesen sein könnten, von vorneherein nicht
aufkommen. Denn selbst in dem Falle, als die „Technik" des Grubenemails von irgend einem coloristisch kunstgesinnten Barbarenstamme
erfunden worden und den Römern erst auf diesem Wege bekannt geworden wäre, ist es ausgeschlossen, dass eine Bevölkerung von dem uns in
Pompeji tausendfach bezeugten positiven Sinne für künstlerische Gestaltung aller Dinge die Emailsachen, die ihr gefielen und die sie nach
Zeugnis der Funde massenhaft verbrauchte, bloß von den Barbaren importiert und nicht selbst zu verfertigen getrachtet hätte. Sind aber
die auf römischem Reichsboden gefundenen Emailsachen römische Arbeit, dann repräsentieren sie eben eine römische Kunst und nicht eine
barbarische Kunst. Die Erfinderrolle der Barbaren — wenn eine solche sich zwingend nachweisen ließe — hätte dann ihre gebürende Stelle
in der Geschichte der Technologie zu finden — auf einen Platz in der Kunstgeschichte würde ihr darum noch kein Anspruch zustehen.