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Riegl, Alois
Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn (1): Die spätrömische Kunst-Industrie nach den Funden in Österreich-Ungarn — Wien: Österreich. Staatsdruckerei, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.75259#0214
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204

KUNSTINDUSTRIE.


Fig. 93. Detail von den
Hängeketten der Votiv-'
kröne des Swintila. Armeria
real in Madrid.

Einen weiteren Beweis dafür, dass die westgothischen Kronen aus der spätrömisch-mittel-
ländischen Kunst hervorgegangen sind, liefern die ebenen, blattförmigen, durchbrochenen Glieder
(Fig. 93), die sich an den Ketten der Kronen vorfinden. Schon das Hauptmotiv der Palmette
erinnert in seinen Umrissen an die spätrömische Tendenz nach complementären Bildungen. Die
Gliederung innerhalb der einzelnen Theile der Blätter ist nun durch
Combinationen von Punkten und Strichen herbeigeführt, die wir als
Strichpunkt-Motive bezeichnen wollen. Sie finden sich sehr häufig an
ungarländischen Funden aus dem siebenten und achten Jahrhundert, und
insbesondere an dem großen Massenfunde von Nagy Szent Miklos. Aber
es fehlt auch nicht an italienischen Fundsachen mit Strichpunkt-Orna-
mentik, und namentlich das longobardische Gräberfeld von Castel
Trosino1 hat viele solche geliefert. Die Herkunft und Bedeutung des
Strichpunkt-Motivs ist nun nicht allein keine barbarische, sondern viel-
mehr eine so mittelländische, als dies überhaupt von irgend einem Motiv
der vorkarolinischen Kunst gesagt werden kann. Der Strichpunkt ist
nämlich nichts anderes als ein directer Abkömmling der Bohrtechnik
in Marmor; er lässt sich sogar an Marmorarbeiten des sechsten Jahr-
hunderts monumental nachweisen: so zum Beispiel an einer der Tran-
sennen im Dom zu Ravenna (Fig. 94). Desgleichen ist die Strichpunkt-
Ornamentik an Fundstücken aus Egypten zutage getreten, die man kaum

für barbarische Exportware wird ansehen wollen. Die Schnalle Fig. 95 ist von mir in Kairo bei
einem Händler erworben. Ihre Grundform ist durch zahllose Funde, namentlich aus Italien,
Egypten, Ungarn, Südrussland, aber auch darüber hinaus im Westen Europas, als die gemein-


Fig. 94. Ecke einer Marmor-Transenne im Dom zu Ravenna. , Fig. 95. Bronzeschnalle aus Egypten. Privatbesitz in Wien.

gebräuchlichste im siebenten und achten Jahrhundert erwiesen. Als Verzierung begegnen wir an
Fig. 95 neben aufgesetzten Steinen auch dem Strichpunkte (und zwar auf der Oberseite von
Beschläg und Dorn, und an den Flanken des Dornes). Die schmale Zickzackreihe im Keilschnitte

1 Im Thermen-Museum zu Rom, leider noch immer nicht publiciert und der Untersuchung durch nichtitalienische Gelehrte unzu-
gänglich. Der zweite große Fund der gleichen Art, aus Nocera Umbra, ebenfalls in dem genannten Museum verwahrt, ist überhaupt nur
gegen besondere Erlaubnis der General-Inspection der italienischen Museen zu besichtigen.
 
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