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Rintelen, Friedrich
Reden und Aufsätze — Basel: Benno Schwabe & Co., Verlag, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.50018#0045

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Er hat oft das griechische Altertum um deswillen glücklich
gepriesen, daß es keine Theologie und keine einengende
Priesterkaste gehabt habe. Aber ich wüßte niemanden, der
das Moment der Weihe in der religiösen Kunst mit solcher
Freiheit von Vorurteilen, ja mit solcher Glut geschildert und
verherrlicht hätte wie er. Er war selbst im Schatten des
Heiligtums aufgewachsen und es mag sich in seiner Seele von
früh auf eine wahre Sehnsucht nach dem geheimnisvollen
Leben, aus dem die großen Sakralbauten und alle anderen
kirchlichen Kunstwerke hervorgegangen sind, entzündet
haben. Wie oft kann man lesen, daß die griechische Tragödie
nicht aus der pifiijm hervorgegangen, sondern heiligen Ur-
sprungs sei, aber nirgends fand ich die weihevollen Vor-
stufen des Trauerspiels so schlicht und groß, ganz ohne Sal-
bung und Deklamation, dem Leser ans Herz gelegt wie bei
Jacob Burckhardt. '
Ebenso geht es mit der christlichen Kunst. Wieviel roman-
tische Ergüsse gibt es auch darüber. Jacob Burckhardt aber
zeigt Grazie, indem er das Sublime schlicht ausspricht. Er
führt uns wirklich ein in die Halle der mittelalterlichen
Kirche. Er gibt in seinen Worten den Duft und Klang der
Dinge selbst; ich weiß nicht, ob Sie es wahrnehmen können,
wenn ich ihn in meiner Sprechweise zitiere:
„Der vielleicht größte Unterschied in den Aufgaben der
antiken und der christlichen Kunst besteht darin, daß im
Tempel ein Kultbild, in der Kirche die lebendige Begehung
des Sakramentes die feierlichste Stelle einnahm.“ So malt,
so musiziert er mit Worten.
Da er nun aber mit seiner warmen Anhänglichkeit an das
Sakrale einen unberührbar freien Geist vereinigt, so weiß er
darüber Bescheid, wie es dem Italiener der Renaissance zu
Mute gewesen ist; er fühlt mit ihm. Wenn er, der Greis, den
greisen Sigismondo Conti auf der Madonna di Foligno als
„tiefergriffenen armen Erdenmenschen zwischen höher be-
seelten Wesen“ kennzeichnet, so dürfen wir in dieser wohl-
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