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Ritter, William; Segantini, Giovanni [Ill.]
Segantini — Künstler-Monographien, Band 72: Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing, 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.61492#0024
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der Maske, welcher mich so sehr in Angst versetzt hatte, nichts andres als eine stählerne
Gürtelschnalle war, die unter einem der Augenlöcher hervorgeblitzt hatte.
Am andern Tag blieb die Tür unverschlossen und mir wurde eiugeschärft unter
keiner Bedingung den Raum zu verlassen, ein Versprechen, welches gegeben aber nicht
gehalten wurde. Nach wenigen Tagen schon befand ich mich wieder am Fenster des
Vorplatzes, aber ich hütete mich wohl, je wieder etwas hinunterzuwerfen. So schlich
Tag um Tag dahin, einer so einförmig wie der andre. Da, als ich eines Morgens
mit unserm bescheidenen Mundvorrat an Brot und Milch heimkehrte — meine Schwester
hatte mir mit vieler Mühe gelehrt, ihr diese kleinen Besorgungen abzunehmen — fand
ich zu meinem Erstaunen auf Gang und Vorplatz eine Anzahl kleiner Töpfe und Gefäße,
Pinsel und Farben stehen. Der unerwartete Anblick dieser ungewöhnlichen Gegenstände
erregte mich sehr und ich empfand Freude mit Furcht vermischt, Freude über das Neue
des Vorgangs, Furcht wegen des Unbekannten, Unverständlichen der Gegenstände. Den
ganzen Morgen frug ich mich: Mas wird geschehen, was wird damit gemacht?' und
an diesem Tage frühstückte ich nur wenig. Als endlich meine Schwester fortgegangcn


Abb. 11. Mädchen am Brunnen. Spätere Zeichnung.

war, schlüpfte ich schnell aus der Kammer, um mir einen günstigen Beobachtungsposten
zu suchen und verbarg mich und meine Neugier in einem dunklen Winkel. Von da
aus sah ich einen langen Menschen mit einem breiten Pinsel die Mauer nach allen
Richtungen hin überfahren und mit einem streifigen, grauweißen Farbenton bedecken.
Lange Zeit verfolgte ich diese Beschäftigung, aber eigentlich war sie gar nicht unter-
haltend; das Resultat stand in keinem Verhältnis zu der Größe der Aufregung, welche
ich während der Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, empfunden hatte: es
war eine richtige Enttäuschung. Und als ich die vielen schon angerührten Farben in
all den Töpfchen und Schüsselchen mit der frischgestrichenen Wand verglich, sagte ich
mir, mit solchem Material müsse man doch etwas viel Interessanteres machen können.
Das Werk war jedoch noch nicht vollendet, und nach dem Grundieren mit der weißen
Kalkfarbe zog der Mann oben und unten ganz gerade Linien, und brachte am andern
Morgen ein mit roter Wasserfarbe halbgefülltes Gefäß, aus welchem er mittels eines
Schwammes die Mauern betupfte und nur die Weiße Hohlkehle oben und den einförmig
dunkelgestrichenen unteren Teil der Wand aussparte. Nun hatte er mein ganzes Inter-
esse gewonnen und nach kurzer Zeit gewöhnte sich mein Auge an die gefleckten Stellen,
welche mir zuerst gar nicht gefielen und die ich mit wirklichem Unbehagen betrachtet
 
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