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Ritter, William; Segantini, Giovanni [Ill.]
Segantini — Künstler-Monographien, Band 72: Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing, 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.61492#0050
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beliebiger Art darstellen. Seine Themen sind noch nicht die Auserwählten seines Herzens,
noch seine Werke legitime Kinder seines Geistes und Geschmackes. Der Zufall, die Laune
des Augenblicks scheinen an ihrem Entstehen noch eben so viel Teil zu haben als sein
eigenes Ich. Betrachten wir z. B. „Die Schloßfrau" (llu clastollana) oder „Die Falken-
trägerin" (lln l^loonisrn), so liegt ihr^Häuptgcwicht in dem Umstande, daß sie von der-
jenigen dargestellt wurden, welche dann in ganz anderer Weise als Frau Segantinis
den herrlichen, tiefempfundenen „Engel des Lebens" <AnMlo äella vitn) und die Mutter in
den „Liebesfrüchten" (Urntti cl'amore) verkörpert hat. In der Falconiera bemüht sich der
junge Maler sein noch unentwickeltes, bloß auf eigene kurze Erfahrung gegründetes System
der Farbenzerteilung beim Porträt anzuwenden; zum erstenmal nach dem lebenden Modell,
und er sucht damit geduldig das zarte leuchtende Fleisch des jungen Gesichts wiederzugcben.
Dann folgt, eine ganze Reihe zu tief gestimmter Bilder, die sich in jeder Beziehung
in einem trostlosen Zustand befinden; aber sie zeugen von unermüdlicher Tätigkeit, von


Abb. 36. Die Vieh weihe am St. Sebastianstag. Spätere Zeichnung. (Zu Seite 59.)

jugendlichem Ungestüm im Kampf mit der Unerfahrenheit, von unruhevollcm Suchen
nach der eigenen Seele, kurz tragen den Stempel jener Zeit, die man im Leben aller
Großen des Geistes die Sturm- und Drangperiode nennt.
In dem Feuergelaß „II Uroäs" glaubt Segantini das Mittelalter zu zeichnen,
während es eher ein phantastischer Totentanz eigner Erfindung ist, schüchtern und stark
zugleich. „Der Glöckner" (U vaiuxanaro), ein roter Fleck auf schwarzem Grund —
„Die Brüder im Keller" (Urnti in oantina), „Die kleinen Ställe" jUioooIs stalle) —
alle zeigen dasselbe Helldunkelmotiv mit seinen starken Lichtkontrasten, wie der „Chor
des heiligen Antonius", nur noch energischer, übertriebener in dem Wunsch, das Her-
kömmliche umzustoßcn, sich bemerkbar zu machen, den Beschauer zu verblüffen und
der Akademie nebst ihren Anhängern ins Gesicht zu schlagen. Manche dieser Titel ver-
raten uns wie unbedeutend die Anekdote; und das Sujet nahm auch bei dem damals
noch ziemlich unerzogenen Maler erst den zweiten Platz ein; er wollte vor allem gut
und anders als die übrigen Sterblichen malen, und dadurch, nicht durch die Wahl seines
Themas, von sich reden machen. Das beste aus jener Zeit sind seine Naturstudien, die
er auf den Fußtouren im Gebirge machte, oder Werke, die ihre Entstehung seiner zähen
 
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