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leichtert ausrufen beim Anblick dieses rosigen, von Gesundheit strotzenden Gesichtchens,
das wohl noch blühender als sonst geworden durch die geliebte Nähe des neben ihr
malenden Gatten. Das weiche, zärtliche Frauenantlitz, in dem die guten Augen so
träumerisch blicken, hebt sich umrahmt von einer Last von aufgelöstem Goldhaar wunderbar
kräftig von den weißen Kissen und Draperien ab; an der Wandvertäflung hängt ein
kleines Kruzifix. Man wird an die größestcn Meister der Malerei erinnert, und wenn
man es nie vorher gewagt, den Namen Velasquez bei Gelegenheit von Segantinischer
Kunst zu nennen, hier kann man getrost eine Ausnahme machen.
Im Jahre 1887 faßte ihn der Ehrgeiz, einen großen, weißen Gaul, im vollen
Galopp über fruchtbares Weideland jagend, mit allen vier Hufen den Boden nicht be-
rührend, darzustellen. Der Versuch gelang so meisterlich, daß man versucht ist bei Be-
trachtung dieser Leistung zu glauben, er habe sein Leben lang nur Pferde gemalt und
studiert. Selbst der ausgezeichnete deutsche Schlachtenmaler Rocholl, dem die Darstellung
solcher malerischer Reiterstücke etwas Gewohntes ist, hat ihn an Schnelligkeit und Richtig-
keit in Beobachtung der momentanen Bewegung der Pferde nie übertreffen können.
1888 entwirft er auf Leinwand eine prachtvolle Wciß-Schwarz-Zeichnung (Abb. 54),
die mit gleicher Kraft und Kühnheit ein Paar Pferde behandelt; besonders der mit
gesenktem Kopf in vollem Galopp dahinsausende Gaul im Geschirr ist von packender
Gewalt und Naturtreue.
-i-
Segantini bewerkstelligte seine Übersiedlung nach Maloja im Jahre 1894, und
von diesem Zeitpunkte an bis zu seinem Tode erstreckt sich die höchste Periode seines
Wirkens, die seiner großen symbolischen Schöpfungen. Nur selten flicht sich noch ein
oder das andere, allerdings hochbedeutende, realistische Werk dazwischen.
Frau Segantini spricht sich sehr zurückhaltend und milde über die Gründe aus,
welche den Meister bestimmten, Savognino zu verlassen. „Schon 1892 war er der
Gegend müde geworden; auch fürchtete er sich zu wiederholen. So beschlossen wir denn,
Abb. 78. Auf dem Totenbett. (Zu Seite 94.)
leichtert ausrufen beim Anblick dieses rosigen, von Gesundheit strotzenden Gesichtchens,
das wohl noch blühender als sonst geworden durch die geliebte Nähe des neben ihr
malenden Gatten. Das weiche, zärtliche Frauenantlitz, in dem die guten Augen so
träumerisch blicken, hebt sich umrahmt von einer Last von aufgelöstem Goldhaar wunderbar
kräftig von den weißen Kissen und Draperien ab; an der Wandvertäflung hängt ein
kleines Kruzifix. Man wird an die größestcn Meister der Malerei erinnert, und wenn
man es nie vorher gewagt, den Namen Velasquez bei Gelegenheit von Segantinischer
Kunst zu nennen, hier kann man getrost eine Ausnahme machen.
Im Jahre 1887 faßte ihn der Ehrgeiz, einen großen, weißen Gaul, im vollen
Galopp über fruchtbares Weideland jagend, mit allen vier Hufen den Boden nicht be-
rührend, darzustellen. Der Versuch gelang so meisterlich, daß man versucht ist bei Be-
trachtung dieser Leistung zu glauben, er habe sein Leben lang nur Pferde gemalt und
studiert. Selbst der ausgezeichnete deutsche Schlachtenmaler Rocholl, dem die Darstellung
solcher malerischer Reiterstücke etwas Gewohntes ist, hat ihn an Schnelligkeit und Richtig-
keit in Beobachtung der momentanen Bewegung der Pferde nie übertreffen können.
1888 entwirft er auf Leinwand eine prachtvolle Wciß-Schwarz-Zeichnung (Abb. 54),
die mit gleicher Kraft und Kühnheit ein Paar Pferde behandelt; besonders der mit
gesenktem Kopf in vollem Galopp dahinsausende Gaul im Geschirr ist von packender
Gewalt und Naturtreue.
-i-
Segantini bewerkstelligte seine Übersiedlung nach Maloja im Jahre 1894, und
von diesem Zeitpunkte an bis zu seinem Tode erstreckt sich die höchste Periode seines
Wirkens, die seiner großen symbolischen Schöpfungen. Nur selten flicht sich noch ein
oder das andere, allerdings hochbedeutende, realistische Werk dazwischen.
Frau Segantini spricht sich sehr zurückhaltend und milde über die Gründe aus,
welche den Meister bestimmten, Savognino zu verlassen. „Schon 1892 war er der
Gegend müde geworden; auch fürchtete er sich zu wiederholen. So beschlossen wir denn,
Abb. 78. Auf dem Totenbett. (Zu Seite 94.)