Von Eugene Laur.
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Grenzen Frankreichs hinaus wirkt. Denn heute wie seit einer
langen, langen Reihe von Jahren geht die Sonne der Mode
am Strande der Seine auf, und schickt von hier aus ihre
Boten in die andern Länder und Erdtheile. Wer dagegen,
wenigstens was die Belletristik betrifft, Zweifel erheben wollte,
braucht nur auf die deutschen Zeitungen gewiesen zu werden.
Mit welcher Emsigkeit raffen sie die Notizen über das bevor-
stehende Erscheinen eines neuen Romans von Flaubert oder
Feydeau auf, wie suchen sie einander den Rang abzulaufen mit
feuilletonistischen Artikeln über ein neues Buch von Alexandre
Dumas Fils oder Arsene Houffaye, ganz abgesehen von Len
Uebersetzungsfabriken, die in Wien, in Berlin, in Pesth, in
Leipzig, in Stuttgart —^ kurz „so weit die deutsche Zunge klingt",
thätig sind! Nun wird niemand mehr den Zufall den Vater
der Mode nennen; sie ist ein Kind, so legitim wie irgendein
anderes, hat unbestreitbar logischen Grund der Existenz und
Recht des Bestehens, wie andere Thatsachen. Es muß sich
also ermitteln laffen, weshalb Frankreich, trotz alles Tadels,
den die hiesigen Producte erfahren, so ungeheuere Quantitäten
der Romanwaare consumirt und exportirt, daß man des Sprich-
worts sich erinnert: Je mehr man dem Fuchse flucht, desto beffer
gedeiht er.
Klänge es nicht gar zu altmodisch, so wäre zu sagen, daß
schon Goethe über diese Erscheinung und deren Ursachen sich
vollkommen klar gewesen ist. Die französische Literatur trennt
sich nicht einen Augenblick von Leben und Leidenschaft der
ganzen Nationalität. Hier herrscht nicht der Unterschied zwi-
schen Studirstube und Plauderstube oder öffentlichem Leben wie
anderwärts, die Romane spiegeln die wirkliche Gegenwart ab;
ungeachtet aller einstigen Bestrebungen Les jungen Frankreich
hat das Jdeal-Reale Lem Gemein-Realen weichen müffen, und
zwar ist dieses Reale für den Dichter so bequem und für den
Leser so feffelnd, weil es eben das Leben des Tages ist.
Wer möchte leugnen, daß mit dem idealen Zuge die Jdeen
selbst immer mehr der französischen modernen Literatur ent-
schwinden? Mögen die Autoren das Kaleidoskop noch so sehr
schütteln: es ergeben sich wol neue Situationen, Gedanken aber
bleiben fern. Melleicht ist das eine Anziehung mehr für die
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Grenzen Frankreichs hinaus wirkt. Denn heute wie seit einer
langen, langen Reihe von Jahren geht die Sonne der Mode
am Strande der Seine auf, und schickt von hier aus ihre
Boten in die andern Länder und Erdtheile. Wer dagegen,
wenigstens was die Belletristik betrifft, Zweifel erheben wollte,
braucht nur auf die deutschen Zeitungen gewiesen zu werden.
Mit welcher Emsigkeit raffen sie die Notizen über das bevor-
stehende Erscheinen eines neuen Romans von Flaubert oder
Feydeau auf, wie suchen sie einander den Rang abzulaufen mit
feuilletonistischen Artikeln über ein neues Buch von Alexandre
Dumas Fils oder Arsene Houffaye, ganz abgesehen von Len
Uebersetzungsfabriken, die in Wien, in Berlin, in Pesth, in
Leipzig, in Stuttgart —^ kurz „so weit die deutsche Zunge klingt",
thätig sind! Nun wird niemand mehr den Zufall den Vater
der Mode nennen; sie ist ein Kind, so legitim wie irgendein
anderes, hat unbestreitbar logischen Grund der Existenz und
Recht des Bestehens, wie andere Thatsachen. Es muß sich
also ermitteln laffen, weshalb Frankreich, trotz alles Tadels,
den die hiesigen Producte erfahren, so ungeheuere Quantitäten
der Romanwaare consumirt und exportirt, daß man des Sprich-
worts sich erinnert: Je mehr man dem Fuchse flucht, desto beffer
gedeiht er.
Klänge es nicht gar zu altmodisch, so wäre zu sagen, daß
schon Goethe über diese Erscheinung und deren Ursachen sich
vollkommen klar gewesen ist. Die französische Literatur trennt
sich nicht einen Augenblick von Leben und Leidenschaft der
ganzen Nationalität. Hier herrscht nicht der Unterschied zwi-
schen Studirstube und Plauderstube oder öffentlichem Leben wie
anderwärts, die Romane spiegeln die wirkliche Gegenwart ab;
ungeachtet aller einstigen Bestrebungen Les jungen Frankreich
hat das Jdeal-Reale Lem Gemein-Realen weichen müffen, und
zwar ist dieses Reale für den Dichter so bequem und für den
Leser so feffelnd, weil es eben das Leben des Tages ist.
Wer möchte leugnen, daß mit dem idealen Zuge die Jdeen
selbst immer mehr der französischen modernen Literatur ent-
schwinden? Mögen die Autoren das Kaleidoskop noch so sehr
schütteln: es ergeben sich wol neue Situationen, Gedanken aber
bleiben fern. Melleicht ist das eine Anziehung mehr für die