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Rodenberg, Julius
Paris bei Sonnenschein und Lampenlicht: ein Skizzenbuch zur Weltausstellung — Leipzig, 1867 (2. Aufl.)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1385#0316
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308 xm. Die Damen der Halle und ihre Gevattern.

Es ist die Stadt der Nacht.

Langgedehnte, architektonische Silhouetten ragen über die
umliegenden Häuser hervor. Hoch wie Kathedralen, erleuchtet
und durchsichtig gleich Feenpalästen, dehnen sie sich weit auS;
ihre Profile heben sich aus der Dunkelheit ab und verlieren
sich ohne bestimmte Formen in der Nacht. Es sind die
Halles centrales, der große Markt, der die Nahrung sammelt
für diesen Minotaur, den man Paris nennt.

Versucht man es, sich diesem wunderbaren Gebäude zu
nähern, so stolpert man hier und da längs der Trottoirs über
lange, ausgestreckte Körper. Ein Brummen oder dumpfes
Schnarchen verrathen, daß es menschliche Geschöpfe sind, die
hier schlafen: Männer und Frauen, welche warten, bis die
frühe Stunde der Arbeit schlägt. Die einen sind „Iss I'orts
äs la Lalls" (Sackträger), die andern die „ Verkäuferinnen
der vier Jahreszeiten", d. h. von Blumen, Gemüse und Obst;
Hercules und Venus dieses düstern Olymps.

Weiter vernimmt man, je mehr man sich in diesem selt-
samen Chaos von Nacht und Licht, von Schweigen und
Tumult orientirt, den dumpfen Schall von menschlichen Stim-
men und den Klang von Gläsern. Dieses ungewöhnliche
Geräusch dringt aus Häusern, welche von oben bis unten
erleuchtet sind. Wir treten ein; die Menge Lrüngt sich um
die zinnernen Comptoire — und welche Menge! Fuhrleute in
blauen Kitteln, Sackträger mit weißen Hüten, groß wie
Wagenräder, Bauern, in wollene, gestreiste Decken gehüllt,
und alte Weiber mit rothen und blauen Kopftüchern, die mit
heiserer Stimme, ein Glas Branntwein in der Hand, schon
den Preis des Kohls, der Rüben oder Kartoffeln dis-
cutiren.

Die obern, glänzend erleuchteten Etagen sind mit Trin-
kern oder Gästen beiderlei Geschlechts angefüllt, die noch zur
Nacht esien. Denn dies ist der Punkt von Paris, wo Tag
und Nacht sich unaufhörlich begegnen. Oft entdeckt man sogar
eine zarte Gestalt, einen weißen Handschuh unter einem Atlas-
mantel, elegante Damen, die einem Ball oder einer Soiröe
entschlüpft zu sein scheinen, und Herren im schwarzen Frack —
Studenten vom linken Ufer und ihre Freundinnen, die gar
 
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