BRUEGEL IM URTEIL DER NACHWELT
Bruegel offenbart im Sprichwortbild nur eine Seite
seines Wesens. Hier schafft er das volkstümliche, viel-
figurige Parzellenbild (Montageform). Um die Viel-
seitigkeit dieses scheinbar „monotonen" Meisters zu ver-
spüren, muß man seine andersartigen, raumstetigen Wim-
melbilder hinzuhalten, die er in den Kinderspielen, dem
Kindermord, Fasching und Fasten verwirklicht; nicht
minder aber die Gemälde, bei denen er sich in einen
faszinierenden Miniaturstil hineinkläubelt (Triumph des
Todes, Dulle Griet, Turmbau zu Babel, Selbstmord
Sauls). Ganz erstaunlich ferner die reinen Landschaften,
vom Hafen Neapels über den „Seesturm" bis zum
grandiosen Jahreszeitenzyklus. Aber er gestaltet auch eine
großfigurige Monumentalmalerei: im Bauernstampftanz,
der ländlichen Hochzeit oder den niedersinkenden Blin-
den. Nirgends kann man dieses spätmittelalterliche Genie
so umfassend erfahren wie im Wiener Museum. Auch die
sich dauernd verbessernde Reproduktionstechnik hat
allmählich breiteren Schichten manches erschlossen. Schon
die Tafeln der Bücher von Glück und Großmann kön-
nen einen Vorgeschmack von Bruegels innerem Reichtum
vermitteln.
Wie wurde er während der verflossenen 400 Jahre
empfunden? Die Frage einer geistesgeschichtlichen Re-
sonanz, die große Menschen hinterlassen, ist immer fes-
selnd, ob es sich nun um Grünewald oder Goya, um Bach
oder Beethoven, um Shakespeare oder Goethe, um Leib-
niz oder Kant handelt. Bei Bruegel ist die Antwort um-
wegig, weil wenig allgemeinere Bekenntnisse vorliegen.
Seine Zeitgenossen sind erstaunt über seine Leistun-
gen, und er wird im 16. und 17. Jahrhundert gepriesen
und, was für unsere Frage entscheidend sein dürfte, oft
kopiert und imitiert. Da er nicht mehr Kirchenaltäre
oder etwa repräsentative Tafeln für Rathäuser malt, ist
wichtig zu hören, daß er privat gesammelt wird von
Intellektuellen, während er noch am Leben ist. Niclas
Jongelinck, der Bruder des Bildhauers, besitzt damals
26
Bruegel offenbart im Sprichwortbild nur eine Seite
seines Wesens. Hier schafft er das volkstümliche, viel-
figurige Parzellenbild (Montageform). Um die Viel-
seitigkeit dieses scheinbar „monotonen" Meisters zu ver-
spüren, muß man seine andersartigen, raumstetigen Wim-
melbilder hinzuhalten, die er in den Kinderspielen, dem
Kindermord, Fasching und Fasten verwirklicht; nicht
minder aber die Gemälde, bei denen er sich in einen
faszinierenden Miniaturstil hineinkläubelt (Triumph des
Todes, Dulle Griet, Turmbau zu Babel, Selbstmord
Sauls). Ganz erstaunlich ferner die reinen Landschaften,
vom Hafen Neapels über den „Seesturm" bis zum
grandiosen Jahreszeitenzyklus. Aber er gestaltet auch eine
großfigurige Monumentalmalerei: im Bauernstampftanz,
der ländlichen Hochzeit oder den niedersinkenden Blin-
den. Nirgends kann man dieses spätmittelalterliche Genie
so umfassend erfahren wie im Wiener Museum. Auch die
sich dauernd verbessernde Reproduktionstechnik hat
allmählich breiteren Schichten manches erschlossen. Schon
die Tafeln der Bücher von Glück und Großmann kön-
nen einen Vorgeschmack von Bruegels innerem Reichtum
vermitteln.
Wie wurde er während der verflossenen 400 Jahre
empfunden? Die Frage einer geistesgeschichtlichen Re-
sonanz, die große Menschen hinterlassen, ist immer fes-
selnd, ob es sich nun um Grünewald oder Goya, um Bach
oder Beethoven, um Shakespeare oder Goethe, um Leib-
niz oder Kant handelt. Bei Bruegel ist die Antwort um-
wegig, weil wenig allgemeinere Bekenntnisse vorliegen.
Seine Zeitgenossen sind erstaunt über seine Leistun-
gen, und er wird im 16. und 17. Jahrhundert gepriesen
und, was für unsere Frage entscheidend sein dürfte, oft
kopiert und imitiert. Da er nicht mehr Kirchenaltäre
oder etwa repräsentative Tafeln für Rathäuser malt, ist
wichtig zu hören, daß er privat gesammelt wird von
Intellektuellen, während er noch am Leben ist. Niclas
Jongelinck, der Bruder des Bildhauers, besitzt damals
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